„Ich möchte Ihnen eine Geschichte erzählen. Über meinen Fall, während ich hier in Deutschland war und ins Asylverfahren gegangen bin“, fängt Amarantha ruhig an. „Über ein Mädchen wie mich. Ich hatte mich entschlossen, Asyl zu beantragen.“
Während sie erzählt, schimmern ihre goldenen Ohrringe durch ihre langen blonden Haare hindurch. Ihre Lippen zieren eine helle Lippenstiftfarbe, ihre langen Wimpern sind mit schwarzer Mascara getuscht. Sie steht aufrecht, spricht deutlich und klar in die Kamera.
„Erst war ich in einer Asylunterkunft, doch schnell wurde ich umverteilt. Das war komisch, denn trotz hoher Sicherheitsvorkehrungen, sollten Frauen wie ich nicht dorthin verlagert werden, so viel hatte ich schon mitbekommen“, verrät sie.
Amarantha ist eine venezolanische trans Frau und erzählt im Rahmen einer Videoreihe ihre Geschichten, um auf die Missstände im Asylverfahren aufmerksam zu machen. Denn Amarantha wurde im Bad eines Asylheims attackiert. „Er hat mich gewürgt und auf den Boden geworfen, bis ich das Bewusstsein verlor“, schildert sie.
Wer schafft Schutz?
Es ist eine Geschichte, die sie eigentlich nie wieder erzählen wollte. Das änderte sich, als sie auf die Initiative „Projekt Artikel 21“ traf, einem Bündnis, was sich für umfassende Schutzmaßnahmen für LGBTQIA* Geflüchtete einsetzt. „Durch das Projekt vernetzen sich Menschen aus der queeren Community und teilen ihre Erlebnisse, aber auch Forderungen nach Veränderungen im Asylverfahren.“, erzählt Joe. Joe ist Teil des Projekts und der Videoreihe und kennt die Herausforderungen für queere Asylsuchende aus eigener Erfahrung. „Das hat meine Motivation geweckt, anderen Menschen zu helfen, die genauso unter der Situation leiden“, sagt Joe.
In die Initiative fließen unter anderen die Perspektiven einer Rechtsanwältin für Migrations- und Aslyrecht, des Projekts Refugee Sisters*, der Koordinierungsstelle zur Integration von LSBT*I mit Migrations- und Fluchtgeschichte sowie der Initiative Queer Refugee Support mit ein.
„Das Asylsystem sollte da sein, um Schutz zu gewährleisten“, betont Alissa von Malachowski, Psychologin mit Fokus auf Traumaforschung und Mitinitiatorin des Projekts. „Rein aus Traumaperspektive ist es unverantwortlich, Personen dazu zu bewegen, komplett unvorbereitet, tiefgreifende traumatische Erfahrungen in prekären Umständen wiederzugeben“, sagt sie.
Die Initiative „Projekt Artikel 21“ fordert den Hamburger Senat unter anderem deshalb auf, queere Migrant*innen ab dem ersten Tag des Asylprozesses Schutz zu gewährleisten, unter anderem durch Unterbringung in einer spezifischen Unterkunft.


Ist-Zustand in Hamburg
Dabei berufen sie sich auf die Aufnahmerichtline der EU, die in Artikel 21 die Bedürfnisse „besonders schutzbedürftiger“ Menschen regelt. In Deutschland ist der besondere Schutzbedarf von LSBTQIA* anerkannt. Das Projekt kritisiert die fehlende Umsetzung, denn in den Erstaufnahmen gibt es keine gesonderten Schutzunterbringung für LSBTQIA*-Geflüchtete.
„Erst, wenn sie in Folgeeinrichtungen umziehen, können Betroffene mit Gleichgesinnten zusammenwohnen“, berichtet Joe aus eigener Erfahrung. „Das sind Schutz-WGs, die als kleine Wohneinheiten konzipiert sind, die sich in der Regel innerhalb von regulären Unterkünften befinden.“ Alissa ergänzt: „Zudem bestehen in den Unterkünften kaum psychosoziale und keine gesundheitlichen Angebote, die auf queere Menschen ausreichend zugeschnitten sind.“
Eine Schriftliche Kleine Anfrage von der Linksfraktion im Juli 2022 bezüglich der Unterbringungssituation von LSBTQIA*-Geflüchteten in Hamburg ergab, dass in 16 Wohnungen insgesamt 35 Plätze für LSBTQIA*-Personen angeboten werden. Es heißt: „Die Menge angebotener Plätze richtet sich in erster Linie nach den hierzu bestehenden Bedarfen“. Wie viele LSBTQIA*-Geflüchtete seit 2017 über den Königsteiner Schlüssel, also nach Gewichtung von Steueraufkommen und Bevölkerungszahl der Bundesländer, umverteilt worden oder in Hamburg verblieben sind, wird jedoch nicht erfasst.
Forderungen nach mehr Sicherheit
Die Aktivist*innen von Projekt Artikel 21 fordern mehr Schutz für Betroffene. Dafür starteten sie im letzten Jahr eine Petition, die bisher rund 2250-mal unterzeichnet wurde und dem Innen- und Sportsenator Andy Grote als auch der Senatorin für Arbeit, Gesundheit, Soziales, Familie und Integration Melanie Schlotzhauer vorliegen.
Konkret geht es um eine zentrale Unterkunft in Hamburg, die ausschließlich Plätze für LGBTQIA*-Geflüchtete zur Verfügung stellt. Besonders wichtig seien dabei Plätze in der Erstaufnahme, um Schutz vom ersten Tag des Asylverfahrens zu gewährleisten sowie speziell auf die Bedürfnisse von LGBTQIA* zugeschnittene psychosoziale und gesundheitliche Angebote. An der Liste der Erstunterzeichnenden wird deutlich, dass das Anliegen von verschiedenen Akteur*innen der queeren Community und Zivilgesellschaft geteilt wird.
Amarantha beendet ihre Geschichte im Video wie folgt: „Wenn wir hier sind, sollen wir uns sicher und keine Angst fühlen, oder? Ich erzähle meine Geschichte, auch wenn sie nicht schön ist, weil ich will, dass sich etwas verändert.“