Laut einer repräsentativen Online-Befragung des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung erwägen mehr als ein Viertel der eingewanderten Menschen in Deutschland, das Land wieder zu verlassen. Wie der Forscher Lukas Olbrich erklärt, erwägen besonders die „für Erwerbs- und Bildungszwecke zugezogenen, besser gebildeten, wirtschaftlich erfolgreichen sowie sprachlich besser integrierten Migranten“, wieder auszuwandern.
Hauptgründe seien die politische Unzufriedenheit, persönliche Gründe, steuerliche Belastungen sowie die Bürokratie. Von geflüchteten Personen werden Diskriminierungserfahrungen als Hauptgrund genannt. Die IAB-Forscherin Katrin Gallegos-Torres betont, dass Auswanderungsabsichten nicht zufällig entstehen: „Sie sind das Ergebnis eines komplexen Zusammenspiels individueller Motive, persönlicher Merkmale wie Geschlecht, Alter und Bildung, der sozialen und wirtschaftlichen Integration sowie der gesellschaftlichen Akzeptanz.“
Wenn ich das lese, gehe ich gedanklich all die Nachrichten der letzten Wochen durch. Das Asylrecht wird beschränkt, die Einbürgerung nach drei Jahren wird abgeschafft, der Familiennachzug ausgesetzt und Bundeskanzler Friedrich Merz spricht von einer 42-Stunden-Woche, um wirtschaftliches Wachstum und die Wettbewerbsfähigkeit wieder in Schwung zu bringen. Die gesellschaftliche und politische Stimmung sagt: „Wir“ wollen in Deutschland keine Migrant*innen und Geflüchtete mehr. Rassismus, Rechtsextremismus, Antisemitismus und Islamfeindlichkeit nehmen zu. Ein 12-jähriges Mädchen wird Opfer eines rassistischen Angriffs in Berlin. Ein zehnjähriges Mädchen wird aufgrund einer geplanten Abschiebung aus dem Sportunterricht von der Polizei abgeführt – unter Tränen und Angst. Das sind keine Einzelfälle.
Ich erinnere mich an das Deutschland, in dem ich aufgewachsen bin. Oder in dem ich glaubte, aufgewachsen zu sein. Die Werte, die mir vermittelt wurden, waren weit von Rassismus und Rechtsextremismus entfernt. Ich frage mich nun: War das wirklich Deutschland oder hat meine deutsche und polnische Familie mir diese Werte vermittelt? Eine Familie, die von Geschichten des Zweiten Weltkrieges und die verheerenden Folgen von Rassismus und Rechtsextremismus geprägt war. Nun besuche ich meine Familie in Polen zum ersten Mal als Muslima und mit einem Hijab auf meinem Kopf und mein Onkel fängt bitterlich an zu weinen – aus Angst, dass ich von einer islamfeindlichen Person angegriffen werden könnte.
Ich bin nicht überrascht über die Ergebnisse der Befragung. Ich finde, sie fallen sogar noch milde aus. Denn auch ich sehe immer weniger eine Zukunft in Deutschland für mich. Ich vertrete nicht die Werte eines Landes, welches flüchtende Menschen und Menschen mit Migrationsgeschichte als Grund für politisches Versagen missbraucht. In dem die Menschenwürde unseres Grundgesetzes scheinbar nicht für Menschen zählt, die an den Grenzen auf eine Zukunft hoffen. Ein Land, in dem der Begriff „Integration“ in der politischen Debatte eher als Assimilation definiert wird, in dem Migrant*innen und Geflüchteten also ihre Persönlichkeit und ihr kulturelles Erbe genommen werden, damit sie als Teil der Gesellschaft akzeptiert werden.
Das ist kein Land, in dem ich meine Kinder großziehen will. Und ich weiß, dass es auch für viele andere immer mehr Gründe gibt, die sie dazu bewegen, über ein Auswandern nachzudenken.