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Narges Kalhor: Ich bin nicht dumm, ich kann nur eure Sprache nicht!

„Shahid“, Narges Kalhors fulminanter Mix aus Doku, Theater und Musical, ist in den deutschen Kinos gestartet – nach einer preisgekrönten Weltpremiere auf der Berlinale im Februar. Kalhor ist die Tochter des ehemaligen Beraters von Mahmoud Ahmadinejad und lebt seit 2009 in Deutschland, nachdem sie ei

Narges Kalhor: Ich bin nicht dumm, ich kann nur eure Sprache nicht!
Fotograf*in: Privat

Narges, dein Film ist ein Mix aus verschiedenen Genres und Stilen. Wie kommt man darauf, einen Stoff in dieser Art und Weise zu erzählen?

Ich habe viel zu viele Jahre Film studiert. Schon im Iran studierte ich Film. In Deutschland wurde dieses Studium nicht anerkannt, also musste ich hier wieder von vorne anfangen. Ich bin aus diesem Grund seit 20 Jahren auf verschiedenen Festivals und schaue mir ständig Filme an. Ich weiß genau, was jedes Jahr auf Festivals zu sehen sein wird, was in Mode ist. Mir war bewusst, dass ich etwas anderes machen möchte. Und zwar so, damit es nicht in ein bestimmtes Genre reinpasst. „Shahid“ ist kein Musical, aber es ist auch keine Doku. Der Film ist auch keine Fiktion. Es ist nicht so experimentell, aber es ist auch nicht klassisch erzählt. Ich wollte also eine andere Art von Erzählung im Kino zeigen. Das ist das Ergebnis nach so vielen Jahren Filmstudium.

War das eine Herausforderung, auch im Hinblick auf die Zusammenarbeit mit deinen deutschen Produzenten?

Es ist immer riskant, solche Art von Filme zu machen. Weil es schwierig ist, einen Film zu produzieren, wo man zum Vergleich keine vorherigen Filme vorlegen kann. Es war also richtig schwierig, diesen Film zu pitchen. Ich hatte das Glück, dass mein Abschlussfilm „In the Name of Scheherazade“ eine gute Vorlage war und meine Produzenten ungefähr abschätzen konnten, in welche Richtung das Ganze gehen wird. Ich war mir sicher, wenn wir eine Zusage von einem Festival, einem guten, großen Festival bekommen, dass es danach gut laufen wird.

Das habe ich auch damals meinem Produzenten gesagt, dass die Zuschauenden richtig Durst auf etwas Neues haben, sie diesen Film weiterempfehlen werden und alle Vorführungen ausverkauft sein werden, wir müssen nur diese eine Zusage bekommen. Die erste Zusage von der Berlinale war also sehr mutig von ihnen, weil wir davor nicht wussten, ob wir in irgendein Programm reinpassen. Somit ist „Shahid“ für mich nach 15 Jahren in Deutschland eine Art Abschluss.

Inwiefern?

Ich bin eine von wenigen Geflüchteten, die direkt nach dem Asylantrag eine Zusage von der Filmhochschule München bekommen haben. Das heißt, ich war als VIP-Filmemacherin bei einem Festival und dann in den Nachrichten wegen meines Vaters, wurde überall präsentiert und dann gleich an der Filmhochschule zugelassen. Dort bin ich dann auch hin. Das heißt, ich bin in dieser Gesellschaft immer in einer Blase gewesen. Ich war sehr willkommen, es war schön, eine Ausländerin zu sein. Es war schön, einen anderen Background zu haben. Ich habe wahnsinnig viel Anerkennung in der deutschen Filmlandschaft bekommen. Aber die Geschichte meines Asylantrags ist nicht alles. Ich habe auch noch andere Geschichten zu erzählen nach 15 Jahren. Ich schätze es sehr, dass ich in Deutschland im deutschen Filmgeschäft Filme mache und auch weiterhin Support bekomme. Doch als Nächstes möchte ich etwas anderes erzählen, nicht mehr nur über mich. Nicht mehr nur mit der Ich-Perspektive.

Du hast vorhin erwähnt, dass dein Studium in Deutschland nicht anerkannt wurde.

Ja, ich habe Film und Grafikdesign im Iran studiert. Dann war ich in Deutschland und nichts wurde anerkannt. Das war sehr traurig und frustrierend, weil ich die ganze Theorie neu machen musste und mein Deutsch war nicht so gut. Es war sehr anstrengend, die ersten Jahre an der Filmhochschule. „Hey, ich bin nicht dumm, ich kann nur eure Sprache nicht!“ Doch ich habe nicht nur die Sprache, sondern auch die deutsche Mentalität gelernt und die Strukturen der Filmszene. Im Iran herrscht immer eine außergewöhnliche Situation, wir als Gruppe müssen uns immer spontan umentscheiden. Das heißt, der Filmdreh kann immer schieflaufen und wie wir darauf reagieren und das Beste daraus machen, das zählt. Im Iran gibt es kaum Geld, kaum Equipment, kaum Möglichkeiten, mit dem Staat zusammenzuarbeiten. Fast alles ist illegal und „underground“.

Aber die Freunde haben Zeit dafür und man setzt sich zusammen und mit dem Geringsten sucht man das Beste. In Deutschland habe ich das Gefühl gehabt, okay, hier gibt es zwar alles, aber es ist unreflektiert und nicht flexibel. Ich finde eine Balance zwischen diesen zwei Herangehensweisen gut, weil ich in Deutschland Planung gelernt habe. Hier hat jeder seine eigene Verantwortung. Teamwork funktioniert richtig, du weißt genau, wer teilnimmt und dabei ist. Im Iran war es eher spontaner. Filme laufen manchmal gut, manchmal schlecht, die Hauptsache ist, dass wir während des Films das Leben genießen.

Wenn du über diese Balance zwischen dem iranischen und deutschen Filmemachen sprichst, wie ist denn dein Blick auf das Land heute? Vor allem als Exil-Iranerin? Und wie findest du diesen Begriff eigentlich?

Erstmal zum Begriff Exil-Iranerin, das ist eine Sache, die mich geärgert hat, also ob man mich als Filmemacherin ernst nimmt oder nur als die, die im Exil ist. Wenn es für die Medien besser klingt, bin ich die Iranerin, wenn es im Ausland besser läuft, bin ich die deutsche Regisseurin. Aber egal, wie sie mich nennen. Mein Film läuft in deutschen Kinos. Ich war jetzt in über 15 Screenings in Deutschland und fast alles war ausverkauft. Da sagt auch niemand, Deutsche oder Iranerin. Es geht einfach um einen Menschen, der hier lebt. Ich zeige gerne meinen Film.

Und zum Thema Iran, die Menschen kämpfen immer noch. Alle meine Freunde sind noch am kämpfen. Besonders wenn sie ihr Auto verlieren, ihr Konto gesperrt wird, sie ihre Arbeit verlieren. In Deutschland wird das so verharmlost, dass Frauen ihr Kopftuch abnehmen und alles ist einfach. Aber sie leiden am meisten. Das muss man einfach so sagen. Und sie sind jetzt wieder in einem tiefen Loch gefangen, genau wie damals, zwei, drei Jahre nach der Grünen Revolution, als ich in Deutschland war. Irgendwann habe ich aufgehört, Nachrichten über den Iran zu lesen, weil ich dachte, ich verliere meine Gegenwart in Deutschland, ich muss zur Filmhochschule, jeden Tag um sechs Uhr aufstehen, ich kann nicht jede Nacht weinen. Und jetzt habe ich dasselbe Gefühl. Die gesamte Weltpolitik ignoriert es. Ich denke, wir Iraner*innen, unabhängig von der Politik, wissen schon, auf welcher Seite der Geschichte wir stehen.

Wie blickst du heute auf die iranische Filmszene, die ja auch ständig unter schweren Bedingungen arbeiten muss?

Jetzt kann man mit Handys drehen, Ton und Schnitt sind viel einfacher geworden, Dateien können über Telegram an Festivals verschickt werden. Ich habe früher auch im Iran mit gefälschten Genehmigungen gedreht und musste noch DVDs an Festivals verschicken. Filmemachen für uns Iraner*innen ist verbunden mit unserer Historie und Sprache. Es ist wie unsere Waffe, unsere Pistole. Das war auch vor der Grünen Revolution so. Ich finde es wahnsinnig schön, über Metaphern zu sprechen. Bei uns ist Poesie sehr wichtig und sie ist auch in unsere Filme gewandert. Obwohl ich ganz andere Filme mache als iranische Filmemachende, weil ich eben eine Cinemigrantin bin und versuche, eine Art Brücke zwischen „nicht Deutsch“ und „nicht Iranisch“ zu schlagen, bin ich doch wahnsinnig stolz darauf, dass die Menschen aus dem Iran so tolle Filme machen. Wie sie bewegte Bilder wahrnehmen, ist ganz anders als im Westen, ganz anders als das, was wir hier an Filmhochschulen lernen. Ich bin stolz darauf. Iranische Filmemachende schaffen es immer, mit einem lachenden und weinenden Auge Filme zu erzählen.

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