Dating und Liebe – das kann sehr schön, aber auch sehr anstrengend sein. Schön, weil man auf einen Menschen treffen kann, der eine*n inspiriert, mit der man Nähe und Intimität austauschen kann. Anstrengend, weil wir in einer Gesellschaft leben, die immer schnelllebiger wird, mit sexistischen und rassistischen Stereotypen und Normen. Welche Erfahrungen machen Menschen mit Migrations- und Fluchterfahrung in Deutschland beim Daten und in der Liebe?
Zwei Menschen treffen aufeinander und damit auch zwei (kulturelle) Identitäten mit unterschiedlichen Erwartungen, Sozialisierungen und Erfahrungen. Unterschiedliche Wünsche, Freiheiten und manchmal auch Sprachen. Dabei kann es zu Missverständnissen, Vorurteilen, neuen Einblicken und Gemeinsamkeiten kommen.
Si-Hao, meistens Didi genannt, ist 26 Jahre alt und kommt aus Hamburg. Seine beiden Eltern kommen aus China, sein Vater lebt seit seinen Zwanzigern in Hamburg, seine Mutter ist in Hamburg aufgewachsen. Sie haben hier gemeinsam ein Restaurant. Zu Hause wurde nicht viel über Liebe und Romantik gesprochen. Seinen Zugang zu Sexualität hatte Didi in der Pubertät durch Pornografie. Die ersten sexuellen Erfahrungen waren nicht sehr romantisch. Durch seine erste feste Beziehung hat er gelernt, was Wertschätzung, Ehrlichkeit und Kommunikation ausmacht.
Der Wunsch nach Empathie, Verständnis und Aufklärung
Wenn ich an meine Kindheit und Jugend denke, war das Thema Aufklärung nur im Rahmen der Schule im Sexualkundeunterricht präsent. Zu Hause mit meinen Eltern gab es solche Gespräche nicht. Mit meinem Vater hatte ich nie ein ‘Vater-Sohn’-Gespräch. Das lag, denke ich, zwar auch an unserer Sprachbarriere, aber er ist generell keine sehr kommunikative Person und hat sich auch sonst eher aus der Erziehung rausgehalten.
Mein Vater ist in einem sehr konservativen Haushalt in Hongkong groß geworden und auch meine Mutter hatte einen strengen Vater. Bei beiden war das Aufwachsen eher strikt, es war beispielsweise klar für meine Mutter, dass sie in der Gastro arbeiten wird, weil das ihre Eltern auch gemacht haben. Sie und ihre Schwestern mussten meistens nach der Schule in deren Restaurant mithelfen. Das war bei mir und meinen Geschwistern nicht der Fall.
Meine Eltern führen gemeinsam ein Restaurant, sie arbeiten täglich zusammen und dadurch ist Arbeit auch immer ein Thema zwischen ihnen. Sie sind aus einer Generation, wo es schon noch anders war, Beziehungen einzugehen, da wurde nicht so lange gesucht, bis es ‘perfekt’ passt. Sie führen nicht unbedingt eine sehr liebevolle Beziehung, meine Eltern sind auch sehr unterschiedliche Persönlichkeiten. Manchmal wirkt es, als ob die Beziehung stagniert und ich frage mich, ob sie noch zusammen wären, wenn die Arbeit nicht wäre.
„Ich habe das so von der chinesischen Kultur gar nicht so mitbekommen, was Sexualität, Liebe oder Beziehung angeht“
Trotzdem habe ich durch das Aufwachsen in meinem Elternhaus viel an Empathie und Mitgefühl mitgenommen und weiß, wie ich wertschätzend agiere. Dadurch habe ich das von der chinesischen Kultur auch nicht so mitbekommen, was Sexualität, Liebe und Beziehungen angeht. Das Einzige, das ich einmal in China gesehen habe, war, dass teilweise an öffentlichen Plätzen Steckbriefe von Leuten hingen, die ein*e Partner*in gesucht haben. Und dann konnte man sich da melden.
Ich weiß aber nicht, ob das die Familien für ihre Kinder gemacht haben, damit die eine*n Partner*in finden, oder die Kinder selbst. In Hongkong, ist es eher nicht der Fall, dass man im Jugendalter auszieht und seine eigene Wohnung hat. Man wohnt bei den Eltern bis man heiratet, das war bei meiner Familie so.
Aber sowohl ihre als auch meine Beziehung(en) waren nicht wirklich ein Gesprächsthema. Ich wurde mal gefragt wie es mit Partner*innen aussieht, aber das war es dann auch. Ich denke, meine Mutter dachte zwischenzeitlich, ich wäre homosexuell, weil ich viele Freundinnen hatte, aber in keiner Beziehung war.
„In der Pubertät war es schon eher kein sehr wertschätzender Umgang in der Sexualität“
Das Thema Sexualität ist bei mir im typischen Jugendalter präsent geworden – erste Kontakte mit Pornografie, deren Konsum und masturbieren. Ich war sehr unsicher, mich hat beispielsweise das Klischee vom kleinen Penis bei Chinesen belastet, was mein Selbstbild sehr beeinflusst hat. Aber auch, dass männliche Personen im Bett performen müssen. Ich hatte mein erstes Mal Sex relativ früh, mit vierzehn Jahren, und die Person, mit der ich Sex hatte, war zwei Jahre älter. Aber danach ist lange nicht viel passiert. Das erste Mal war für mich nicht romantisch oder sehr intim. Es war so schnell vorbei, wie es angefangen hat.
Im Nachhinein hätte ich es schön gefunden, wenn ich einen wertschätzenden Austausch erfahren hätte. Oder wenn es die Möglichkeit gegeben hätte, mit einer Person über meine Erfahrungen in Austausch zu kommen. Aber auch in meinem Umfeld, im Freund*innenkreis und vor allem den Jungsgruppen habe ich in der Pubertät eher keinen wertschätzenden Umgang in der Sexualität erlebt. Erst als ich schon älter war, hatte ich meine erste Beziehung.
Meine damalige Freundin ist eine sehr reflektierte Person, die mir einen sehr wertschätzenden Umgang gezeigt hat. Durch Gespräche mit ihr habe ich dann gemerkt, dass der Pornokonsum irgendwie schon meine Vorstellungen von Sexualität beeinflusst hat, und vielleicht auch bestimmte Handlungen durch den Konsum von Pornografie entstanden sind. Nicht, dass das riesige Ausmaße angenommen hat, aber rückwirkend hätte ich mir einen anderen Zugang zu Sexualität gewünscht.
„Ich lebe meine Sexualität aus, mit einer Person, die ich liebe“
Mittlerweile habe ich einen sehr guten Umgang mit meiner Sexualität, was vor allem mit meiner ersten Beziehungen und meiner jetzigen Beziehung zu tun hat. Ich habe meine Sexualität ausgelebt, mit einer Person, die ich geliebt habe und dadurch sind wir viel mehr in den Austausch gegangen. Wir haben über vieles geredet, unsere Wünsche, Unsicherheiten und Bedürfnisse. Durch meine erste Beziehung habe ich viel Wertschätzung erfahren und konnte mich viel reflektieren. Und das kann ich in meiner jetzigen Beziehung weiterführen und vertiefen. Wir reden viel über uns, was wir mögen, was wir nicht mögen.
„In unserer Generation ist auch Beziehungsunfähigkeit ein Thema“
Kommunikation ist ein wesentlicher Bestandteil von Wertschätzung meiner Meinung nach. Ich habe das Gefühl, das geht in der Generation Tinder manchmal verloren – die Schnelligkeit und Liebe auf Abruf. Vor meiner jetzigen Beziehung habe ich das mal ausprobiert. Ein schneller Ego-Push durch einen Like tut gut, ich hatte dann ein einziges Date und es war schrecklich.
Für mich persönlich ist es einfach komisch, sich mit jemanden zu treffen, den*die ich gar nicht kenne. Ich mag es lieber, Menschen in einem ‘natürlichen’ Kontext kennenzulernen. In unserer Generation ist, glaube ich, auch Beziehungsunfähigkeit ein Thema. Viele Menschen, die heutzutage eine offene Beziehung führen, verwechseln, glaube ich, manchmal Freiheit mit der Angst vor Bindung, sich zu öffnen und verletzlich zu zeigen. Dabei ist es auch in einer offenen Beziehung sehr wichtig, Emotionalität zuzulassen, Gefühle zu teilen und gut zu kommunizieren. Ich führe eine offene Beziehung und merke dort, wie wichtig dieser ehrliche Austausch miteinander ist. In jeder Beziehung ist ein wertschätzender Umgang miteinander wichtig.
Didi’s Wunsch in Bezug auf Liebe und Dating ist es, dass es eine bessere, transparentere und öffentliche Aufklärung gibt. Das sollte einerseits ein einseitiges Bild von Liebe und Beziehung neu beleuchten, und aufzeigen, dass nicht immer alles perfekt ist, als auch klassische Geschlechterrollen und Familienbilder hinterfragen. Vor allem in den Medien muss sich das repräsentierte Bild wandeln. Eine vielfältige sexuelle Aufklärung führt zu einem breiteren Allgemeinwissen zu Familien- und Beziehungsformen und fördert Empathie und Verständnis gegenüber unterschiedlichen Lebensweisen. Für Liebe und Sexualität sollte Kindern und Jugendlichen viel Empathie und bewusstes Handeln nahegebracht werden.