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4 Min. Lesezeit Persönliche Geschichten

Wie der Kieler Nähtreff Frauen stärkt

Der Nähtreff des Vereins Kiel hilft e. V. gibt geflüchteten Frauen die Gelegenheit, bei kreativer Arbeit Deutsch zu lernen, neue Kontakte zu knüpfen und sich auszutauschen. kohero-Autorin Laura war zu Besuch.

Wie der Kieler Nähtreff Frauen stärkt
Fotograf*in: Laura Martin

Mary aus dem Sudan besucht zum ersten Mal den offenen Nähtreff des Vereins Kiel hilft e. V. und wagt sich an eine der Nähmaschinen. Hier, in einem Raum voller Stoffe, entstehen nicht nur Kleider, sondern auch Freundschaften und ein starkes Gefühl der Gemeinschaft. Frauen unterschiedlicher Herkunft finden beim Nähen Ruhe und Ablenkung und lernen ganz nebenbei auch Deutsch.

Mary ist aufgeregt, denn sie wird heute etwas Neues ausprobieren. Sie sitzt an einem der Tische am Fenster, vor ihr eine Nähmaschine und um sie herum Stoffe in den verschiedensten Farben und aus ganz unterschiedlichen Materialien. Ein Bügelbrett steht vor einem Schrank, daneben lagern große, schwere Säcke mit Stoffspenden.

„Ich habe bei mir zuhause einige Kleiderstücke, die ich gerne reparieren möchte. Bei einer Jacke ist beispielsweise der Reißverschluss kaputt und eine Hose muss gekürzt werden“, sagt Mary, „ich habe allerdings noch nie mit einer Nähmaschine gearbeitet und bin gespannt, ob das wohl schwer ist.“

Mary ist das erste Mal beim Nähtreff

Von der Kleiderkammer zum Nähtreff

Angeleitet werden die Teilnehmerinnen der Nähstube von Barbara Richter. Die gebürtige Kielerin strahlt eine unglaubliche Ruhe und Gelassenheit aus, wirkt dabei zufrieden und wenn sie spricht, wird mehr als deutlich, wie wichtig ihr dieser Nähtreff ist.

2016 hat sie gemeinsam mit weiteren Mitgliedern des Vereins eine Kleiderkammer für Geflüchtete und Bedürftige ins Leben gerufen. Doch viele der gespendeten Kleidungsstücke passten nicht, Hosen waren zu lang, Hemden zu breit und Pullover zu eng.

Barbara Richter leitet den Kieler Nähtreff

Barbara erinnert sich: „Das war quasi die Geburtsstunde des Nähtreffs. Wir haben mit einer einzigen Nähmaschine angefangen, Kleidung zu bearbeiten und schnell war klar, dass wir mehr Maschinen brauchen. Also schaltete ich eine Annonce bei Ebay Kleinanzeigen, dass unser Verein gebrauchte, gut erhaltene Nähmaschinen sucht.“

Mit Erfolg. Mittlerweile verfügt der Verein über sechs funktionierende Nähmaschinen, die fleißig genutzt werden. Es sind überwiegend Frauen, die sich jeden Donnerstagnachmittag treffen. Oft bringt Barbara Kaffee und Kuchen mit und die Frauen nutzen die gemeinsame Zeit auch, um sich in Ruhe auszutauschen.

Austausch auf Deutsch

„Wir reden hier sehr viel, und zwar ausschließlich auf Deutsch. Das ist eine meiner Regeln – beim Nähtreff wird Deutsch gesprochen. So lernen die Frauen am meisten. Natürlich ist es manchmal auch schwierig, sich zu verständigen, aber mit Händen und Füßen geht es dann doch.“

Inzwischen hat sich Mary für einen dunklen, karierten Stoff entschieden. Mit einer Schere scheidet sie zunächst einige Quadrate zurecht und dann geht es direkt ans Nähen. Vorsichtig legt sie die Stoffstücke unter die Nähmaschine, dann ertönt ein leises Rattern und Mary setzt ihre erste Naht. „Das bringt auf jeden Fall Spaß und ist mal etwas Anderes zwischen Sprachkurs und meinem Minijob im Krankenhaus. Und es ist so toll, sich mit den anderen Frauen zu unterhalten“, sagt Mary, und in ihrer Stimme klingt Begeisterung mit.

Nähen lenkt ab

Es tut den Frauen gut, einmal ohne ihre Männer und Kinder zusammenzukommen und sich ganz auf sich zu konzentrieren. Viele haben in ihren Heimatländern und auf der Flucht traumatische Erfahrungen gemacht. Das Nähen lenkt davon ab, beruhigt ein wenig und bringt die Frauen auf andere Gedanken. Barbara ergänzt: „Wir sind eine Community, die zusammenhält. Die Frauen helfen sich hier gegenseitig, zeigen einander, wie es geht“, ergänzt Barbara, „und mit der Zeit sind wir zu einer richtigen, kleinen Familie zusammengewachsen und das ist doch wirklich toll. So kann Integration funktionieren.“

Von Anfang an mit dabei ist auch Brween Sorai. Mit geübten Fingern näht sie eine Kissenhülle aus weinrotem Samt. Es soll für die Couch in ihrem Wohnzimmer sein, dazu passt die Farbe sehr gut. Die Irakerin erklärt: „Für ein solches Kissen brauche ich in etwa 30 Minuten, mittlerweile bin ich echt schnell geworden, das war aber nicht immer so. Aber ich habe sehr viel geübt und Barbara hat mir alles gezeigt. Jetzt bringt es mir große Freude, etwas mit meinen Händen zu machen, kreativ zu sein.“

Brween Sorai ist von Anfang an mit dabei

Stolz und Zufriedenheit

Als der Nachmittag langsam zu Ende geht, ist Marys erste Naht fertig. Sie hält das Stoffstück in den Händen und betrachtet es mit einer Mischung aus Stolz und Zufriedenheit. Die anderen Frauen lächeln ihr aufmunternd zu und freuen sich mit ihr. Und auch Barbara ermutigt Mary und sagt mit einem warmen Lächeln: „Das hast du gut gemacht. Mit ein bisschen Übung wird das immer leichter, glaub mir.“

Und Mary fühlt sich langsam angekommen – in dieser kleinen Gemeinschaft, in der es nicht nur ums Nähen geht, sondern auch um Zusammenhalt, Solidarität und Unterstützung.

Denn der Nähtreff gibt den Frauen auch ein Stück Normalität in einem Leben, das für viele von ihnen von Unsicherheit und Veränderungen geprägt ist. Hier, in diesem Raum voller bunter Stoffe und summender Nähmaschinen, entsteht ein Gefühl der Vertrautheit und des Miteinanders.

Und als Mary ihre Sachen packt und sich von den anderen verabschiedet, weiß sie, dass sie nächste Woche wiederkommen wird. Nicht nur, um ihre Hose zu kürzen oder den Reißverschluss der Jacke zu reparieren, sondern um auch weiterhin ein Teil dieser starken und wachsenden Gemeinschaft zu sein. Sie hat heute etwas Neues ausprobiert – und dabei viel mehr als nur das Nähen gelernt. Denn hier, im Nähtreff, ist Integration greifbar. Und das vor allem durch das stille Miteinander.

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