Mit Kampfsport Begegnungen schaffen

Die Kampfsportlerin und Doktorandin der Sozialen Arbeit Erzsébet Roth macht seit vielen Jahren Kampfsport und ist die Gründerin von Hijabi Martial Arts in Hamburg. Sie berichtet von ihrem Verhältnis zum Kampfsport und was Integration für sie bedeutet.

Erzsébet Roth bietet Kampfsport für Frauen an

Erzsébet selbst hat Kickboxen und Jeet Kune Do trainiert. Sie hat zunächst ohne Kopftuch, dann mit Kopftuch, und dann wieder ohne Kampfsport gemacht. Ihre Erfahrungen lassen sich als eine persönliche Feldforschung über Selbst- und Fremdwahrnehmungsprozesse im Sport während dieser unterschiedlichen Lebensphasen bezeichnen.

Mit 16 Jahren startete Erzsébet ihre Kampfsportkarriere in Berlin. Ihr damaliger Kickbox-Trainer bot ihr schon nach wenigen Monaten an, auch an Wettkämpfen teilzunehmen, da er in ihr viel Talent sah. „Es ist wirklich ein ganz anderes Verständnis von dem Sport, wenn du gleich mit Kämpfen einsteigst“, berichtet Erzsébet. In wenigen Jahren hat sie an diversen Wettkämpfen teilgenommen, darunter auch zweimal an der Weltmeisterschaft im Kickboxen. Zu dieser Zeit wollte sie sogar Profiboxerin werden. Wettkämpfe waren für Erzsébet immer ein wichtiger Bestandteil vom Kampfsport.

Mit Anfang 20 sind in ihrem Leben dann einige Sachen zusammengekommen, die dazu geführt haben, dass Sport für sie erstmal zweitrangig wurde. Im Alter von 21 Jahren konvertierte sie zum Islam. Ein halbes Jahr später trifft sie die Entscheidung, das Kopftuch zu tragen, wodurch sich auch ihre Identität als Muslimin sehr gewandelt hat. „Das war für mich die wahre Emanzipation der Frau und tatsächlich eine Befreiung für mich“, teilt sie im Gespräch. In dieser Zeit setzt sich Erzsébet auch mit dem islamischen Geschlechterverständnis auseinander. Das hat sie zunächst dazu veranlasst, den Leistungssport nicht weiter zu verfolgen. Heute ist ihr unklar, welche Gründe genau dazu geführt haben, dass sie sich vom Leistungs- und Kampfsport distanzierte. Sport an sich bleibt weiterhin Teil ihres Lebens.

Frauen mit Kopftuch und Sport

Als sie wieder Lust hat, mit Leistungssport anzufangen, kommen ihr bei der Suche nach Vereinen neue Fragen darüber auf, wie sie dort als verschleierte Frau wahrgenommen werden würde. Wie wird sie im Verein eingebunden – beim Training als auch von den anderen Personen im Verein? Zu dieser Zeit war es noch sehr ungewöhnlich, Frauen mit Kopftuch im Sport, erst recht im Kampfsport, zu treffen. Das weiß sie aus eigenen Erfahrungen, denn sie ist kaum Frauen mit Kopftuch beim Sport begegnet. Verschleierte Frauen und Sport, das passte damals nicht zusammen, auch nicht innerhalb der muslimischen Community.

Ihr persönlich hat das Kopftuch unter anderem geholfen, sich von dem starken Körperkult im Kampfsport zu befreien. Früher hat sie Erfahrungen mit Flirtversuchen und anzüglichen Bemerkungen gemacht, das war Anfang der 2000er. Seit sie mit Kopftuch trainiert, sind Männer automatisch mehr auf Distanz. Das wäre auch der Sinn und Zweck des Kopftuches sagt sie. Ohne Kopftuch hingegen wäre ein natürlicherer Umgang miteinander möglich, was sie sich weiterhin wünscht. Ihre Erfahrungen zeigen auch, dass viele Menschen es cool finden und großen Respekt davor haben, dass sie mit Kopftuch Kampfsport macht. Aber ernsthafte Unterstützung hat sie nicht bekommen. Sie ist froh, dass durch Vorbilder wie die Boxerin Zeina Nassar aus Berlin nun sichtbar wird, dass es völlig normal ist, mit Kopftuch eine Leistungssportlerin zu sein. Man müsse einfach seinen eigenen Weg gehen. Erzsébet reflektiert, dass sie sich ihren Sorgen und eventuellen Vorurteilen anderer nicht hätte hemmen lassen sollen.

Die Entstehung von Hijabi Martial Arts

Mittlerweile wohnt Erzsébet seit zehn Jahren in Hamburg. Im Jahr 2014 startete sie beim SV Muslime Hamburg das Angebot Hijabi Martial Arts. Dieses richtete sich an Frauen, die nur im Rahmen der islamischen Richtlinien Sport ausüben möchten. Das Angebot ist aber auch für nichtmuslimische Frauen offen. Der Fokus liegt allerdings darauf, Sport für muslimische Frauen zu organisieren. Anstoß dazu gab die Masterarbeit zum Thema Integration von Migrant*innen durch Sport ihres Ehemannes, Vorsitzender des Vereins SV Muslime Hamburg. Die Ergebnisse zeigten, dass Kampfsport der beliebteste Sport bei muslimischen Frauen ist. Das Angebot im Verein konnte durch die Förderung ‚Integration durch Sport‘ realisiert werden. Es gab eine große Nachfrage, auch von Frauen, die kein Kopftuch tragen. Die Möglichkeit, in diesem geschützten Rahmen Kampfsport auszuführen, ist vielen Frauen sehr wichtig. Der Rahmen soll laut Erzsébet einen Einstieg in den Kampfsport bieten, um „erstmal regelmäßig in die Bewegung reinzukommen und sich mit der Sportart an sich auseinanderzusetzen.“

Ihrer Meinung nach sollte es aber zukünftig darauf hinauslaufen, auch in einer gemischten Gruppe Kampfsport zu machen. Da sie vermutet, dass die meisten Frauen mit Kopftuch Kampfsport machen, um ihr Selbstbewusstsein zu stärken und sich tatsächlich verteidigen zu können, wäre es effektiver und nachhaltiger, auch gemischt zu trainieren und viel Sparring zu machen. So könnte man ein Gefühl dafür bekommen, wie es ist, von Männern einen Schlag abzubekommen, als auch Schläge auszuteilen. Um zu lernen, in Aktion zu bleiben und in bedrohlichen Situationen nicht in Ohnmacht zu verfallen, wird also zunächst in einem geschützten und kontrollierten Rahmen mit viel Schutz am Körper trainiert. Erzsébet respektiert auch, wenn konservativere Frauen diese Möglichkeit nicht wahrnehmen. Sie selbst plädiert allerdings dafür, dass die Ziele des gesteigerten Selbstbewusstseins und der Verteidigung akzeptable Gründe für Musliminnen sind, in diesem Rahmen auch gemischt zu trainieren.

Integration durch Sport

Erzsébet sieht in dem großen Begriff ‚Integration‘ ganz viele kleine Begegnungen. „Wenn man sich kennenlernt und einander begegnet, dann beschäftigt man sich viel mehr damit, was einen verbindet als was einen trennt“, sagt sie. Kampfsport bietet ihrer Meinung nach eine tolle Möglichkeit dafür. Das gilt nicht nur für Frauen mit Kopftuch – Erzsébet sieht das genauso für Menschen mit Behinderung und generell Menschen, die in unserer Gesellschaft marginalisiert werden. Der Sport biete die Möglichkeit, eine Einigkeit zu finden. Auch die Begegnung zwischen Mann und Frau im Sport zählt für sie dazu. „Das Fundament all dieser Bestrebungen, eine Art von Integration zu schaffen, sind eine gute Vereinsstruktur und gutes Personal“, findet Erzsébet. Sie möchte die Menschen einbinden,dabei auch neue Gruppen erreichen, Angebote weiter ausbauen und nachhaltiger arbeiten. Die Rolle als Trainerin möchte sie dabei jedoch nicht einnehmen, lieber möchte sie selbst noch weiter zum Kampfsporttraining gehen.

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Emma Bleck
Emma kommt aus Hamburg und hat dort “Kultur der Metropole” an der Hafencity Universität studiert. Seitdem ist sie kritische Alltagsforscherin und befasst sich mit machtkritischen Gesellschaftsanalysen. Sie liest gerne und interessiert sich für Sprachen, Feminismus und Migration. Nebenbei engagiert sie sich politisch.

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