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Seenotrettung – wenn die EU versagt

Vivien Mirzai mit einem Portrait über Nichtregierungsorganisationen, die sich auf Seenotrettung konzentrieren.

Fotograf*in: Janosch Diggelmann auf Unsplash

Seit Anfang des Jahres haben mehr als 57.000 Geflüchtete und Migrant*innen laut UNHCR die Flucht über das Mittelmeer nach Europa gesucht. Dabei sind mehr als 980 Menschen ums Leben gekommen. Die Dunkelziffer ist hoch. Die EU und ihre Mitgliedstaaten versprechen, sichere Fluchtwege und eine humanitäre Migrationspolitik schaffen zu wollen, aber sie widersprechen ihren Prinzipien ständig. Wer sorgt dann für Sicherheit auf der Flucht? Was ist mit Seenotrettung? Nichtregierungsorganisationen, die auf Basis von Spenden Crewmitglieder auf See schicken, übernehmen verantwortungsvolle Aufgaben zum Schutz von Geflüchteten und Migrant*innen, die die EU versäumt. In dieser herausfordernden Situation engagieren sich neben vielen anderen zwei Organisationen, um Leben zu retten und Schutz zu bieten: ProAsyl und Sea-Eye.

 

ProAsyl

Schon seit 1986 ist ProAsyl ein eingetragener Verein mit Hauptsitz in Frankfurt am Main und setzt sich für die Rechte und den Schutz von Geflüchteten und Migrant*innen in Europa ein. Der Verein konzentriert sich auf drei Hauptbereiche: Einzelfallhilfe, Recherche und Dokumentation sowie den Schutz von Geflüchteten.

 

Einzelfallhilfe

In der Einzelfallhilfe leistet ProAsyl mithilfe von finanziellen Mitteln aus ihrem Rechtshilfefonds Unterstützung für Geflüchtete, die von Abschiebung bedroht sind. Diese Menschen erfahren oft Diskriminierung und bürokratische Hürden in ihren Asyl-Verfahren. Ihnen wird dabei der notwendige und dringliche Schutz von Behörden und Gerichten versagt.

Mit vielfältigen Lebenssituationen wenden sich die Geflüchteten auch bei sozialen Fragen an Pro Asyl und werden an Beratungsstellen in ihrem Wohnort vermittelt. Die Einzelfallhilfe beschränkt sich nicht auf kommunaler Ebene – teilweise begleitet ProAsyl Fälle sogar bis hin zum Verfassungsgericht oder zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. So schaffte es die Organisation Anfang 2011, Abschiebungen nach Griechenland zu stoppen, da diese gegen die Europäische Menschenrechtskonvention verstoßen hätten. Das Gericht in Straßburg berief sich in der Begründung auf die Dokumentation und Recherchen von Pro Asyl.

 

Recherche und Dokumentation

Pro Asyl recherchiert und dokumentiert Menschenrechtsverletzungen gegenüber Geflüchteten, insbesondere an den EU-Außengrenzen. Sie dokumentieren schwere Gewalttaten von Polizist*innen und Grenzbeamt*innen sowie rechtswidrige Masseninhaftierungen. Mit der Initiative „Stoppt das Sterben!“ machte Pro Asyl 2018 auf die tödliche Abschreckungspolitik an den Außengrenzen der EU aufmerksam.

Denn die Situation an den Grenzen verschärft sich: Dieses Jahr beschloss das Kabinett unter der ultrarechten Ministerpräsidentin Giorgia Meloni eine Verlängerung der Höchstdauer der Abschiebehaft – von 135 Tagen auf 18 Monate. Weiterhin sollen alsbald Strukturen geschaffen werden, um irregulär eingereiste Migrant*innen zu kriminalisieren.

Nachdem ProAsyl ein Hilfsprojekt in Griechenland zum Schutz und Aufnahme von geflüchteten Kindern ins Leben gerufen hatte, folgte die Dokumentation von Pushbacks im griechisch-türkischen Grenzgebiet. Pushbacks sind staatliche und menschenrechtswidrige Maßnahmen, die dazu führen, dass Geflüchtete direkt an oder vor der Grenze zurückgewiesen werden. Dies geschah an der griechisch-türkischen Grenze durch die griechische Küstenwache in der Ägäis.

Der Fokus bei der Dokumentation von Rechtlosigkeit und Gewalt liegt nicht nur auf der Türkei und Griechenland. Auch in anderen EU-Ankunftsländern wie Italien, Spanien und Italien dokumentiert ProAsyl vor Ort Vorfälle von Gewalt.

Pro Asyl kämpft laut eigenen Angaben für eine „offene und solidarische europäische Flüchtlingspolitik“. Das wird immer wieder betont. Die rechtspolitische Sprecherin Wiebke Judith kreidet den Abschottungs- und Abschreckungskatalog von der CDU/CSU-Fraktion bezüglich der Aufnahme von Geflüchteten an: „Wir erleben ein Erstarken von rechtsextremen Parteien in Europa, die das Flucht- und Migrationsthema bewusst für sich instrumentalisieren. Anstatt dem deutlich Paroli zu bieten, knicken die meisten Regierungen aktuell ein – und setzen damit auch ein demokratisches Europa aufs Spiel“.

 

Für Flüchtlingsschutz eintreten

Die Dokumentation und Recherche von menschenrechtswidrigen Maßnahmen ermöglichen zusätzlich, mit den gesammelten Informationen an die Öffentlichkeit zu gehen. Mithilfe von Publikationen, Kampagnen und Pressearbeit prangert ProAsyl Menschenrechtsverletzungen an.

 

Sea-Eye

Sea-Eye ist eine aus Deutschland stammende Hilfsorganisation zur Rettung von in Seenot geratenen Geflüchteten im Mittelmeer. Der Unternehmer Michael Buschheuer gründetet 2015 in Regensburg Sea-Eye.  „Wir suchen auf der tödlichsten Fluchtroute der Welt nach Menschen in Seenot und kämpfen gegen das Ertrinken. Unser Handeln ist eine Antwort auf die gescheiterte Migrationspolitik der Europäischen Union, die sich ihrer Verantwortung für die tausenden Todesfälle im Mittelmeer verweigert“, steht prominent auf der Website.

Die Arbeit von Sea-Eye basiert auf drei Grundsätzen: „Menschen retten“, „Menschen sensibilisieren“ und „Menschen bewegen.“ Im Jahresbericht 2020/2021 gibt Vorstandsvorsitzender Gorden Isler zu erkennen, dass die Arbeit auf dem Mittelmeer gleichzeitig große Freude, aber auch viel Schmerz und Verluste mit sich bringt: „Freude und Trauer liegen bei unserer Arbeit stets eng beieinander. Wir freuen uns, dass wir in 2020 und 2021 insgesamt sieben Rettungsmissionen durchführen und dabei über 1800 Menschen retten konnten.“

Sea-Eye informiert zudem regelmäßig darüber, in welche Strafprozesse sie bei ihrer Arbeit verwickelt sind. Kürzlich berichteten sie, dass Italien Sea-Eye Seenotretter*innen für die Rettung von 114 Menschen bestraft hätte. Es sei bereits die zweite Festsetzung für die Sea-Eye Crew in diesem Jahr. Seit September dieses Jahres setzt sich Sea-Eye mit einer Petition für ein AfD-Verbot ein, denn sie seien besorgt über die „erschreckend hohen Umfragewerte in Bezug auf die AfD“.

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Vivien Mirzai kommt gebürtig aus NRW und ist bei der Amnesty Koordinationsgruppe Afghanistan tätig. Zu ihren Themen gehören unter anderem soziale Fragen, Afghanistan und Menschenrechte.

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Vivien Mirzai kommt gebürtig aus NRW und ist bei der Amnesty Koordinationsgruppe Afghanistan tätig. Zu ihren Themen gehören unter anderem soziale Fragen, Afghanistan und Menschenrechte.

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