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4 Min. Lesezeit Persönliche Geschichten

Carolina Piñeros über globale Zusammenhänge politischer Probleme

Carolina (29) kommt vor 10 Jahren von Kolumbien nach Deutschland und will Psychotherapeutin werden. Sie arbeitet als Dolmetscherin und engagiert sich politisch. Als Migrantin hat sie in zwei Welten gleichzeitig Einblick.

Carolina Piñeros über globale Zusammenhänge politischer Probleme

Carolina Piñeros kommt als 19-Jährige nach Deutschland, um in Wiesbaden als Au-Pair zu arbeiten. Sie will unbedingt studieren, doch ihre Familie in Kolumbien kann sich keine gute Universität vor Ort leisten. Nach dem Besuch eines Studienkollegs erhält sie einen Studienplatz für Psychologie in Hamburg.

Heute ist Carolina mit ihrem Bachelor fertig. Ihr Traum ist es, Psychotherapeutin zu werden und für die südamerikanische Community Therapie auf Spanisch anzubieten. Der Bedarf für Menschen mit Migrationsgeschichte ist groß und es gibt zu wenige Psychotherapeut*innen, die eine Fremdsprache fließend beherrschen. „Ich brenne so ein bisschen für Trauma“, sagt Carolina. Besonders Mehrfachtraumatisierungen kommen bei Menschen mit Flucht- und Migrationserfahrung gehäuft vor. Wie der Alltag für Menschen aussieht, wenn sie gerade frisch in Deutschland ankommen, weiß Carolina aus eigener Erfahrung, und ebenso aus ihrer Lohnarbeit. Als Dolmetscherin arbeitet sie für das Erstaufnahmezentrum für Geflüchtete und das Amt für Migration in Hamburg.

„Heutzutage sind wir schuld, weil wir der Welt Kokain gegeben haben“

Den Großteil ihrer Zeit investiert Carolina allerdings in ihr Kollektiv Colombia Solidaria Hamburg. Menschen aus Kolumbien haben sich hier 2019 zusammengeschlossen – damals gab es in Kolumbien einen sozialen Streik auf nationaler Ebene. Und das hat auch die kolumbianische Diaspora in Hamburg bewegt. Während der Arbeit im Kollektiv wird Carolina immer bewusster, dass die Probleme, mit denen sie konfrontiert ist, keine individuellen sind, sondern kollektive, strukturelle, globale Probleme. Sei es die Konfrontation mit Stereotypen wie „heiße Latina“ oder die sofortige Assoziation von Kolumbien mit Kokain.

„Coca ist kein Kokain“, ist eine der Botschaften, die das Kollektiv verbreiten möchte. Als Kolumbianerin wird Carolina oft auf dieses Thema angesprochen. Coca ist eigentlich eine heilige Pflanze der indigenen Communities in Kolumbien. Dass man daraus das Alkaloid Kokain gewinnen kann, hat übrigens ein Deutscher entdeckt (Albert Niemann, Anm. der Autorin). Carolina stellt Fragen: „Wie gehen Weiße in unsere Territorien und nehmen sich etwas und machen daraus etwas?“ Und: Wer kauft das eigentlich? „Heutzutage sind wir schuld, weil wir der Welt Kokain gegeben haben.“

„Man weiß ja auch nicht, wie man mit dem Zug fährt“

Seit ihrer Ankunft in Deutschland ist Carolina immer wieder mit Hürden konfrontiert. Während ihrer Zeit als Au-Pair verliert die Ausländerbehörde in Hessen ihre Unterlagen. Sie muss ausreisen und kann erst einige Wochen später, nachdem der Vorfall geklärt wurde, zurück nach Deutschland kommen. Viel Geld für Flüge wird fällig. Sie braucht einige Zeit, um sich hier einzuleben. Alles ist neu. „Man weiß ja auch nicht, wie man mit dem Zug fährt“, beschreibt sie ihre anfänglichen Schwierigkeiten, sich in Deutschland zurechtzufinden.

Und auch der Traum von der Arbeit als Psychotherapeutin scheint noch schwer realisierbar. Um Psychotherapeutin zu werden, braucht sie einen Masterabschluss. Doch einen Masterplatz in Psychologie zu bekommen, ist schwer. Dafür braucht man sehr gute Noten, Zeit und Geld. Das ist bereits für Muttersprachler*innen mit gut situiertem Hintergrund eine Herausforderung, für Carolina nochmal umso mehr. Auch ihr Aufenthaltstitel ist von ihrem Studium abhängig und ohne den Masterplatz nicht gesichert. Seit dem 27. Juni ist in Deutschland die doppelte Staatsbürgerschaft für alle erlaubt. Darauf will sich Carolina demnächst bewerben.

Es geht darum, wie wir als Menschen im Einklang mit der Natur gut leben können

Die Arbeit im Kollektiv Colombia Solidaria Hamburg richtet sich an der Philosophie des „buen vivir“ aus, auf Deutsch „Das gute Leben“. Es geht darum, wie wir als Menschen im Einklang mit der Natur gut leben können. Das Kollektiv organisiert Ausstellungen und Workshops, und lädt Aktivist*innen und Indigene ein, um ihnen eine Bühne zu geben. Spenden und Einnahmen daraus gehen an Organisationen in Kolumbien, zum Beispiel an ein Projekt zur Unterstützung psychisch kranker Kinder oder an eine Bildungseinrichtung.

Vor allem ist das Kollektiv aber auch ein Netzwerk für die ca. 25 Mitglieder und ein Ort, an dem sie sich gegenseitig unterstützen können. Carolinas Anliegen ist es, dass jede einzelne Person versteht, dass die eigene Erfahrung wertvoll ist; egal wo, wir alle sind Akteurinnen. „Wir sehen nicht nur und wir lernen nicht nur, sondern wir agieren auch in dieser Gesellschaft.“ Carolina wünscht sich, dass Migrantinnen verstehen, dass sie an den Orten, an denen sie leben, ebenfalls Akteur*innen sind.

„Ich glaube schon, dass es wichtig ist, meine Stimme zu erheben und auch mitzuteilen, was ich sehen kann“

Migrantinnen haben, so Carolina, die „Superpower“, zwei Welten gleichzeitig sehen und verstehen zu können. Lokale und globale Probleme und wie sie miteinander vernetzt sind, können so sichtbar gemacht werden, weil Migrantinnen das größere Ganze im Blick haben. Für Carolina ist es wichtig, diese besonderen Einsichten mit der Welt zu teilen: „Ich glaube schon, dass es wichtig ist, meine Stimme zu erheben und auch mitzuteilen, was ich sehen kann.“ Anderen Menschen, die diese Zusammenhänge nicht sehen können, unterstellt sie aber keine bösen Absichten: „Ich glaube nicht, dass die Leute das nicht wahrnehmen möchten, sondern dass es einfach nicht auf dem Radar ist.“

Carolina ist sich sehr bewusst darüber, wie diese globalen Zusammenhänge Einfluss auf ihr persönliches Leben nehmen. Eigentlich wäre sie gerne in Kolumbien geblieben. In der Nähe ihrer Familie. Aber das ist nicht möglich, wenn sie ihre Träume und Ziele erreichen möchte. Das Land ist zu verarmt und mit Schulden überladen. „Aber das ist nicht nur ein Problem von meiner Familie oder von meinem Land, sondern das ist ein globales Problem.“ Für Carolina ist es unverständlich, wie der globale Norden so viel von anderen Ländern aus dem globalen Süden wegnehmen und sich dann darüber beschweren kann, dass diese Menschen hierherkommen.

Die ständige Anpassung bewirkt auch persönlich etwas in einem

„Die Kolonialisierung hat man im Kopf.“ Von außen wird ihr anfangs eingeredet, dass sie nicht richtig ist, zu laut, zu anders. Deshalb ändert sich Carolina, sie passt sich an. Diese Anpassung hat in ihr lange das Gefühl bewirkt: „So wie ich bin, ist es nicht richtig.“ Erst durch den Austausch im Kollektiv wird ihr bewusst, dass sie gut und richtig ist, so wie sie ist. Nicht falsch, einfach anders.

Den Austausch möchte sie auch anderen ermöglichen. Zusammen mit einer Freundin gründet sie eine Gruppe für den Austausch von Erfahrungen unter Au-pairs. „Dadurch dass man hier bleiben möchte und etwas von dem Land und den Menschen möchte, erlaubt man ganz viele Sachen, die nicht okay sind.“ Aber wenn man jung ist, dann sind einem solche Sachen nicht bewusst, sagt Carolina und will andere vor schlechten Erfahrungen bewahren. Die ständige Anpassung bewirkt auch persönlich was in einem. Viel von der eigenen Kultur geht in diesem Prozess verloren. Das ist schade, findet Carolina und engagiert sich, damit das nicht passiert.

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