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Ruhrbahn: Ohne Migration steht die Mobilität still

Bei der Ruhrbahn kann jede*r Busfahrer*in werden – auch ohne deutsche Sprachkenntnisse. Ein speziell entwickeltes Ausbildungsprogramm beginnt mit einem Sprachkurs und führt Schritt für Schritt über Fahrpraxis und Führerschein zur festen Anstellung. Das Ergebnis: Bis zu 80 % der Mitarbeitenden haben eine Migrationsgeschichte

Fotograf*in: Ruhrbahn

Viele deutsche Unternehmen haben Schwierigkeiten, qualifizierte Fachkräfte zu finden. Ohne Arbeiter*innen funktioniert die Wirtschaft nicht, insbesondere für Verkehrsbetriebe. Die Industrie bildet immer öfter Menschen mit Migrationsgeschichte aus, um neue Fahrer*innen zu gewinnen. Wie etwa die Ruhrbahn, ein regionales Verkehrsunternehmen aus Essen und Mülheim. Das Unternehmen fördert Vielfalt und bemüht sich, das Arbeitsumfeld so zu gestalten, dass alle neuen Mitarbeitenden sich wohl fühlen.

 

Arbeitskräftemangel im Fahrdienst

„Früher waren unsere Fahrer meist Deutsche ohne Migrationshintergrund, heute jedoch haben bald 70 Prozent einen Migrationshintergrund.“, sagt Torben Skuballa, Verkehrsleiter der Ruhrbahn. Das Unternehmen, das Busse und Straßenbahnen in Essen und Mülheim betreibt, spiegelt damit einen tiefgreifenden Wandel in der deutschen Verkehrswelt wider. Jährlich stellt die Ruhrbahn rund 200 neue Fahrer*innen ein. Damit liegt die Ruhrbahn über dem bundesweiten Durchschnitt: Laut einer Pressemitteilung des Statistischen Bundesamts von Februar 2025 haben 46 Prozent der Bus- und Straßenbahnfahrer*innen eine Einwanderungsgeschichte.

Der Beruf von Bus- und Straßenbahnfahrer*innen gilt seit 2022 als Engpassberuf. Die Kombination aus demografischem Wandel, dem Renteneintritt der Babyboomer und der Forderung nach kürzeren Arbeitszeiten verschärft den Mangel. In einigen Regionen musste der Takt der Buslinien bereits von 20 auf 30 Minuten verlängert werden. Der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen schätzt, dass bis 2030 rund 110.000 neue Fahrer*innen benötigt werden. Der Verkehrsverbund Rhein-Ruhr (VRR) forderte deshalb staatliche Unterstützung zum Anwerben ausländischer Fachkräfte. Verkehrsunternehmen reagieren mit Programmen zur Ausbildung von Quereinsteiger*innen.

 

Die Mitarbeiter*innen der Ruhrbahn kommen aus mehr als 40 Ländern

Die Ruhrbahn beschäftigt rund 1.300 Fahrer*innen aus mehr als 40 Ländern. Bevorzugt werden Bewerber*innen mit Busführerschein eingestellt, die nach sechs bis neun Wochen einsatzbereit sind. Da es jedoch zunehmend schwieriger wird, erfahrene Fahrer*innen zu finden, stellt das Unternehmen auch Personen ohne gültigem deutschen Führerschein und perfekte Deutschkenntnissen ein. Diese durchlaufen eine sechsmonatige Ausbildung inklusive Busführerschein. Mindestens B2-Deutschkenntnisse sind Voraussetzung, um an der Ausbildung teilzunehmen. Um aber auch Menschen ohne gute Deutschkenntnisse eine Chance zu geben, hat die Ruhrbahn in Zusammenarbeit mit der Bundesagentur für Arbeit und den Jobcentern ein Pilotprogramm ins Leben gerufen. Es beginnt mit einem Deutschkurs, gefolgt von der praktischen Ausbildung und dem Führerscheinerwerb. Nach zwei Monaten intensivem Deutschlernen starten die Teilnehmenden in eine sechsmonatige Praxisausbildung, in der sie den Busführerschein erwerben. Anschließend sammeln sie in einer zweimonatigen Betriebseinweisung weitere Fahrpraxis. Läuft das Programm erfolgreich, soll es künftig mit bis zu zehn Teilnehmenden ein- bis zweimal im Jahr stattfinden. Das erste Programm startete im November 2024 mit sieben Teilnehmern aus Ländern wie Syrien, Marokko oder Pakistan – ausgewählt aus 150 Bewerbungen. Ziel ist es, das Programm auszuweiten.

Das Busfahren ist für Zuwanderer*innen eine attraktive Arbeit, weil die Stelle sicher ist und das Gehalt in Deutschland gut ist. Normalerweise müssten sie, um in Deutschland einen stabilen Arbeitsplatz mit einem angemessenen Gehalt zu finden, von dem sie ihre Familie ernähren können, eine dreijährige Berufsausbildung absolvieren, um ihre Fachkenntnisse zu erweitern. Verkehrsunternehmen hingegen bieten eine Ausbildung in relativ kurzer Zeit und ein festes Gehalt. „Ein ausgebildeter Fahrer kann 3.500 Euro im Monat verdienen, während der Ausbildung sind es rund 3.000 Euro“, erklärt Skuballa. Die Löhne liegen über der Inflationsrate.

 

Technik als Brücke bei Sprachhürden

Obwohl sich viele für eine Stelle bei der Ruhrbahn interessieren, fehlt es oft an qualifizierten Bewerber*innen. „Früher kamen Fahrer aus der Region, kannten die Straßen, sprachen Deutsch und hatten eine dreijährige Ausbildung – ihre Qualität war hoch“, sagt Skuballa. Heute fehle es oft an Grundkenntnissen, ergänzt Julian, Ausbilder bei der Fahrschule Kessler: “Heute müssen wir bei den Grundlagen anfangen und können nicht mehr so anspruchsvoll ausbilden wie früher”. Manche Auszubildende brechen ab, weil sie dem Unterricht sprachlich nicht folgen können – was auch den Lernerfolg der Gruppe beeinträchtigt.

Skuballa setzt deshalb auf technische Lösungen: Navigationssysteme sollen mangelnde Ortskenntnis ausgleichen, Ticketverkauf an Bord könnte künftig entfallen, um Sprachbarrieren zu minimieren. Außerdem wird an einem Echtzeit-Übersetzungssystem gearbeitet, mit dem Fahrer*innen in ihrer Muttersprache mit der Leitstelle kommunizieren können – ein Modell, das bereits von Feuerwehr und Polizei erprobt wird.

 

Kommunikation ist der Schlüssel 

Für die Ruhrbahn ist Vielfalt kein neues Konzept, sondern gelebte Realität. „Wir stellen Menschen unabhängig von Religion, Geschlecht oder Behinderung ein“, betont Pressesprecherin Sylvia Neumann. Ein sichtbares Zeichen dieser Offenheit ist eine aktive queere Community, die sich regelmäßig trifft. Unter dem Motto „Bunt unterwegs“ stehe die Belegschaft auch in schwierigen Momenten zusammen. Zwar kommt es im Alltag mitunter zu Spannungen – etwa zwischen russischen und ukrainischen Mitarbeitenden – doch laut Verkehrsleiter Torben Skuballa überwiegt der Teamgedanke: „Sie mögen sich vielleicht nicht, aber sie arbeiten zusammen – weil sie Teil eines Unternehmens sind.“

Kommunikation gilt bei der Ruhrbahn als Schlüssel zur Integration. Führungskräfte führen jährlich Einzelgespräche mit allen Mitarbeitenden. Unterstützt werden sie von Sozialarbeiter*innen, Psycholog*innen und speziell geschultem Personal – eine wichtige Hilfe, da viele Fahrer*innen aus Kriegsgebieten stammen und teils mit persönlichen Belastungen kämpfen. Über die Jahre haben sich zudem starke, informelle Netzwerke gebildet. Mitarbeitende tauschen sich gegenseitig über Ärzt*innen, Behörden oder Alltagsfragen aus – ein Plus für das Miteinander und das Wohlbefinden im Betrieb. Die Ruhrbahn zeigt: Mit Offenheit, Unterstützung und dem Mut zur Anpassung lässt sich nicht nur Vielfalt fördern – sondern auch der Fahrermangel erfolgreich abfedern.

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