Wenn wir an nationale Sicherheit denken, beinhaltet das oft den Schutz der Integrität oder der Souveränität eines Landes vor externen Bedrohungen wie militärischen Angriffen, Cyberkriminalität oder auch Terrorismus. Wenn wir Sicherheit jedoch in Verbindung mit Migration hören, geht es oftmals nur um innenpolitische Themen. Migration wird zum Sicherheitsrisiko und als Gefahr für die innere Sicherheit deklariert. Das sieht man immer wieder in den Medien, in denen Migrant*innen oftmals nur mit Negativnachrichten in Verbindung gebracht werden. Sie werden zu Sündenböcken für ökonomische und politische Schwächen in ihrem Ankunftsland. Das hat verheerende politische und soziale Folgen für Geflüchtete – eine Bestandsaufnahme
Versicherheitlichung: Legitimation einer restriktiven Migrationspolitik
Versicherheitlichung ist eine Teildisziplin der Politikwissenschaften und ein zentrales Konzept der sogenannten Kopenhagener Schule. Das Konzept zeigt, wie einflussreiche politische Akteur*innen relevante Themen als „Sicherheitsprobleme“ darstellen, um dann für deren „Lösung“ gesellschaftliche Aufmerksamkeit und Unterstützung zu mobilisieren. Es wird eine angeblich sicherheitsgefährdende Ausnahme- bzw. Bedrohungssituation konzipiert, die nur durch außerordentliche Maßnahmen und manchmal auch unter Umgehung demokratischer Regeln und Verfahren gelöst werden kann.
Für die Migrationspolitik bedeutet das die Instrumentierung von objektiven Ängsten wie dem Zusammenbruch des Sozialsystems, Wohnungsnot und fehlenden Arbeitsplätzen als auch von subjektiven Ängsten wie dem Verlust von kulturellen Werten, Identität und der allgemeinen Homogenität. Im Zentrum steht die irreguläre Migration als Bedrohung für die sozioökonomische, territoriale und kulturelle Sicherheit.
Deshalb ist das Ziel einer versicherheitlichten Migrationspolitik, Migrationsbewegungen zu stoppen oder unterbrechen. Zu einer Versicherheitlichung kommt es häufig nach gesellschaftlichen Umbrüchen, wie zum Beispiel nach 9/11. In Deutschland hat die große Anzahl geflüchteter Menschen 2015 zu einer zunehmenden Versicherheitlichung beigetragen.
Politische Auswirkungen
Ein Resultat: die verstärkte Überwachung von Grenzen. Der Schengen-Raum, der 22 EU-Mitgliedstaaten und 4 Nicht-EU-Mitgliedsländer umfasst, garantiert über 400 Millionen Bürger*innen uneingeschränkten Personenverkehr. Im Jahr 2017 hatten Rumänien, Polen, Italien, Portugal und Bulgarien die höchste Zahl an Bürger*innen, die in anderen EU-Mitgliedstaaten lebten.
Dennoch steht die Freizügigkeit in Europa vor Herausforderungen. Im Jahr 2015 setzte die Flucht über das Mittelmeer nach Europa das gemeinsame europäische Asylsystem unter Druck und beeinträchtigte die Funktionsweise der Schengen-Regeln. Dies führte zu einer vorübergehenden Aussetzung des Dublin-Systems und zur Einführung von Grenzkontrollen durch mehrere Mitgliedstaaten. Jährlich werden mehrere Millionen Euro für Grenzkontrollen ausgegeben, die die Koordinierung von Operationen zur Überwachung von Migrationsströmen, Bekämpfung von grenzüberschreitender Kriminalität sowie die Verhinderung von illegalen Grenzübertritten beinhalten.
Allein der Haushalt von Frontex, der europäischen Agentur für Grenz- und Küstenwache, die eine Schlüsselrolle im Schutz der Außengrenzen einnimmt, betrug laut Mediendienst Integration 2020 eine Höhe von 450 Millionen Euro. Das ist fast doppelt so viel wie die Haushaltsmittel von 2016. Bis 2027 soll Frontex noch weiter ausgebaut werden. Es soll eine ständige Reserve mit 10.000 Einsatzkräften geben, außerdem soll Frontex die EU-Mitgliedstaaten stärker bei Abschiebungen und Drittstaaten beim „Grenzenmanagement“ unterstützen. Und dass, obwohl Frontex seit Jahren in der Kritik für Grundrechtsverletzungen und für illegale Zurückweisungen von Schutzsuchenden, sogenannte Pushbacks, steht.
Darüber hinaus gibt es Studien wie den jährlich erscheinenden „The World Migration Report“ der International Organization for Migration (IOM), die belegen, dass eine Militarisierung und Aufrüstung von Grenzen nicht dabei helfen, „irreguläre“ Migration einzudämmen. Eine verstärkte Militarisierung würde lediglich dazu führen, Kontrollen zu umgehen, Migrationsrouten zu verschieben oder den Preis von Schleppungsdiensten zu erhöhen, die dann andere Wege finden, die für die Migrant*innen noch viel gefährlicher sind.
Die Gründe für „irreguläre“ Migration liegen oft in den Herkunftsländern selbst und umfassen Armut, militärische Auseinandersetzungen sowie fehlende Chancen im Herkunftsland. Um das Problem zu lösen, sollte man nicht auf mehr Grenzkontrollen, sondern auf Maßnahmen zur Abschaffung von Fluchtursachen in den Ländern setzen.
Nährboden für rechte Ideologien
Politische Rhetorik und öffentliche Diskurse über Migration sind zuweilen von anti-migrantischen Stimmungen dominiert. Im Verlauf der Jahre 2017 und 2018 verbreiteten rechtsextreme Gruppen in ganz Europa Mythen oder „Fake News“ über Migration. Dies war am deutlichsten in den koordinierten Online-Kampagnen gegen den globalen Pakt für Migration durch rechtsextreme Aktivist*innen, einschließlich über soziale Medien, Online-Petitionen und Videos. Die negativen Kampagnen spielten eine bedeutende Rolle dabei, Gegenreaktionen gegen den globalen Pakt für Migration in mehreren europäischen Ländern hervorzurufen, was einige Regierungen veranlasste, sich aus dem Migrationspakt zurückzuziehen.
Allgemeine Einstellungen zur Einwanderung bleiben ebenfalls polarisiert, während eine negative anti-einwanderungspolitische Rhetorik weiterhin in mehreren nationalen Wahlen in Europa im Mittelpunkt steht. Eine Umfrage der Europäischen Kommission aus dem Jahr 2018 ergab, dass vier von zehn Europäer*innen die Einwanderung eher als Problem als eine Chance betrachten. In einer separaten Umfrage, die in zehn EU-Ländern vom Pew Research Center durchgeführt wurde, sagte mehr als die Hälfte, dass sie weniger migrierte und geflüchtete Menschen in ihren Ländern haben möchten.
Diese anti-migrantische Stimmung wird oft von der Politik missbraucht, um Wähler*innenstimmen zu generieren. Migrant*innen seien verantwortlich für steigende Preise auf dem Wohnungsmarkt oder für die zunehmende Arbeitslosigkeit. Die Politik bietet dafür vermeintlich einfache Lösungen, und zwar die Eindämmung von Migration. Die AfD wirbt zum Beispiel in ihrem Wahlprogramm für eine starke Begrenzung der Einwanderung und um die Einführung von „physischen Barrieren“ und das alles, um eine „deutsche Identität“ zu wahren.
Das „humanitäre“ Narrativ
Menschen, die ihre Heimat verlassen, um nach Europa zu gelangen, werden oft als potenzielle Sicherheitsrisiken dargestellt. Dennoch gibt es innerhalb bestimmter politischer Kreise und der engagierten Zivilgesellschaft Widerstand gegen dieses Bild. Man betont, dass Vorurteile überwunden werden müssen, um Raum für neue, positivere Geschichten über Migration zu schaffen. Um die Meinungshoheit nicht zu verlieren, entwickeln die Europäische Union und nationale Regierungen neue Erzählungen, die oberflächlich betrachtet humanitärer wirken. Allerdings argumentieren Fachleute im Bereich Migrationsforschung, dass hinter diesen Erzählungen das gleiche sicherheitsorientierte Verständnis von Migration steckt. Dieses Verständnis wird dann mit den gleichen Methoden und Ergebnissen umgesetzt.
Ein Beispiel hierfür ist das sogenannte „humanitäre“ Narrativ, dass Migrant*innen nicht als eigenständige Individuen, sondern als Objekte der Bedrohung wahrnimmt. Sie werden nun als Schutzbedürftige dargestellt, die gerettet werden müssen. Dabei wird betont, dass Migrant*innen und Flüchtende vor Gefahren auf ihren Routen geschützt werden müssen, sei es vor „kriminellen Schlepperbanden“, Menschenhandel oder vor Gewalt. Doch auch dieses Narrativ dient letztlich dazu, restriktive Grenz- und Migrationspolitiken zu rechtfertigen.
Ein Ausblick
Angst ist ein wichtiger Bestandteil, wenn es um die Versicherheitlichung von Migration geht. Aber ist diese Angst auch berücksichtigt? Es gibt Studien und Untersuchungen, die darauf hinweisen, dass Migration positive wirtschaftliche Effekte haben kann und dass die Teilhabe von Menschen mit Flucht- und Migrationsgeschichte dazu beitragen kann, das Wirtschaftswachstum zu fördern und Fachkräftemangel in einigen Sektoren zu mildern. Zum Beispiel können sie oft Arbeitsplätze besetzen, die von der einheimischen Bevölkerung nicht wahrgenommen werden.
Es gibt jedoch auch Diskussionen über einige soziale und wirtschaftliche Herausforderungen im Zusammenhang mit Migration. Einige Studien haben darauf hingewiesen, dass in einigen Fällen die Konkurrenz um begrenzte Ressourcen wie Wohnraum, Bildung und soziale Unterstützung zwischen migrierten und geflüchteten Menschen und Einheimischen zu Spannungen führen könnte.
Es ist jedoch wichtig zu betonen, dass diese Auswirkungen stark von der Kontextualisierung abhängen und nicht pauschalisiert werden sollten. Migration ist ein komplexes Phänomen, das viele Facetten hat. Die wirtschaftlichen, sozialen und politischen Auswirkungen von Migration sind stark von verschiedenen Faktoren beeinflusst, wie der Art der Migration, der Integrationspolitik und der wirtschaftlichen Lage des Ankunftslandes.