Wählen – meine einmalige Erfahrung

Ein einziges Mal in ihrem Leben durfte unsere Autorin Sahar wählen. Jetzt berichtet sie über ihre Erfahrung mit der Wahl in Afghanistan und erzählt, was ihr das Stimmrecht bedeutet.

Sahar Reza: Wählen und ich

In meinem Leben durfte ich erst einmal wählen. Ich bin 34 Jahre alt. Die Parlaments- und Provinzratswahlen in Afghanistan 2005 waren meine erste und bisher einzige Erfahrung mit dem Wählen. Sie fanden im Spetember 2005 statt. Die Bekanntgabe der Ergebnisse wurden wegen des Vorwurfs des Wahlbetrugs verzögert und erst im Noveber bekannt gegeben.

Wenn ich mich recht erinnere, bestand das Wahlverfahren darin, dass sich jeder Bürger mit seinem Personalausweis registrieren lassen musste, um eine Wahlkarte zu erhalten, mit der man am Wahltag wählen konnte. Die Registrierung dauerte einen Monat.

Nachdem die Registrierung abgeschlossen war, kam der Wahltag und wir durften wählen. Wenn man am Wahltag seine Stimme abgegeben hatte, wurde der Indexfinger gefärbt , damit sichtbar war, dass man bereits gewählt hatte und in keinem anderen Wahllokal mehr wählen durfte.

Das Wählen ist das Schöne an der Demokratie, aber gleichzeitig ein grundlegendes Recht für die Bürger*innen eines Landes. Es ist der wichtigste Bestandteil eines demokratischen Systems. Verwehrt man den Bürger*innen die Möglichkeit, an der politischen Gesellschaft teilzunehmen, verwehrt man ihnen ihre Grundrechte.

Die Bürgerrechte garantieren gleiche soziale Chancen und gleichen Schutz vor dem Gesetz, unabhängig von Rasse, Religion oder anderen persönlichen Merkmalen. Die Staatsgewalt muss diese gewähren und sicherstellen.

 

Morgen wird in Deutschland gewählt!

 

In Deutschland ist morgen die Bundestagswahl. Alle deutschen Staatsbürger über 18 Jahren sind wahlberechtigt (Art. 38, Abs. 2 des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland). Das ist in den meisten Ländern so und Afghanistan ist dabei keine Ausnahme.

Obwohl sich die Gesamtsituation in Afghanistan in den letzten 20 Jahren etwas verbessert hatte, gab es Korruption und viele Probleme bei den Wahlen. Ich würde aber sagen, dass es trotz der Probleme, Streitigkeiten und Korruption immer noch gut war, dass das Volk seine Stimme abgeben und seinen eigenen Führer wählen konnte.

Im Jahr 2004 sollten in Afghanistan Präsidential- und Parlamentswahlen abgehalten werden, um die Übergangsregierung zu ersetzen. Dabei erhielt Hamid Karzai 55,4 % der Stimmen und wurde Präsident. Er erhielt dreimal so viele Stimmen wie jeder andere Kandidat. Dieses eindeutige – und nicht überraschende – Ergebnis zeigte, dass viele Menschen Karzai in der damaligen politischen Situation als ihren Präsidenten für die nächsten Jahre haben wollten.

 

Diese Wahlen fanden in Afghanistan auch noch statt:

Die Präsidential- und Provinzialratswahl 2009, die jedoch von mangelnder Sicherheit, Gewalt, geringer Wahlbeteiligung, Wahlmanipulation, Einschüchterung und anderen Wahlfälschungen geprägt waren.

Bei den Parlamentswahlen 2010 schüchterten die Taliban die Dorfbewohner*innen in bestimmten Gebieten ein, damit sie nicht wählen gehen. Sie warnten sie, dass sie jeder Person die Finger abschneiden würden, die wählen ginge.

2014 war Hamid Karzai bei den Präsidentschaftswahlen aufgrund der Amtszeitbeschränkung nicht wählbar und Ghani wurde zum Wahlsieger und Präsidenten erklärt.

Die Parlamentswahlen 2018 sollten eigentlich schon 2016 stattfinden, wurden aber verschoben. Grund dafür waren Debatten über eine Reform der Wahlgesetze in Afghanistan. Das Parlament trat allerdings erst im April 2019 in Kraft.

 

Inzwischen lebe ich in Deutschland. Ich warte sehnsüchtig darauf, in Zukunft wieder wählen zu dürfen, um die politische Zukunft mitbestimmen zu können.

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Autorengruppe
Sahar Reza
Sahar kommt aus Afghanistan und hat ihre Kindheit in Pakistan verbracht. Ihr Studium der  hat sie in Indien und Hamburg (Master Politik- und europäischen Rechtswissenschaft) absolviert. Sie hat im Management und im Journalismus gearbeitet. Seit langem setzt sie sich für Menschenrechte (besonders Frauen-, Kinder- und Flüchtlingsrechte) ein. Für kohero (früher Flüchtling-Magazin) ist sie seit 2017 aktiv. „Ich arbeite für das kohero-Magazin, weil das Magazin mir eine Stimme gibt und ich habe die Möglichkeit, über verschiedene Themen zu schreiben und kann in meinem Arbeitsbereich Journalismus in Deutschland weiterarbeiten und aktiv sein.“

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