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Kampf um Akzeptanz und Schutz: Die Herausforderungen queerer Geflüchteter

Queere Geflüchtete sind auch in Deutschland häufig massiver Gewalt und Diskriminierung ausgesetzt. zu.flucht Autor Tobias unterstützt Betroffene in Mainz und erlebt immer wieder, dass gerade Gemeinschaftsunterkünfte nicht sicher für queere Asylsuchende sind.

Fotograf*in: Alex Jackman on unsplash

Kriege und politische Verfolgung sind nicht die einzigen Gründe, warum Menschen in Deutschland Zuflucht suchen. Laut LSVD ist Homosexualität in 69 Ländern strafbar und in 11 Ländern droht sogar die Todesstrafe. 13 Staaten verfolgen trans Menschen explizit, in mindestens 37 Staaten werden sie faktisch kriminalisiert.

Wenn queeren Menschen massive Gewalt, Tod, Haft oder unmenschliche Behandlung drohen, können sie in Deutschland Asyl beantragen. Die Rainbow Refugees Mainz engagieren sich seit Ende 2015 ehrenamtlich für queere Geflüchtete in Mainz und Umgebung, bieten einen Stammtisch und Sprachlerntreffs an, leisten Asylberatung und helfen bei den Problemen des täglichen Lebens. 2019 erhielten wir den Brückenpreis des Landes Rheinland-Pfalz. Die meisten, die unsere Hilfe in Anspruch nehmen, haben schwere, oft sexuelle Gewalt in ihren Heimatländern erfahren.

Unterkünfte sind keine sicheren Orte für queere Geflüchtete

Ende 2015 wurde bekannt, dass ein schwules syrisches Paar in einer Unterkunft Todesdrohungen erhielt und die Gemeinschaftsunterkunft verlassen musste. Es zeigte sich, dass für queere Geflüchtete die Unterkünfte keine sicheren Orte sind. Offen lebende queere Geflüchtete werden ausgegrenzt, bedroht und manchmal angegriffen. Oft kollaboriert die Security mit den Tätern. 20% der queeren Geflüchteten, die in Mainz unsere Hilfe suchen, wurden in Deutschland Opfer von physischer Gewalt durch andere Geflüchtete.

Bericht einer Frau aus Armenien
Triggerwarnung: psychische und sexualisierte Gewalt, Suizid

Ich musste aus meiner Heimat fliehen, da ich als Lesbe verfolgt wurde. In Deutschland habe ich mein Lesbischsein nie verheimlicht. In der Erstaufnahmeeinrichtung Kusel wurde ich deswegen von Landsleuten angespuckt und beleidigt. Als sich das in einer Unterkunft wiederholte, wandte ich mich an eine Sozialarbeiterin. Die sagte, wenn ich ein Einzelzimmer wolle, solle ich mich von einem Mann schwängern lassen. Sie wusste, dass ich lesbisch bin und mich Männer bedrängten. Ich bekam Depressionen und unternahm einen Selbstmordversuch.

In einer anderen Unterkunft in Mainz stellte mir ein Landsmann ständig nach und sagte, dass er mich „heilen“ könne, wenn wir nur „ordentlich Sex hätten“. In einer anderen Unterkunft sah mich ein Geflüchteter, als ich von einem CSD wiederkam. Auch er bedrängte mich und wollte Sex mit mir. Ich bat ihn, mich in Ruhe zu lassen, aber er rannte mir hinterher. Ich konnte gerade noch die Tür schließen. Er hämmerte 20 Minuten an der Tür. Unterkünfte waren für mich Orte der Angst. Tagsüber habe ich versucht, mich zu verstecken und nachts konnte ich nicht schlafen.

 

Ein queerer Geflüchteter aus Bahrein brachte es auf den Punkt: „Die Gemeinschaftsunterkunft ist die Miniaturversion meiner Heimat.“ Dies führt zu Retraumatisierung. Studien belegen, dass sich die psychische Situation von queeren Geflüchteten in Deutschland noch verschlechtert.

Derzeit sehen wir wenig Chancen für eine Verbesserung der Unterbringung queerer Geflüchteter in Flächenländern wie Rheinland-Pfalz. Aufgrund der steigenden Zahlen an Asylbegehrenden erfolgt die Unterbringung mehr und mehr fernab von Orten der queeren Community und ohne direkten Kontakt mit Sozialarbeiter:innen, die bei Problemen helfen können.

Diskriminierung im Asylprozess

Bei Asylanhörungen wurden queere Geflüchtete von Dolmetschern beschimpft und es wurde teilweise bewusst falsch übersetzt. Auch heute scheitern Asylverfahren, da queere Geflüchtete Behörden und Dolmetschern misstrauen, im Interview den Grund für ihre Verfolgung zuerst verschweigen und dann als unglaubwürdig gelten. Für das massenhafte Scheitern der Asylanträge waren bis vor einem Jahr die Verhaltensprognosen des BAMF verantwortlich: Wenn eine queere Person in der Heimat verfolgt wurde, aber in der Gemeinschaftsunterkunft nicht offen aus Furcht um das Leben lebt, wurde geschlossen, dass die Person auch in der Heimat „diskret“ leben könne, somit das Leben nicht in Gefahr sei und der Asylantrag wurde abgewiesen.

Unserer Erfahrung nach haben queere Geflüchtete erst durch Sonderanhörungen und die Abschaffung von Verhaltensprognosen eine echte Chance in Asylverfahren.

Zusammengefasst ist zu sagen, dass die Lebenssituation von queeren Geflüchteten sehr schwierig ist. Sie leiden an denselben Dingen wie alle anderen Geflüchteten auch: lange Asylverfahren, sprachliche Barrieren, Probleme im Umgang mit Behörden usw. Sie können in der Regel aber nicht auf die Hilfe von Landsleuten zurückgreifen. Im Gegenteil, sie berichten von Diskriminierung aufgrund ihrer geschlechtlichen und sexuellen Identität.

Damit möchte ich nicht sagen, dass alle Geflüchteten Vorbehalte gegenüber queeren Menschen haben, denn es gibt auch Gegenbeispiele. Aber dennoch ist zu befürchten, dass Menschen, die aus Ländern kommen, in denen queere Menschen durch Staat, Gesellschaft und Religion verfolgt werden, ihre Auffassung nicht einfach ändern werden. Im Gegenteil, sie sehen dies als eine „westliche Bedrohung“, vor der sie ihre Familien „schützen“ müssen.

Die Botschaft, dass es Diskriminierung aufgrund von Herkunft, Geschlecht, Glauben, Religion nicht toleriert wird, ist dringend notwendig – für Menschen, die in Deutschland geboren sind und auch diejenigen, die sich erst seit kurzer Zeit in diesem Land befinden.

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Tobias Trapp unterstützt seit 2016 queere Geflüchtete und ist Vorsitzender der Rainbow Refguees Mainz. Er engagiert sich in der Deutschen Buddhistischen Union und interessiert sich für interreligiösen Dialog und buddhistische Seelsorge.

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Integration – Geflüchtete Frauen als Weinkönigin

Integration bedeutet, dass man sich anpasst an Traditionen und Lebensweisen. Integration bedeutet, dass man sich verändert. Ist es nun ein Zeichen von Integration, wenn auch Geflüchtete „Ämter“ wie das einer Weinkönigin oder Karnevalsprinzessin übernehmen? Muna Adem – eine äthiopische Faschingsprinzessin Die 39-jährige Muna Adem lebt mit zwei kleinen Kindern in der Gemeinschaftsunterkunft für Flüchtlinge in Obernburg in Bayern und ist laut den Faschingsfreunden Nemaninga die erste äthiopische Faschingsprinzessin in Deutschland. Die mehr als 40 Faschingsfreunde Nemaninga sind zwischen 3 und 66 Jahre alt und kommen aus Syrien, Afghanistan, Gambia, Kamerun, Äthiopien oder der Türkei. In der alten Römerstadt Obernburg in Unterfranken in der Nähe von Aschaffenburg steht das Römerkastell Nemaninga, von dem aus vor 1800 Jahren die Römer am Untermain den Grenzwall Nimes bewachten. Nach diesem Kastell ist die Faschingsgemeinde benannt. Muna die Erste heißt sie und ist für drei Tage „Kaiserin von Nemaninga“. Der Oberbürgermeister von Obernburg persönlich hat sie gekrönt und auf seine Frage, was ihr an Deutschland am meisten gefällt, sagt sie „Äppelwoi“. Die Entscheidung für Muna Adem ist für die Faschingsfreunde ein Zeichen für Vielfalt und Toleranz. Die Äthiopierin kam Ende 2016 über Italien nach Deutschland. Ihre beiden Kinder sind drei und fünf Jahre alt. Ihr Asylverfahren ist noch nicht abgeschlossen, deshalb darf ihr äthiopischer Ehemann nicht aus Italien nachreisen. Ein Kommentar von einem Obernburger: „Obernburg ist bunt, multikulti ist toll!“ Gelebte Integration? Eine Syrierin wird zur Weinkönigin gekrönt. Am 3.8.2016 wurde die damals 25-jährige Ninorta Bahno in Trier für 365 Tage zur 68. Trierer Weinkönigin gekrönt. Bei dem „königlichen Amt“ geht es ihr um viel mehr als um Reben und deren Saft: „Ich möchte eine Botschafterin für die Integration und für das Zusammenleben in meinem neuen Land werden.“ „Immer wenn ich Zeit habe, lese ich über Wein“, erzählt die junge Frau in hervorragendem Deutsch. Von

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Refugee Olympic Team als Symbol der Hoffnung

Der erste Satz, den man mit den Olympischen Spielen in Verbindung bringt, ist wohl „Dabei sein ist alles!“. Doch in einem Wettkampf, bei dem Athlet*innen unter ihren Landesflaggen antreten, übergeht man die Menschen, die viel Potenzial haben, aber nicht mehr in ihrem Heimatland leben können. Das Internationale Olympische Komitee (IOC) gibt nun zum zweiten Mal geflüchteten Spitzensportler*innen die Chance, an den Olympischen Spielen teilzunehmen. 29 Athlet*innen treten bei den aktuellen Spielen in Tokyo unter der Olympischen Flagge für das IOC Refugee Olympic Team (kurz: EOR, Equipe Olympique des Réfugiés) an. Sie leben und trainieren in 13 verschiedenen Ländern und stammen aus elf unterschiedlichen Herkunftsländern. „Dies wird ein Symbol der Hoffnung für alle Geflüchtete in der Welt sein und der Welt das Ausmaß dieser Krise besser bewusst machen. Es ist auch ein Signal an die internationale Gemeinschaft, dass Geflüchtete unsere Mitmenschen sind und eine Bereicherung für die Gesellschaft darstellen“, so IOC-Präsident Thomas Bach. Bereits 2016, bei den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro, trat ein Team aus geflüchteten Sportler*innen an. Nach den großen Fluchtbewegungen im Jahr 2015 sollten die zehn Athlet*innen des EOR zeigen, dass alle olympischen Sportler*innen, ob geflüchtete oder nicht, die gleichen Träume und Ambitionen haben. Dass Sport Zusammenhalt schafft. Die Entscheidung, auch für die Spiele in Tokyo ein Team aus geflüchteten Menschen zusammenzustellen, fiel im Oktober 2018. Sport kann die Welt zu einem besseren Ort machen Zu dem Refugee Olympic Team gehört beispielsweise Schwimmerin Yusra Mardini, die die Olympische Flagge beim Einzug in das Stadion tragen durfte. Die 23-Jährige trat schon bei den letzten Olympischen Spielen an. Sie ist 2015 aus Damaskus, der Hauptstadt von Syrien, geflüchtet und hat dabei eine sehr bewegende Fluchtgeschichte erlebt. Über diese hat sie ein Buch geschrieben, dass nun verfilmt wird. Insgesamt treten die 29 Sportler*innen in zwölf Disziplinen an. Darunter sind beispielsweise

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Migration & Sicherheit – eine Bestandsaufnahme

Wenn wir an nationale Sicherheit denken, beinhaltet das oft den Schutz der Integrität oder der Souveränität eines Landes vor externen Bedrohungen wie militärischen Angriffen, Cyberkriminalität oder auch Terrorismus. Wenn wir Sicherheit jedoch in Verbindung mit Migration hören, geht es oftmals nur um innenpolitische Themen. Migration wird zum Sicherheitsrisiko und als Gefahr für die innere Sicherheit deklariert. Das sieht man immer wieder in den Medien, in denen Migrant*innen oftmals nur mit Negativnachrichten in Verbindung gebracht werden. Sie werden zu Sündenböcken für ökonomische und politische Schwächen in ihrem Ankunftsland. Das hat verheerende politische und soziale Folgen für Geflüchtete – eine Bestandsaufnahme Versicherheitlichung: Legitimation einer restriktiven Migrationspolitik Versicherheitlichung ist eine Teildisziplin der Politikwissenschaften und ein zentrales Konzept der sogenannten Kopenhagener Schule. Das Konzept zeigt, wie einflussreiche politische Akteur*innen relevante Themen als „Sicherheitsprobleme“ darstellen, um dann für deren „Lösung“ gesellschaftliche Aufmerksamkeit und Unterstützung zu mobilisieren. Es wird eine angeblich sicherheitsgefährdende Ausnahme- bzw. Bedrohungssituation konzipiert, die nur durch außerordentliche Maßnahmen und manchmal auch unter Umgehung demokratischer Regeln und Verfahren gelöst werden kann. Für die Migrationspolitik bedeutet das die Instrumentierung von objektiven Ängsten wie dem Zusammenbruch des Sozialsystems, Wohnungsnot und fehlenden Arbeitsplätzen als auch von subjektiven Ängsten wie dem Verlust von kulturellen Werten, Identität und der allgemeinen Homogenität. Im Zentrum steht die irreguläre Migration als Bedrohung für die sozioökonomische, territoriale und kulturelle Sicherheit. Deshalb ist das Ziel einer versicherheitlichten Migrationspolitik, Migrationsbewegungen zu stoppen oder unterbrechen. Zu einer Versicherheitlichung kommt es häufig nach gesellschaftlichen Umbrüchen, wie zum Beispiel nach 9/11. In Deutschland hat die große Anzahl geflüchteter Menschen 2015 zu einer zunehmenden Versicherheitlichung beigetragen. Politische Auswirkungen Ein Resultat: die verstärkte Überwachung von Grenzen. Der Schengen-Raum, der 22 EU-Mitgliedstaaten und 4 Nicht-EU-Mitgliedsländer umfasst, garantiert über 400 Millionen Bürger*innen uneingeschränkten Personenverkehr. Im Jahr 2017 hatten Rumänien, Polen, Italien, Portugal und Bulgarien die höchste Zahl an Bürger*innen, die in anderen EU-Mitgliedstaaten lebten. Dennoch steht die Freizügigkeit in

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Tobias Trapp unterstützt seit 2016 queere Geflüchtete und ist Vorsitzender der Rainbow Refguees Mainz. Er engagiert sich in der Deutschen Buddhistischen Union und interessiert sich für interreligiösen Dialog und buddhistische Seelsorge.

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