Ein palästinensischer Vater steht auf den Trümmern seines Hauses in Gaza. Neben ihm sind Rettungssanitäter mit einfachen Werkzeugen zu sehen. Sie versuchen, nach einem israelischenLuftangriff noch Lebende zu retten – eine fast unmögliche Aufgabe. Trotzdem klammert sich der Vater an einen Hoffnungsschimmer, seine Familie finden zu können. Er macht die Taschenlampe seines Handys an und ruft ins Dunkele: „Ist hier noch jemand am Leben? Hört mich jemand?“
Seit Beginn des Krieges, der durch den brutalen Angriff der Hamas am 7. Oktober 2023 ausgelöst wurde, gibt es im Gazastreifen fast täglich israelische Luftangriffe. Nur während der vereinbarten Waffenruhe zwischen Januar und März dieses Jahreskonnten die Menschen aufatmen. Seit Mitte März hat das israelische Militär die Angriffe jedoch wieder aufgenommen und verhindert seither die Lieferung von Hilfsgütern.
Hungersnot in Gaza
Laut den Vereinten Nationen leidet fast die gesamte Bevölkerung von Gaza unter akuter Ernährungsunsicherheit, fast eine halbe Million Menschen sind von einer katastrophalen Hungersnot bedroht. Besonders betroffen sind Kinder: Mehr als 71.000 von ihnen sowie rund 17.000 Mütter benötigen dringend eine Behandlung wegen akuter Mangelernährung – deutlich mehr als noch zu Beginn des Jahres prognostiziert.
Die Geschichte des palästinensischen Vaters ist eine von vielen, die die ganze Weltseit mehr als 18 Monaten sehen konnte. Seine Fragen scheinen sich an uns alle zu richten, die wir mit ansehen, was in Gaza geschieht. Was haben wir getan, um dieses Leid zu beenden?
Kriminalisierung von Solidarität
Ob in Deutschland, Spanien, Italien, den USA oder Großbritannien: Seit Monaten gehen Menschen auf die Straße und fordern einen Waffenstillstand. Viele Journalist*innen und Aktivist*innen berichten täglich in den sozialen Medien von der Lage in Gaza. Doch diese wurden von Politiker*innen,Journalist*innen und der Mehrheitsgesellschaft ignoriert – oder sie wurden als „Antisemiten“,„Terrorfans“ oder „Propagandisten“ bezeichnet. Einige haben ihre Jobs verloren,gegen andere wurden Strafverfahren wegen Terrorverherrlichung eingeleitet.
Palästinenser*innen und Menschen, die sich kritisch zu Israels Politik geäußert haben, haben sich sehr allein gelassen gefühlt. Über sie wurde viel diskutiert, doch mit ihnen wurde kaum gesprochen.
Die Debatte verändert sich
Doch nun ändert sich etwas in Deutschland. Bundestagsabgeordnete aus der politischen Mitte oder dem linken Spektrum, Wissenschaftler*innen und sogar Klimaaktivist*innen, die sich in den vergangenen Monaten kaum zum Leid der Palästinenser*innen im Gazastreifen oder in der Westbank geäußert haben, erheben jetzt ihre Stimme und äußern sich zum ersten Mal. Sie kritisieren das israelische Vorgehen, fordern mehr humanitäre Hilfe, die Freilassung der noch in Gefangenschaft befindlichen israelischen Geiseln und einen Waffenstillstand.
Das ist eine gute Nachricht. Denn diese Forderungen sind ein Schritt in die richtige Richtung und zeigen, dass die Kritik am Vorgehen des israelischen Militärs und die Forderung nach mehr humanitärer Hilfe legitim ist – und nicht pauschal antisemitisch.
Dieses späte Engagement wirkt jedoch wie ein taktisches Manöver, um dem wachsenden öffentlichen Druck zu begegnen. Wenn nun doch plötzlich Stimmen laut werden – teils aus demselben politischen Spektrum, das sich monatelang nicht oder einseitig positioniert hat –, ist das nicht authentisch, sondern reaktiv.
Konsequentes Handeln ist gefragt
Diese Stimmen müssen von konkreten politischen Maßnahmen begleitet werden. Denn ohne eine klare Kursänderung in der deutschen Nahostpolitik besteht das Risiko, dass diese Worte lediglich symbolischer Natur sind. Um das Vertrauen der palästinensischen Bevölkerung – und aller, die sich mit ihr solidarisieren – zurückzugewinnen und einen nachhaltigen Frieden zu fördern, ist ein konsequenter Einsatz für Menschenrechte und Völkerrecht erforderlich.
Um ein Ende der Waffenlieferungen zumindest auf den Tisch zu legen und einen Waffenstillstand zu fordern, braucht es Druck auf die deutsche Regierung. Andernfalls sind diese Stimmen nichts als Heuchelei und folgen nur einem„Trend“. Sie können nicht die Antwort auf die Fragen des palästinensischen Vaters bleiben.