Die BILD berichtet, dass Innenministerin Nancy Faeser gemeinsam mit der syrischen Regierung sogenannte „Erkundungsreisen“ für syrische Geflüchtete in ihre Heimat anbieten möchte — eine Maßnahme, die die Rückkehr von Syrer*innen beschleunigen soll. Diese Überlegungen stehen in eklatantem Widerspruch zur Realität vor Ort und werfen ernsthafte Fragen über die politische und humanitäre Verantwortbarkeit eines solchen Vorhabens auf.
Syrien ist weit davon entfernt, ein sicheres Land für Rückkehrer*innen zu sein. Trotz der Stabilisierung in einigen Regionen bleibt die allgemeine Sicherheitslage prekär. Der Krieg hat das Land nicht nur physisch, sondern auch institutionell zerrüttet. Internationale Berichte, darunter von den Vereinten Nationen und Menschenrechtsorganisationen, dokumentieren weiterhin willkürliche Verhaftungen, das Verschwindenlassen von Rückkehrern und Zwangsrekrutierungen durch verschiedene Akteure. Ein funktionierender Rechtsstaat existiert noch nicht.
Wer nach Syrien zurückkehrt, ist nicht nur der Gefahr politischer Verfolgung ausgesetzt, sondern auch einer desaströsen wirtschaftlichen Lage. Das Land leidet unter einem massiven Wirtschaftskollaps, verstärkt durch internationale Sanktionen, fehlende Investitionen und den Wertverlust der syrischen Lira. Der Arbeitsmarkt kann nicht einmal die verbliebene Bevölkerung versorgen – geschweige denn Hunderttausende Rückkehrer*innen aufnehmen. Viele Branchen liegen brach, grundlegende Dienstleistungen wie Gesundheitsversorgung und Bildungssystem sind schwer angeschlagen. Eine Rückkehr unter solchen Bedingungen ist nicht nur wirtschaftlich aussichtslos, sondern auch menschenrechtlich fragwürdig.
Die Debatte um Rückführungen ignoriert zudem eine entscheidende Tatsache: Syrische Geflüchtete sind längst ein integraler Bestandteil der deutschen Gesellschaft geworden. Entgegen dem oft wiederholten Vorurteil (und der Berichterstattung der BILD), sie seien eine dauerhafte Belastung für den Sozialstaat, zeigen aktuelle Statistiken von Statista und dem Statistischen Bundesamt ein anderes Bild.
Im Jahr 2023 waren 42 % der erwerbsfähigen Syrerinnen bereits berufstätig, weitere 8 % suchten aktiv eine Arbeit – ein Zeichen dafür, dass sie sich langfristig in den Arbeitsmarkt integrieren. 9 % befanden sich in Ausbildung – eine Investition in die Zukunft, die Deutschland auf lange Sicht zugutekommt. Mehr als 106.000 syrische Hochschulabsolventinnen und 6.000 syrische Ärzt*innen arbeiten in Deutschland – insbesondere in systemrelevanten Bereichen wie dem Gesundheitswesen, das ohnehin unter Fachkräftemangel leidet.
Eine Debatte über Abschiebungen widerspricht nicht nur humanitären Grundsätzen, sondern auch den wirtschaftlichen Interessen Deutschlands. Sprachkurse, Arbeitsmarktprogramme und gesellschaftliche Initiativen haben dazu beigetragen, dass viele Geflüchtete nicht nur Fuß fassen, sondern produktive Mitglieder der Gesellschaft werden. Eine forcierte Rückführungspolitik würde diese Fortschritte zunichtemachen.
Es wäre widersinnig, Menschen, die bereits Teil der deutschen Gesellschaft sind, Steuern zahlen und Arbeitsplätze besetzen, plötzlich in ein zerstörtes Land abzuschieben. Eine solche Entscheidung wäre nicht nur für die Betroffenen eine humanitäre Katastrophe, sondern auch für Deutschland ein strategischer Fehler.
Natürlich ist es legitim, über die langfristige Perspektive von Geflüchteten zu diskutieren – auch im Hinblick auf Rückkehrmöglichkeiten. Doch eine solche Debatte muss sich an der Realität orientieren und darf nicht zum Spielball populistischer Stimmungsmache werden.
Statt realitätsferner Forderungen braucht es eine Migrationspolitik, die langfristige Integration ermöglicht, qualifizierte Zuwanderung fördert und menschenwürdige Lösungen statt politischer Symbolhandlungen bietet.
Solange Syrien kein sicheres, stabiles und wirtschaftlich funktionierendes Land ist, bleibt die Diskussion über eine Rückführung nicht nur unrealistisch – sondern unverantwortlich.