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3 Min. Lesezeit Persönliche Geschichten

Ghazwan Assaf – über die Reste einer Erinnerung

Aus einem abgenutzten schwarzen Notizbuch zieht Ghazwan Assaf eine Zeichnung hervor und legt sie mit bedächtiger Geste auf den Tisch. „Was siehst du hier?“ Seine Augen durchdringen den Raum. Die Zeichnung, schlicht mit Bleistift, zeigt eine gebeugte Gestalt in einem engen Raum. Noch bevor ich antwor

Ghazwan Assaf – über die Reste einer Erinnerung
Fotograf*in: Shereen Sayda

Aus einem abgenutzten schwarzen Notizbuch zieht Ghazwan Assaf eine Zeichnung hervor und legt sie mit bedächtiger Geste auf den Tisch. „Was siehst du hier?“ Seine Augen durchdringen den Raum. Die Zeichnung, schlicht mit Bleistift, zeigt eine gebeugte Gestalt in einem engen Raum. Noch bevor ich antworten kann, lächelt er und sagt: „Weißt du, ich finde dieses Bild nicht traurig. Im Gegenteil, es ist ein Bild der Hoffnung. Jemand hat sich bewegt, damit es entstehen konnte. Gerade die Bewegung, die nötig war, um es zu schaffen, macht es lebendig.“

Ich treffe Ghazwan Assaf an einem stillen Sonntagnachmittag in Berlin, wo er in Zusammenarbeit mit dem Salam Kultur- und Sportclub eine Ausstellung präsentiert. Am Vortag, erzählt er, waren rund 200 Besucherinnen da. Die Ausstellung zeigt Syrien – vor und nach dem Krieg – in Gemälden und Kunstwerken, die sowohl Schönheit als auch Zerstörung einfangen. Die Reaktionen der syrischen Besucherinnen sind vielschichtig: Einige lächeln, andere verlassen den Saal in Tränen.

Ghazwan legt mir ein Gästebuch hin, voll mit Notizen in verschiedenen Sprachen, geschrieben von Menschen aller Altersgruppen. Selbst Kinder haben ihre Sehnsüchte nach Syrien hineingezeichnet. „Diese Ausstellung habe ich gemacht, um nicht nur mich auszudrücken“, sagt er, „sondern all jene, die den Krieg nicht in Worte fassen können.“

Ghazwan lebte in Syrien ein gewöhnliches Leben, wie viele seiner Generation. Er ging zur Universität, sein Vater arbeitete in der Agrarwirtschaft, seine Mutter führte den Haushalt. Nie hätte er gedacht, Syrien zu verlassen. Doch als der Krieg kam und die Enge unerträglich wurde, musste er fliehen, um dem Militär zu entgehen. 2015 kam er nach Deutschland. Schon in Syrien hatte er von Kunst und Blumen geschwärmt, doch erst in der Geflüchtetenunterkunft in Deutschland nahm er Stift und Papier zur Hand. „Die ersten Zeichnungen waren überwiegend schwarz“, sagt er leise, „ich glaube, weil unser Leben damals auch so war. Wir haben viel verloren. Die Trauer habe ich mitgebracht, und obwohl ich sie hinter mir gelassen habe, spüre ich sie bis heute.“

Zuerst zeichnete er mit Bleistift, später kam Öl hinzu. Schließlich begann Ghazwan, Miniaturen zu schaffen, vor allem von alten damaszenischen Häusern, die Nostalgie wecken sollten, besonders bei syrischen Betrachter*innen. „Auch wenn du nie in so einem Haus gelebt hast“, sagt er mit einem leichten Lächeln, „kommt es dir vertraut vor, nicht wahr?“ Erst danach ließ er den Krieg in seine Kunst einfließen, eine bittere Realität, die in seinen Werken Einzug hielt, nachdem er die Schönheit festgehalten hatte.

„Durch meine Kunst möchte ich die zerstörten Provinzen Syriens wiedergeben“, sagt Ghazwan und zeigt auf eine Miniatur: eine syrische Landkarte, aufgeteilt in 13 Fragmente, jedes steht für die Zerstörung einer Region. Er hat Videos des Krieges gesehen und daraufhin seine Gemälde geschaffen. „Wenn ich die Zerstörung darstelle, denke ich an die Menschen: Wer hat in diesem Haus gelebt? Wo sind sie jetzt? Wer ist gestorben, wer hat überlebt?“ Solche Gedanken zwingen ihn, innezuhalten. „Ich kann so etwas nicht zweimal zeichnen. Diese Gefühle, dieses Leid – es überfordert. Und doch ist es genau dieses Leid, das mich antreibt, weiterzumachen.“ Ein Gemälde nennt er Die Reste einer Erinnerung: Der Krieg soll nur ein Rest sein, nicht alles. Er darf nicht das ganze Leben einnehmen.

Ghazwan erzählt, dass ihm heute viele Menschen Bilder ihrer Häuser schicken. Einige haben keine Fotos mehr, weil ihre Häuser im Krieg zerstört wurden, und versuchen, diese aus der Erinnerung für ihn zu zeichnen. Aus diesen Bildern erschafft er für sie Miniaturen. Diese Menschen, die ihre Heimat verlassen mussten und oft nie wieder dorthin zurückkehren können, sehnen sich nach einem greifbaren Stück ihrer Vergangenheit.

Die Miniaturen werden zu einem Symbol für das, was verloren ging, und zugleich zu einem Mittel, um diese Erinnerung an die nächste Generation weiterzugeben. Viele von ihnen stellen die Miniaturen in ihren neuen Wohnungen auf, um ihren Kindern zu zeigen, dass es einmal ein Zuhause gab und dass sie ein richtiges Haus besaßen.

Für Ghazwan bleibt die Kunst trotz ihres wachsenden Einflusses ein Hobby. Hauptberuflich hat er eine Ausbildung in der Elektrobetriebstechnik abgeschlossen, was er nun seit dreieinhalb Jahren auch noch studiert. In diesem Bereich möchte er weiterarbeiten. Dennoch lässt ihn die Kunst nicht los. Er plant, weitere Ausstellungen zu machen, die idealerweise über die Grenzen Deutschlands hinaus gezeigt werden.

Kunst ist für ihn mehr als nur ein Ausdrucksmittel, sie dient Ghazwan auch als eine Form der Selbsttherapie. „Durch die Kunst kann ich mich ausdrücken“, sagt er, „sie hilft mir, das, was ich über Syrien fühle, zu verarbeiten.“ Über sein Heimatland zu sprechen, fällt ihm schwer. „Ich weiß nicht, was ich über Syrien sagen soll“, erklärt er. Doch wer seine Werke betrachtet, sieht in den Details der Gemälde die Erinnerungen: die Häuser, die er malt, aber auch die Zerstörung. „Ich kann nicht reden“, fügt er hinzu, „meine Kunst spricht für mich. Durch sie kommen meine Gefühle besser zum Ausdruck.“

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