Mein Interviewpartner heißt Ahmad al Ahmad. Beziehungsweise eigentlich sind es zwei Interviewpartner. Denn Ahmad heißt zwar Ahmad, aber er spielt gleichzeitig eine humoristische Kunstfigur – die auch Ahmad heißt. Klingt verwirrend? Ein bisschen. Die Grenzen zwischen dem „echten“ Ahmad und der Kunstfigur Ahmad scheinen fließend zu sein. „Ja, es ist ironisch. Aber es hat so viel von mir“, sagt Ahmad. Damit verunsichert er die Leute, bringt sie zum Nachdenken: Wen habe ich da gerade vor mir? Meint er das ernst oder ist das bloß ein Scherz?
Manchmal ist klar, dass etwas bloß ironisch gemeint ist, wenn er z. B sagt: „Wir machen Sharia“. Manchmal ist man sich unsicher – und wird dabei mit den eigenen Vorurteilen, konfrontiert: Sagt er wirklich ständig „wallah“? Genau das scheint Ahmads Ziel zu sein. Denn Ahmad, der Echte, bezeichnet sich als „kulturellen Sensibilisyrer“. Mit Videos im Internet und Seminaren möchte er Vorurteile gegen Geflüchtete abbauen.
Von Syrien nach Hannover
Fragt man ihn nach seinem Werdegang, spricht Ahmad über das kleine syrische Dorf, aus dem er stammt, von seiner Tante Sihrie, die ihn dort großgezogen hat. Dann schweift er ab – dazu, dass seine Eltern früh gestorben sind und wie klein das Dorf sei, aus dem er stammt. Man finde es nicht mal bei GoogleMaps. Aber er kehrt immer wieder zur Ausgangsfrage zurück.
Ahmad weiß, dass er erzählt, und er weiß, was er erzählt. Es macht Spaß, ihm zuzuhören. Zwischendurch trinkt er über einen Strohhalm aus seinem Mate-Tee. Auch darüber kann er etwas sagen: Mate komme ursprünglich aus Argentinien. Als nach dem ersten Weltkrieg mehrere Millionen Syrer nach Lateinamerika gingen, brachten sie Mate nach Syrien. Nun sei es ein viel konsumiertes Nationalgetränk in Syrien.
Von dort war Ahmad 2015 über die Balkanroute nach Hannover gekommen. Die Deutschen seien von Beginn an alle sehr nett gewesen, meint Ahmad – halb-ironisch. „Zum Beispiel war ich bei Edeka oder Aldi und wollte bezahlen. Und dann kommt jemand zu mir und sagt: ,Nein! Das ist ein Schlange, stehen Sie hinten an!´ Ja, alle waren sehr, sehr nett.“
Umgang mit der eigenen Identität
Doch nicht nur der Umgang mit den „Biodeutschen“ war anfangs schwierig. Auch mit seiner eigenen Identität hatte Ahmad zu kämpfen. „Als ich hier nach Deutschland gekommen bin, habe ich mich gefragt: Warum habe ich nicht blonde Haare wie Heinz, mein Nachbar? Ich hatte ein Identitätsproblem. Wir müssen für Leute, die hierherkommen, eine positive Identität schaffen. Manchmal fühlt man sich nicht integriert – das tut weh.“
Und das, obwohl Ahmad einen Integrationskurs machte, Deutsch lernte und arbeitete – im Restaurant, als Fliesenleger, im Dönerladen. Auch wenn er eigentlich gern einen anderen Job machen wollte. „Ich sagte meinem Berater, ich möchte gern mit Menschen arbeiten. Doch er meinte, es gäbe einen Mangel an anderen Arbeitskräften. Sie schicken dich einfach irgendwo hin. Du sitzt da und sie nehmen dich nicht ernst.“
Gründung des Mansafs
Schließlich fand Ahmad ein Unternehmen für Kulturkommunikation, bei dem er ein Praktikum absolvierte. Dort eignete er sich die nötige Expertise an, um später seine eigene Initiative zu gründen. Ihr Namensgeber ist ein arabisches Gericht, bestehend aus Lamm und Reis, das auf einem großen Tablett serviert wird: das Mansaf. Die Idee dazu kam ihm während Corona: Als Ahmad und seine Nachbarin Friederike Wagner sich im pandemiebedingten Lockdown anfreundeten und stundenlang über Zoom trafen, beschlossen sie, nach Corona gemeinsam ein Mansaf zu kochen.
„Ich wollte die Erfahrung, die ich mit Friederike gemacht habe, mit allen Leuten teilen, damit sie sehen, wie das funktioniert. Wenn meine Nachbarin Friederike nett ist, warum dann nicht auch der andere Nachbar Heinz?“ Seitdem drehen die beiden gemeinsam Videos, die sie auf Facebook und YouTube hochladen. Damit möchten sie Menschen kulturell sensibilisieren. Denn für Zugewanderte erleichtere sich die Integration, wenn man die Einheimischen integriert. So hat Ahmad unterschiedliche Konzepte entwickelt, um Vorurteile zu erkennen und ihnen entgegenzuwirken. Humorvoll bringt er Leuten bei, wie man „aufhört, ein Ignorant zu sein“. Denn: „Prävention beginnt im Kopf“ – um Hass zu verhindern.
„Ich habe keine Angst mehr vor meiner Identität.“
Hass und Angst entstehe vor allem, wenn ein Unterschied zwischen sich und „dem Anderen“ gemacht wird. In Deutschland sei dieses Andere immer der Islam und die islamische Geschichte gewesen. Das müsse man verstehen – und bewältigen. „Leuten, die Angst vor mir haben, weil ich sie mit ,Salam Aleikum´ begrüße, sage ich: Ich bin auch einer von euch. Ich liebe euch.“, sagt Ahmad. Er meint: Wenn man sich kennenlernt, ist man nicht nur der Kerl aus der Flüchtlingswelle, sondern ein Freund – und harmlos.
Immerhin sei in Deutschland dahingehend schon einiges geschafft worden „Viele Leute haben sich für Vielfalt und Demokratie eingesetzt. Ohne Streit geht es zwar auch nicht. Eigentlich muss es Streit geben, das ist normal. Aber Ausgrenzung darf es nicht geben.“
Es bleibt zu hoffen, dass die deutsche Gesellschaft diesen Fokus auf Verschiedenheiten abschließend überwindet. Die Leute müssten ihre Toleranzgrenzen ausweiten – gegenüber Leuten, die so aussehen wie Ahmad. Insofern sei die Kunstfigur Ahmad eine Art Therapie für den echten Ahmad. Sie habe ihm geholfen, sich zu integrieren. „Ich habe keine Angst mehr vor meiner Identität.“
Mittlerweile hat Ahmad sogar die deutsche Staatsbürgerschaft. Er erzählt auch, dass er Mitglied in der Facebook-Gruppe „Merz soll Kanzler werden“ sei. Und in seinem Büro würden Bilder berühmter deutscher Persönlichkeiten hängen – unter anderem von „Mutti“ (Angela Merkel), Horst Seehofer, Thilo Sarrazin und Dieter Bohlen. Von dessen Band „Modern Talking“ sei er ein Riesen-Fan. Naja, ironisch natürlich! Oder…?
Ein Mansaf für alle
Ganz unironisch verabreden wir uns für die Zukunft zu einem gemeinsamen Mansaf-Essen. Sogar vegetarisch – auch wenn es das normalerweise nicht gebe. „Aber niemand ist vom Mansaf ausgeschlossen. Insbesondere die Biodeutschen – die sind herzlich willkommen bei uns.“
Wer Interesse hat, Wege aufgezeigt zu bekommen, wie Integration funktionieren kann, kann sich über Ahmads Webseite oder per Mail für eine Stunde bei ihm melden. „Das Mansaf bietet eine hochqualitative, interkulturelle Sensibilisierung.“ Da erzählt er ausnahmsweise mal keinen Quatsch.