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Frau als Sicherheitsrisiko

Süreyya Castillo-Tasdemir berichtet von ihren Erfahrungen mit (Un-)sicherheit als Frau.

Fotograf*in: Christian Lue auf Unsplash

Der sichere Boden unter meinen Füßen – fühlt sich warm an – es ist der Fliesenboden meiner Mama. Eine komische Struktur in Terrakotta-Farben, welche mich immer daran erinnern, dass meine Füße nackt sind, spätestens dann, wenn es aus dem Munde meiner Mama hallt: „Zieh deine Hausschuhe an, sonst kriegst du eine Blasenentzündung, nein Nierenentzündung.“ Ja, ein Drang zum Übertreiben, den hat meine Mama.

Mein Name ist Süreyya, ich bin 33 Jahre alt und lebe fast mein ganzes Leben lang in Hamburg, das ist sicher. Ich bin eine Frau, nach außen weniger stark, weniger schlau. Das ist das, was viele sehen, eine Frau. Egal wo auf dieser Welt, ob Nord, Ost, Süd oder West, ob arm oder reich. Bist du eine Frau, dann spielst du tagtäglich einmal die Hauptrolle in deinem eigenen Drama.

 

Risikofaktor Frau

 

Ich weiß nicht, ob ihr den aktuellen Werbefilm der AXA kennt – „Eine Frau zu sein, sollte kein Risiko sein.“ Risiko schwächt Sicherheit – zwei Geschwister, Mädchen und Junge, spielen an der Konsole ein Spiel. Die Mutter braucht Hilfe und bittet das Mädchen den Tisch zu decken, während der Junge weiterspielen darf. Wenn ich diese Szene sehe, will ich schreien. Die Gesellschaft schafft schon im Kindesalter diese Grenzen zwischen Frauen und Männern. Es erlegt uns Frauen diese Bürde auf, ein Risiko zu sein.

Und das überträgt sich auf den Alltag jeder Frau. Wir sind teilweise so paranoid und verspüren diesen inneren Drang zum Übertreiben tief in unserer DNA, sodass man mit hoher Wahrscheinlichkeit behaupten kann, dass fast jede Frau mindestens einmal in ihrem Leben die Straßenseite gewechselt hat, nur aufgrund der Tatsache, dass sie eine Frau ist und sie dies als Risiko empfindet.  Du bist mindestens einmal aus dem Bus ausgestiegen und hast so getan, als würdest du um Mitternacht einen Brunch am Telefon planen.

Oder meine Lieblingsphantasie: „Der gespitzte Haustürschlüssel“. Nur um zu zeigen, ich bin nicht allein, ich nehme dich wahr und ich bin bereit für mich zu kämpfen. Das Gefühl der Verletzlichkeit, bedingt durch die eigene Haut, kennt jede Frau – vielleicht nicht auf die genannte Art und Weise, aber irgendwie schon. Und leider ist es nicht nur die Nacht, sondern auch bei Tageslicht, wo ich mich dabei ertappe, Sachen zu sagen und zu tun, die zurückzuführen sind auf mein Geschlecht.

 

“Kein Mann der Welt muss solche Schmerzen einer Frau ertragen”

 

Vor einiger Zeit, an meiner ersten Arbeitsstelle, war ich so verunsichert von einem arroganten Kunden, dass ich mich nach meinem ersten Treffen mit ihm immer breitbeinig im Meeting-Raum aufgestellt habe, nur um zu zeigen: „Hey, weißt du was? Ich bin das, was du auch bist.“ Ich ertappe mich oft in solchen Situationen, die mich verunsichern und mich dazu verleiten, meine Rolle in dieser Welt zu hinterfragen. Wie absurd ist es, dass ich mich verstellen muss, nur um wahrgenommen zu werden.

Eine Frau zu sein ist schwer, keine Frage. Kein Mann der Welt muss solche Schmerzen einer Frau ertragen. Dennoch lasst uns eines festhalten – wenn wir weiter unsere Mädchen anders behandeln als die Jungen, werden wir das Risiko nie minimieren. Gesellschaftlich haben wir bei diesem Thema eine Sicherheitslücke. Wir schaffen uns die Probleme selbst.

Eine Frau kann genauso stark sein wie ein Mann. Sie kann genauso schlau sein wie ein Mann. Und sie sollte sich genauso sicher fühlen wie ein Mann. Dazu braucht es eins – Gerechtigkeit.

Mama, ich verstehe es nun. Das Dasein von Liebe ist das stärkste Fundament – der sicherste Boden.

 

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Süreyya Castillo-Tasdemir ist 1990 in München geboren. Ihre Familie stammt ursprünglich aus der Türkei und kam in den 1960er Jahren als typische Gastarbeiterfamilie nach Deutschland. Sie hat lange Zeit als OP-Assistentin bei einem Mund-Kiefer-Gesichtschirurgen gearbeitet und später einen Master in Schiffbau und Meerestechnik absolviert. Heute arbeitet sie als Ingenieurin in Hamburg. Ihr Interesse an Vielfalt und die Bereitschaft, sich gesellschaftspolitisch zu engagieren, haben sie zu kohero gebracht.

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Kategorie & Format
Süreyya Castillo-Tasdemir ist 1990 in München geboren. Ihre Familie stammt ursprünglich aus der Türkei und kam in den 1960er Jahren als typische Gastarbeiterfamilie nach Deutschland. Sie hat lange Zeit als OP-Assistentin bei einem Mund-Kiefer-Gesichtschirurgen gearbeitet und später einen Master in Schiffbau und Meerestechnik absolviert. Heute arbeitet sie als Ingenieurin in Hamburg. Ihr Interesse an Vielfalt und die Bereitschaft, sich gesellschaftspolitisch zu engagieren, haben sie zu kohero gebracht.

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