Aber was versteht man im deutschen Diskurs unter „Hamas“? Seit Beginn des jüngsten Kriegs am 7. Oktober hat sich die Lage auch in Deutschland zugespitzt. Einige Solidaritätsdemonstrationen für Palästinenser*innen wurden verboten und einige Pro-Palästina-Aktivist*innen festgenommen. Denn sie haben den Angriff gefeiert. Das gilt als Antisemitismus und sowas muss bestraft werden. Mit solchen antisemitischen Äußerungen werden Palästinenser*innen keine Solidarität gewinnen.
Gleichzeitig zeigen die deutschen Behörden ihre uneingeschränkte Solidarität mit Israel, unabhängig von den Maßnahmen, die die israelische Armee als Reaktion auf die Hamas-Angriffe in Gaza unternimmt. Ob Frauen oder Kinder getötet werden. Ob Häuser, Schulen oder Krankenhäuser zerstört werden: „Israel hat das Recht, sich selbst zu verteidigen“, heißt es.
Auch die Medien haben es geschafft, diese Botschaft zu vermitteln, ohne die palästinensische Perspektive bisher angemessen zu berücksichtigen. Es wurde kaum ein Unterschied zwischen den Palästinenser*innen und der Hamas gemacht, was impliziert, dass die Palästinenser*innen – auch in Deutschland – als Hamas-Anhänger*innen betrachtet werden. Dies scheint den medialen und politischen Diskurs zu rechtfertigen. Und dieser verstößt offensichtlich gegen die Menschenrechte der Palästinenser*innen.
Palästinensische Perspektive nicht berücksichtigt
Politiker*innen setzen sich auch in Talkshows seit Samstag dafür ein, Israel und sein Verhalten zu verteidigen, und fordern die Vernichtung der Hamas, auch wenn das nicht mit schönen Bildern verbunden sein könne. Das Problem bei diesem Diskurs ist, dass die Menschen in Palästina bisher kollektiv als Hamas-Anhänger*innen, Terrorist*innen und Barbar*innen dargestellt wurden.
Solange dies so bleibt, werden wir in den kommenden Tagen vermehrt auf anti-palästinensischen Rassismus stoßen. Eine Freundin schrieb mir: „Sie haben jetzt das grüne Licht bekommen, um uns alle auszulöschen.“ Sie ist keine Hamas-Anhängerin. Sie verurteilt die Hamas-Angriffe auf Zivilist*innen und ist der Meinung, dass solches Verhalten nichts mit legitimem Widerstand zu tun hat. Dennoch befürchtet sie, dass diese Angriffe dazu führen könnten, dass mehr als 13 Millionen Palästinenser*innen weltweit bestraft werden. Dass sie keine Möglichkeit mehr haben, ihre Haltung zu ihrem eigenen Konflikt zu zeigen, ohne als antisemitisch, terroristisch oder barbarisch bezeichnet zu werden.
Diese Befürchtung scheint nachvollziehbar zu sein. Daher ist es dringend erforderlich, dass Politik und Medien den Unterschied aufzeigen, um zu verhindern, dass Palästinenser*innen kollektiv bestraft werden. Denn dies dient nicht dazu, die Lage zu beruhigen oder Antisemitismus zu bekämpfen, sondern trägt dazu bei, den Konflikt weiter zu eskalieren – auch in Deutschland.
Für die Berichterstattung zum Krieg in Israel und Palästina haben wir uns entschieden, mehrere Perspektiven in einen Kontext einzuordnen. Aufgrund der komplexen Vorgeschichte und den schnellen Entwicklungen werden wir in den nächsten Wochen also verschiedene Beiträge zu diesem Thema veröffentlichen. Durch die Veröffentlichung verschiedener Perspektiven und Beobachtungen wollen wir mehr Klarheit schaffen und zeigen, welche Zusammenhänge und Sichtweisen es gibt.
Weitere Beiträge zu diesem Thema findest du hier.
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Eine Antwort
Eine weithin übersehene Kriegsursache ist eine „Kultur der Gewalt“, die bereits in den Familien existiert (Gewalt in der Kindererziehung, häusliche Gewalt gegen Frauen). Der österreichische Friedensforscher Franz Jedlicka analysiert dazu laufend internationale Statistiken, und Nancy Hartevelt-Kobrin hat speziell über palästinensische Familien ein Buch geschrieben (The banality of suicide terrorism).
LG Doris