In Berlin leben viele Menschen arabischer und muslimischer Herkunft, darunter auch queere Personen mit muslimischem Hintergrund, die aus ihren Heimatländern ins Exil geflohen sind. Ahmed war aufgefallen, dass es in Berlin keinen sicheren Ort für queere Menschen mit diversen kulturellen Hintergründen gab. Diese Situation führte dazu, dass viele queere Muslim*innen in engen Normen und Traditionen gefangen waren. Die Inspiration zur Veränderung kam aus Ahmeds Freundeskreis, in dem einige von ihnen ein Doppelleben führten. Ahmed beschloss, etwas dagegen zu unternehmen, indem er die „Queer & Muslim Healing Circles“ ins Leben rief.
Ahmed kennt dieses Problem aus erster Hand. Er ist in Berlin aufgewachsen und identifiziert sich sowohl als queer als auch als Muslim. Seine Wurzeln reichen bis in den Irak, wo sein Vater herkommt, und den Libanon, der die Heimat seiner Mutter ist. Infolgedessen musste er selbst mit Identitätskrisen kämpfen. Als er schließlich seine sexuelle Orientierung offen lebte, sah er sich gezwungen, Berlin zu verlassen, da die Stadt für ihn bedrohlich wurde.
Infolgedessen unternahm Ahmed eine Selbstentdeckungsreise, die er als „Heilungsjourney“ bezeichnet. Nachdem er viele Länder bereist hatte, kehrte er nach Berlin zurück und begann als Coach, Aktivist und Heilarbeiter zu arbeiten. Ahmed erklärt: „Meine eigenen Erfahrungen helfen mir dabei, diese Verletzungen zu verstehen, und da ich diesen Weg gegangen bin, kann ich besser zuhören, ohne dass es mich herunterzieht.“
„Trotz dieser Vielfalt teilen alle die gleiche Wunde“
Die „Healing Circles“ werden durch den Liberalen Islamischen Bund und Spenden finanziert, wobei Ahmed als der Hauptorganisator fungiert. Die Teilnehmenden dieser Kreise sind entweder in Berlin geborene Araber*innen oder Geflüchtete, die nach Berlin gekommen sind. Jede Person hat ihre eigene Vorstellung von Religion und Identität, die sich von anderen unterscheiden kann. „Einige Teilnehmende entfernen sich von Gott, während andere versuchen, ihm näherzukommen, und wieder andere nennen ihn anders. Trotz dieser Vielfalt teilen alle die gleiche Wunde. Jeder von uns geht auf seine eigene Art und Weise damit um, und das respektieren wir alle. Denn darum geht es hier“, betont Ahmed.
Nach jedem Gespräch gibt es bestimmte Regeln, die befolgt werden sollen. Im ersten Fall hebt man beide Hände, um zu zeigen, dass die sprechende Person für jeden Tipp dankbar ist. Im zweiten Fall hebt man eine Hand, um anzuzeigen, dass man einen Ratschlag sucht, jedoch sollte dabei Sensibilität gewahrt werden. Im letzten Fall schließt man die Hände, um anzuzeigen, dass man nur etwas mitteilen möchte, ohne Kommentare dazu zu erwarten. Fragt man ihn, ob Queerness und Islam zusammenpassen, dann antwortet er: „Bevor ich diese Frage beantworte, ist es wichtig zuerst zu wissen, dass es bei uns vor allem um Menschenrechte geht“, sagt Ahmed und fährt fort:
„Ich kann diese Frage beantworten und meine Meinung äußern, aber ich muss diese Frage nicht beantworten. Ich möchte nicht über meine Rechte als Mensch verhandeln.“
„Wir haben unsere Identität nicht gewählt, wir sind damit geboren“
In diesen Kreisen behaupten einige, dass Islam und Queersein nicht zusammenpassen. „Das System zwingt uns, eine Entscheidung zu treffen. Entweder verstecken wir unsere Queer-Identität oder geben unseren Glauben auf. Und in diesem Fall scheint es einfacher zu sein, den Glauben aufzugeben“, fährt Ahmed nach einer Pause fort, „viele übersehen jedoch eine wichtige Tatsache: Wir haben unsere Identität nicht gewählt, wir sind damit geboren.“
Ahmeds Gedanken zeigen, dass diese Sitzungen der „Healing Circles“ nicht dazu dienen, „Obszönität zu fördern“, wie einige befürchten, sondern vielmehr als Treffpunkt dienen, um die Wunden zu heilen, die durch das System, den Glauben und die Traditionen verursacht wurden. Es ist lediglich eine Plattform, um Sicherheit zu gewährleisten. Er sagt: „Ich hoffe, dass diese Sitzungen zu sozialen Beziehungen und einer Bindung zwischen den Teilnehmenden führen, um ihre Gefühle von Verlust und Einsamkeit zu verringern – insbesondere da man sich in Berlin manchmal einsam fühlt.“
Bildquellen
- 2022_06_Ahmed4633: privat