„Blutvergießen mit 71 Toten – Ziel eines israelischen Angriffs war einer der Initiatoren des 7. Oktober“, titelt am 13. Juli die Naftemporiki, einer Wirtschaftszeitung, die mit dem deutschen Handelsblatt vergleichbar ist. Am 27. Juli schreibt das zum politischen Zentrum gehörende Portal in.gr die Überschrift „Krieg in Gaza: ‚Abschlachten‘ in Han Junis mit mehr als 100 Opfern – die Opferzahlen nähern sich den 40.000“. Die griechische Presse setzt mitunter drastische Worte ein. Demgegenüber stehen Beiträge, in denen Angriffe der Hamas mit ähnlichem Duktus verurteilt werden.
Auch in der Politik zeigen sich verschiedene Meinungen: Widerspruch kommt etwa von den Politikerinnen, die Israels Recht zur Selbstverteidigung betonen und, wie Gesundheitsminister Adonis Georgiadis, die Politik der aktuellen Regierung Israels bewundern. Georgiadis betonte unter anderem, dass „dieses Volk einige Eigenschaften hat, die es auszeichnen und die ihm im Laufe der Jahrhunderte helfen, sich von anderen abzuheben. Sie verteidigen ihre Identität, sind aber gleichzeitig innovativ und innovativ. Auf den ersten Blick widersprüchlich, aber absolut wahr.“ Zu Georgiadis persönlichen Widersprüchen gehört, dass er bis 2009 als notorischer Antisemit auffiel und als Verleger Pamphlete von Neonazis verkaufte, welche Jüdinnen mit der Auslöschung bedrohten.
Sowohl Griechenland als auch Zypern sind christlich geprägte Staaten. Früher zum Osmanischen Reich gehörend, gibt es in beiden Staaten eine Skepsis gegenüber dem Islam. Griechenland verlor vor 100 Jahren bei der sogenannten Kleinasiatischen Katastrophe einen verheerenden Krieg gegen die Jungtürken unter Kemal Atatürk. Nach unbeschreiblichen Gräueltaten kam es zum Friedensschluss und zum Bevölkerungsaustausch zwischen Griechenland und der Türkei. Kretische Türkinnen mussten in die Türkei, Pontos-Griechinnen aus der Region rund um Trabzon nach Griechenland. Die Menschen aus Smyrna (Izmir) und Alikarnassos (Bodrum) fanden sich im ihnen fremden Griechenland wieder. Vertreibungen gab es auch später, als Griechinnen Istanbul verlassen mussten. Oft gab es die Wahl, sich durch Bekenntnis zum Islam ein Bleiberecht in der Heimat zu sichern. Wer den Balkan kennt, weiß, dass der Wechsel der Religion keine Option war. Was für Griechenland die Kleinasiatische Katastrophe, war für Zypern die faktische Teilung in einen türkisch besetzten Nordteil mit einem international nicht anerkannten „Nordzypern“ und den freien Süden. Seit einem halben Jahrhundert ist die Insel geteilt. Auch hier trennt es sich in muslimische Zypriotinnen im Norden und christlich-orthodoxe im Süden.
Eigentlich könnte man erwarten, dass die ablehnende Haltung gegenüber der Türkei und dem Islam in Griechenland und Zypern für eine Parteinahme zugunsten Israels sorgt. Denn im Laufe der Jahre hat sich das Verhältnis von Griechenland, Israel und Palästina verändert, wie in einem Beitrag der Deutschen Welle erklärt wird. Dass darüber hinaus Griechenland und Zypern zu den beliebtesten Urlaubsländern von Menschen aus Israel gehören und diese dort viel in Immobilien und Betriebe investieren, ist ein weiteres Argument für eine Unterstützung Israels. Es gibt kulturellen Austausch. Viele griechische Künstlerinnen haben in Israel ein großes Publikum. Griechische Kampfpilotinnen bilden ihre israelischen Kolleginnen aus. Der griechische Luftraum bietet IDF-Pilotinnen den Raum, Manöver zu trainieren, für die in Israel kein Platz ist. Israel wurde Griechenlands militärischer Verbündeter, als sich die Türkei unter ihrem Präsidenten Recep Tayyip Erdogan vor mehr als einem Jahrzehnt mit der israelischen Regierung überwarf.
Beim jüngsten Gipfeltreffen von Erdogan mit dem griechischen Premier Kyriakos Mitsotakis am 13. Mai kam der Krieg in Gaza zur Sprache. Die Hamas sei eine Terrororganisation, betonte Mitsotakis, Erdogan widersprach heftig. „Wir sind uns darüber einig, dass wir in dieser Frage anderer Meinung sind, aber lassen Sie uns darauf einigen, dass es einen sofortigen Waffenstillstand geben und palästinensische Zivilisten geschützt werden sollten“, antwortete der griechische Premierminister. Auf diesen Nenner lässt sich die Medienberichterstattung im Land einordnen. Die Ausgewogenheit in der außenpolitischen Berichterstattung wird nach dem Empfinden der jeweiligen Redaktion gewählt. Dabei gibt es kaum ein griechisches Medium, das wirklich hundertprozentig unabhängig von einer Partei oder einer bestimmten ideologischen Ausrichtung berichtet.
Wie sehr die mediale „Staatsräson“ verteidigt wird, musste der Radiojournalist Josef Vager von der staatlichen ERT erfahren. Für Vagger, der beim ERT Sender „Kosmos FM“ arbeitet, ist die palästinensische Flagge gleichbedeutend mit dem Hakenkreuz. Er spricht den Palästinenserinnen, die er pauschal alle als Terroristen einordnete, jegliches Recht auf einen Staat oder eine Volkszugehörigkeit ab und verkündete all dies in einer Radiosendung am 13. Juli. Vagger stammt aus einer bayerischen Familie, die nach 1832 zusammen mit dem ersten griechischen König, dem Wittelsbacher Otto, nach Griechenland kam. Er musste erleben, dass auch dies in sozialen Medien thematisiert wurde. Schließlich berichten die griechischen Medien darüber, wie der Konflikt von ihren deutschen Kolleginnen dargestellt wird. Die Emotionen kochten hoch. Es gab einen Shitstorm gegen Vagger und die ERT reagierte, indem sie die umstrittene Radiosendung aus ihrer Mediathek entfernte.