„Dort bin ich schwul, hier bin ich Ausländer“. So fasste Zülfukar Cetin die Erfahrungen vieler queerer Migrant*innen und Geflüchteten in seinem 2012 erschienenen Buch „Homophobie und Islamophobie“ zusammen. Denn ist der Fluchtgrund die sexuelle Orientierung oder Identität, haben in Deutschland vor allem nicht-weiße Menschen noch mit erheblichen Vorurteilen zu kämpfen.
Die Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 definiert einen „Flüchtling“ als eine Person, die sich wegen „begründeter Furcht vor Verfolgung wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Überzeugung außerhalb des Landes befindet“ (Artikel 1A(2)). Auch das Deutsche Asylrecht lehnt sich an diese Definition an.
Sexuelle Orientierung und Identität wird in keiner der rechtlichen Definitionen explizit erwähnt, sondern unter „Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe“ gefasst. So entschied das Bundesverwaltungsgericht aber bereits 1988, dass die sexuelle Orientierung aufgrund ihrer „Unabänderbarkeit“ ein Asylgrund sei. Doch wie wirken sich diese Gesetze und Artikel auf die Realität einer queeren, geflüchteten Person aus?
Das Asylverfahren
Das LSDV-Projekt „Queer Refugees Deutschland“ veröffentlichte zum Asylverfahren von queeren Geflüchteten einen Leitfaden, der die wichtigsten Punkte zusammenfasst. Ausschlaggebend bei der Anerkennung von Asyl ist, dass im Heimatland die sexuelle Orientierung staatlich verfolgt wird und schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen vorliegen. Geht die Verfolgung von nicht-staatlichen Akteuren aus, sondern beispielsweise von Familienmitgliedern, muss bewiesen werden, dass der Staat keinen Schutz bietet. Ist dies der Fall, kann in Deutschland Asyl beantragt werden. Diskriminierung und eine homo-/ und transfeindliche Einstellung der Mehrheitsgesellschaft im Heimatland gilt jedoch nicht als Asylgrund.
Das Asylgesuch wird in Deutschland vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) in zwei Anhörungen bearbeitet. Die erste Anhörung dient in der Regel zur Klärung, auf welchem Weg die Person angekommen ist und welches Land im Rahmen des Dublin-Verfahrens für die Asylprüfung zuständig ist. Die zweite Anhörung hingegen befasst sich schließlich mit den Fluchtgründen. Hier solle unbedingt die sexuelle Orientierung und Identität offengelegt und als Fluchtgrund genannt werden, wie der Leitfaden des LSDV deutlich macht.
LSBTI-Geflüchtete (Lesben, Schwule, Bisexuelle, trans- und intergeschlechtliche Geflüchtete), die in ihrer Heimat nicht geoutet waren und daher nicht verfolgt wurden, haben nur Anspruch auf Asyl, wenn ihnen Verfolgung droht. Verheiratete LSBTI-Personen sollten daher laut LSDV die Gründe für ihre Ehe darlegen. Während der Anhörung sind Fragen zum Privatleben, Selbstfindungsprozess und zu bisherigen Beziehungen erlaubt. Fragen zu sexuellen Praktiken sowie Fotos und Videos als Beweise sind jedoch nicht gestattet.
Die Realität für queere Asylsuchende sieht anders aus
Doch so funktioniert der Asylprozess offenbar nur auf Papier. In der Realität gibt es zahlreiche Hindernisse, die den Prozess für LSBTI-Asylsuchende erschweren. Eine Studie des Queer Muslim Asylum Projects aus dem Jahr 2020 fand heraus, dass in Deutschland die Ablehnungsrate vor allem bei lesbischen Frauen und weiblich gelesenen Personen äußerst hoch ist. Laut der Untersuchung sind 95 % aller lesbischen Asylsuchenden abgelehnt worden. Die durchschnittliche Ablehnungsrate von LSBTI-Personen liegt bei 50 %.
Gründe hierfür lägen darin, dass sich Frauen im 1. Interview häufig nicht trauen würden, zu outen. „Weil ich dachte, dass ich Probleme bekomme mit Freunden, Familie, Gesellschaft“, antwortete eine befragte Person im 2018 veröffentlichten Projektberichtes des Queeren Netzwerkes NRW auf die Frage, warum Sexualität nicht als Fluchtgrund genannt wurde. Hinzu komme, dass Frauen oft einen nicht-stereotypischen und heteronormativ angepassten Lebensstil führen würden, beispielsweise weil sie mit einem Mann verheiratet wären oder Kinder hätten.
Ebenso zeigte sich in der Studie, dass LSBTI-Asylsuchende eine höhere Chance auf Akzeptanz haben, wenn sie der in Deutschland anerkannten homosexuellen Identität entsprechen. Zum Beispiel, wenn es sich um eine weiße, lesbische oder schwule Person aus der Mittelschicht handele, die häufig in queere Bars gehe und an CSDs teilnehme.
In den Anhörungen offenbare sich der Mangel an geschultem Fachpersonal, was für Themen und die Vielfalt von queeren Menschen sensibilisiert ist. So würden nicht nur andere Lebensstile oder (Trans-)Identitäten nicht berücksichtigt, sondern es gaben 50 % der Befragten des Projektberichtes des Queeren Netzwerkes NRW an, dass sie sich bei den Anhörungen in ihrer Privatsphäre eingegriffen fühlten. Denn obwohl dies rechtlich nicht erlaubt ist, seien häufig Fragen zu sexuellen Praktiken gestellt worden. Betroffene gaben sogar an, dass ihnen vermittelt worden sei, dass Homosexualität oder Transgeschlechtlichkeit „unnormal“ sei.
Wenn Rassismus und Queerfeindlichkeit aufeinandertreffen
Dass es Geflüchtete in Deutschland alles andere als einfach haben, zeigt der komplizierte, bürokratische und zum Teil diskriminierende Asylprozess. Es treffen Rassismus und Queerfeindlichkeit aufeinander. Das zeigt sich allein daran, dass rassifizierte LSBTI-Geflüchtete mehr Schwierigkeiten beim Asylgesuch haben, als weiße, in Deutschland der Norm entsprechende LSBTI-Personen. Doch auch innerhalb der queeren Community gibt es immer wieder rassistische Vorurteile. „Viele Queers denken, dass sie selbst nicht diskriminierend reden oder agieren können, weil sie selbst diskriminiert werden“, so Mohamed Amjahid in einem Artikel des Tagesspiegels zu Rassismus und Transfeindlichkeit in der queeren Community. Ist jedoch eine Person oder Gruppe von zwei oder mehreren Diskriminierungsmerkmalen betroffen, nennt sich das intersektionale Diskriminierung.
Leider haben diese intersektionalen Diskriminierungsformen auch Auswirkungen auf die direkte Sicherheit von Geflüchteten. So beispielsweise bei Unterkünften: Häufig gibt es keine gesondert geschützten Unterbringungsmöglichkeiten für LSBTI-Geflüchtete, weshalb es häufig zu Berichten von Diskriminierung und Übergriffen in den Unterkünften kommt. Berlin ist bisher das einzige Bundesland, in dem LSBTI-Geflüchtete als „besonders schutzbedürftige Personengruppe“ anerkannt sind. Hierbei handelt es sich zwar nicht um eine rechtliche Kategorie, aber zumindest werden gesonderte Bedürfnisse anerkannt.
Beratung erhöht Anerkennungschance
Was kann eine geflüchtete LSBTI-Person nun tun, um ihre Chancen auf Asyl in Deutschland zu erhöhen? Am wichtigsten, aber vielleicht gleichzeitig am angsteinflößendsten, ist die direkte Offenlegung der sexuellen Orientierung und der geschlechtlichen Identität bei der ersten Anhörung. Ebenso können Begleitungen oder Sonderbeauftragte beantragt werden, die vor und während der Anhörung unterstützen. Häufig sind dies Rechtsanwält*innen, andere ehrenamtliche Begleitungen oder auch Freund*innen. Das Queere Netzwerk NRW fand heraus, dass LSBTI-Geflüchtete eine höhere Anerkennungschance haben, wenn sie vor der Anhörung Beratung erhielten. Anlaufstellen gibt es zum Beispiel hier.
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