Suche

Dan Thy Nguyen: Eher Reformer als Revolutionär

Natalia Grote stellt die Person der Woche vor: Dan Thy Nguyen ist freier Theaterregisseur, Schauspieler und Schriftsteller. Zudem gründete er das fluctoplasma Festival in Hamburg.

Fotograf*in: Nico Scagliarini

„Ein großes Thema, das bei allem, was ich mache, darüber steht, ist radikale Gleichberechtigung. Dass alles als gleich angesehen wird, also eine multiperspektivische Gleichheit von allen Menschen.“ Dan Thy Nguyen (38) ist freier Theaterregisseur, Schauspieler, Schriftsteller, Sänger, Essayist, gründete und leitet das fluctoplasma – das Hamburger Festival für Kunst, Diskurs und Diversität.

Mit seiner Forderung nach radikaler Gleichheit liegt es nicht fern, dass das diesjährige fluctoplasma unter dem Motto „crush your egosystems“ steht. Zum 4. Mal stehen ab Donnerstag wieder vielfältige Künstler*innen, Speaker*innen und Kollektive auf den Bühnen. „Bei uns geht es um Kultur, Demokratie und Solidarität“, heißt es auf der Website des Kunstfestivals. Das gilt nicht nur für die Artists, sondern auch für das Organisationsteam. Neben all dem Logistischen, das bei einem Festival organisiert werden muss, stehen für Dan Thy die Menschen besonders im Vordergrund.

All die Perspektiven und Persönlichkeiten als Team zusammenzubringen und Bedürfnisse wahrzunehmen, ist in diesen Tagen Dan Thys größte Aufgabe. „Ich bin wie ein Maulwurf mit einem Hammer – ich grabe mich gerne ein und wenn ich dann mal wichtig bin und gebraucht werde, dann mache ich action.“

Nicht immer hatte Dan Thy so viele Menschen wie heute um sich herum, die mit ihm gemeinsam für ein Miteinander einstehen. „Die allerersten Jahre in Hamburg war ich komplett alleine. Ich hatte aber das Glück, im Laufe meines Lebens dann viele tolle Menschen zu treffen“, erinnert sich Dan Thy.

 

„Ich glaube, das Studium hat mich am meisten politisiert“

 

Mitte der 2000er Jahre beginnt er, Islamwissenschaften zu studieren und belegt Kurse für Arabisch, Türkisch und Farsi. „Ich glaube, das Studium hat mich am meisten politisiert“, sagt er. Es ist aber auch die Auseinandersetzung mit seiner eigenen Lebensgeschichte, die Dan Thy prägt. „Ich komme aus einer sehr konservativen Familie, die stellenweise auch ein bisschen rassistisch war. Meine eigene Familiengeschichte, nicht nur die Flucht- und Migrationsgeschichte, auch die Auseinandersetzung mit dem politischen Denken in meiner Familie und der Widerstand gegen ihre Überzeugungen, haben mich sehr geprägt“, erzählt er. Und auch in linken Diskursen fehlt ihm die Auseinandersetzung mit Diskriminierung unter marginalisierten Gruppen: „Antirassismus bedeutet, genau hier tiefer reinzuschauen und festzustellen, wo Rassismus reproduziert wird.“

 

Antirassismus in Kunst und Kultur

 

Dan Thy wächst in einer Zeit auf, in der Kunst noch nicht so politisch wie heute war. In seinem Umfeld waren viele Menschen von Kunst und Kultur enttäuscht; es gab viele identitätspolitische Kämpfe, so Dan Thy. Die wichtigste Forderung dabei war, antirassistische Strukturen gesamtgesellschaftlich zu schaffen. „Wir müssen da mit allen Menschen, und dazu gehören auch PoC-Perspektiven, dran arbeiten. Du siehst, ich bin eher der Reformer, als ein Revolutionär.“

Besonders als 2015/16 Tausende Menschen nach Europa flüchten, sucht Dan Thy nach einer aufrichtigen und nachhaltigen Form von Solidarität. „Wie können wir Strukturen der Solidarität aufbauen, damit wir diese nicht nur kurz auf Demos offenbaren, sondern Infrastrukturen für Antirassismus bauen?“ „Sind die etablierten Kultur- und Bildungsinstitutionen im Sinne einer gleichberechtigten Gesellschaft reformierbar?“, fragt er sich. Es ging ihm auch darum, Kulturarbeit mit Antirassismus und Antisemitismus zu verbinden.  Seine Antwort auf diese Fragen ist 2020 die Gründung des Studio Marshmallows und des fluctoplasmas. Der Gedanke von Repräsentation und radikaler Gleichberechtigung bekommt eine Bühne – oder gleich mehrere, verteilt in Hamburg.

Doch was kommt nach der Repräsentation? Diese Frage hat sich Dan Thy schon in der kohero Printausgabe 8: „Wem gehört Schönheit?“, gefragt. Eine Antwort hat er noch nicht, dafür aber neue Fragen: „Ich glaube, dass Repräsentation, oder eine Repräsentationsquote, nur ein Tool ist, um Sichtbarkeit zu schaffen. Aber ich frage mich manchmal, was nach den Geschichten von Flucht und Migration kommt. Was passiert, wenn diese Geschichten zur Norm geworden sind und wir nur noch menschliche Geschichten erzählen?“ Doch dafür müsse man die komplette Wissensstruktur aufbrechen, damit nicht nur über nationale, sondern über globale Geschichte gesprochen und gelehrt wird.

Nach dem aktuellen fluctoplasma wird sich das Studio Marshmallow einem Forschungsschwerpunkt bezüglich Diversität in Ost- und Westperspektiven widmen. „Wir glauben, dass der Großteil des Diversitäts- und Antirassismus-Diskurses ein westdeutscher ist. Man könnte auch sagen, ein westeuropäisch oder anglo-amerikanisch geprägter Diskurs. Da wollen wir unseren Festivalansatz nutzen, um Austausch zu schaffen. Wir müssen die Perspektiven aus Ostdeutschland und dem sogenannten Osteuropa dazuholen, um wirklich über Diversität sprechen zu können“, sagt Dan Thy.

 

„Die politische Seite von Superheldencomics interessiert mich sehr“

 

Der private Dan Thy macht gerne Musik aus Sounds von Wäscheständern und Geigenbögen, übt Blockflöte und entspannt sich mit Horrorfilmen. Wirklich trennen kann man das Private und das Politische in ihm aber nicht. Er erzählt: „Mich haben nicht nur mein Studium und meine eigene Migrationsgeschichte politisiert, sondern auch jüdische und Exilliteratur und insgesamt meine literarische Arbeit. Das führt häufig dazu, dass ich nicht von meinen beruflichen Themen abschalten kann, weil die eben so spannend sind.“

Um mal wirklich runterzukommen, greift Dan Thy eher zu Superheldencomics. „Die mochte ich übrigens, bevor sie cool wurden“, wirft er ein und lacht. Doch er wäre nicht Dan Thy, wenn er nicht auch den Kampf für Gleichberechtigung von Charles Xavier von den X-Men mit Martin Luther King und Malcolm X in Verbindung setzen würde.

 

Schlagwörter:
Natalia ist in den Bereichen (Mode-)Journalismus und Medienkommunikation ausgebildet und hat einen Bachelor in Management und Kommunikation. Derzeit studiert sie Digitalen Journalismus im Master. Besonders gerne schreibt sie über (und mit!) Menschen, erzählt deren Lebensgeschichten und kommentiert gesellschaftliche Themen. Sie leitet die Redaktion und das Schreibtandem von kohero. „Ich arbeite bei kohero, weil ich es wichtig finde, dass die Geschichten von Geflüchteten erzählt werden – für mehr Toleranz und ein Miteinander auf Augenhöhe.“     (Bild: Tim Hoppe, HMS)

Zum Abo: 

Mit deinem Abo können wir nicht nur neue Printausgaben produzieren, sondern auch unsere Podcasts und das Online-Magazin weiter kostenlos anbieten.

Wir machen Journalismus, der zugänglich für alle sein soll. Mit dem Rabattcode koherobedeutetZusammenhalt kannst du einzelne Ausgaben günstiger bestellen. 

„Ich habe oft Heimweh nach Marokko“

„Ich habe oft Heimweh nach Marokko“

„Mich hat Europa schon immer fasziniert“ Ich bin regelmäßig nach Deutschland geflogen, aber auch nach Spanien oder Frankreich. 2013 haben mein damaliger Lebensgefährte und ich dann beschlossen, in Deutschland zu bleiben, hier sesshaft zu werden. Ob das wirklich eine so gute Idee gewesen ist – ich weiß es nicht, bin mir da mittlerweile nicht mehr so sicher. In Marokko hatte ich einen tollen Job, der mir wirklich Spaß gemacht hat. Ich habe in einem großen Fünfsternehotel gearbeitet, mir hat es gefallen, dass ich zu so vielen unterschiedlichen Menschen Kontakt hatte, aus verschiedenen Länder und Kulturkreisen. Damals war ich allerdings auch noch nicht Mutter. Hier in Hamburg wird es für mich schwieriger, in der Hotelbranche Fuß zu fassen, denn man muss flexible sein, muss bereit sein, in Schichten und vor allem auch nachts zu arbeiten. Das geht jetzt nicht mehr, wegen meiner kleinen Tochter. Und mir fehlt die Sonne! Hier in Deutschland regnet es nur und es ist so kalt und windig. In Marokko haben wir selbst im Winter noch Temperaturen an die 18, 19 Grad. Aber nicht nur das Klima ist hier kälter, auch die Menschen sind es. In meiner Heimat sind alle irgendwie warmherziger, offener und freundlicher. Hier in Hamburg sind die Leute oft sehr kurz angebunden, im Umgang miteinander eher kühler, distanziert. Für Marokkaner ist die Familie sehr, sehr wichtig, wir sehen uns eigentlich jeden Tag. Viele Deutsche dagegen besuchen ihre Eltern nur mal im Monat. Bei uns ist der Familienzusammenhalt viel größer und ausgeprägter. Wir essen jeden Tag gemeinsam, danach sitzen wir beieinander, unterhalten uns, schauen einen Film oder machen Musik. Und wir Marokkaner haben ein anderes Verständnis für Zeit und Termine. Die Deutschen sind immer extrem pünktlich, in Marokko ist man da entspannter, lässiger. „Für mich ist es hier als Frau sicherer“ Und trotzdem gefällt mir

Weiterlesen …
Mídia NINJA via Flickr unter CC BY-NC-SA 2.0 Lizenz.

Maria José – die Heldin der Vergessenen

Maria José war die Stimme der Menschen in den Favelas von Rio de Janeiro. Sie organisierte Projekte, um etwas gegen die Gewalt und die Vernachlässigung seitens des Staates zu tun und kämpfte bis zum Schluss für eine bessere Zukunft.

Weiterlesen …

Ich komme aus der Hauptstadt des Jasmin

In den kleinen Gassen in Damaskus kann man den Duft der Blume einatmen und riechen. Ich bin erst 29 Jahre alt, aber ich habe bereits sehr viel erlebt in meinem Leben. Krieg und nun den Asylstatus. Bevor ich es vergesse, ich bin ein Flüchtling, aber ich bin in erster Linie ein normaler Mensch. In Damaskus habe ich Politikwissenschaften studiert, weil ich verstehen möchte, was in der Welt passiert. Ich habe geglaubt, dass die Politik der Grund für alles ist. Als Journalist habe ich gearbeitet, weil ich aus einer Journalistenfamilie komme. Ich habe zwei Brüder, die ebenfalls Journalisten sind. Ich möchte den Menschen mitteilen, was warum und wie in der Welt passiert ist und noch passiert. Ich lebte ein Jahr in Istanbul. Dort arbeitete ich jeden Tag fünfzehn Stunden in einer Kleiderfabrik. Istanbul hat mich an Damaskus erinnert, weil man in der Stadt auch den Duft einer Blume in der Nase hat. Es gibt aber keinen Jasmin in Istanbul, sondern Tulpen. Eine Freundin sagte mir, sie seien das Wahrzeichen der Osmanen. Seit eineinhalb Jahren bin ich in Hamburg. Die Stadt des Regens, aber auch der Möglichkeiten wie Berlin. Mithilfe meiner Freunde habe ich das Flüchtling-Magazin gegründet. Nun suche ich eure Unterstützung, und ich möchte gerne mit euch arbeiten.

Weiterlesen …

Die Geschichte meiner Familie

Mein Name ist Emma Cartwright. Insgesamt habe ich Wurzeln aus vier Ländern. Mein Vater ist komplett deutsch, ich bin also halb deutsch. Die Herkunft meiner Mutter hingegen ist etwas gemischter. Sie ist halb Engländerin, da mein Opa aus England kommt. Meine Oma kommt ursprünglich aus Indonesien und ist auch dort aufgewachsen. Ihre Mutter war jedoch Holländerin. Aufgrund von Kriegen sind meine Oma und ihre Familie aber während ihrer Kindheit von Indonesien nach Holland ausgewandert. Daher habe ich kaum Familie in Indonesien, dafür aber viel in Holland und England. Zu Hause sprechen wir eigentlich nur Deutsch, wenn ich aber den Rest meiner Familie besuche, ist es immer ein wildes Durcheinander. Ein paar Familienmitglieder sind nach Finnland und Schweden gezogen und haben dann über die Jahre hinweg ihr Deutsch ein wenig verlernt. Also wird Englisch, Deutsch, Holländisch, Indonesisch und Finnisch gesprochen, wenn wir uns alle sehen. Trotzdem schaffen wir es aber immer, uns zu verständigen. Mir gefällt dieses Sprachchaos und die Vermischung der unterschiedlichen Kulturen sehr gut. Man lernt immer wieder neue Wörter dazu und es ist spannend, Geschichten aus den anderen Ländern zu hören. „Mir gefällt dieses Sprachchaos“ Ich bin froh, dass mir schon von klein auf die englische Sprache beigebracht wurde. Englisch ist so weit verbreitet und es ist ein großer Vorteil, diese Sprache zu beherrschen. Leider hat sich meine Mutter immer schon geweigert, mit ihrer Familie auf Englisch zu sprechen und war daher die einzige zu Hause, die Deutsch redete. Wenn wir dann aber die Familie besuchen, freue ich mich immer sehr darauf, die anderen Sprachen zu sprechen. Mich interessiert vor allem die englische Kultur und ich bin ein großer Fan von Großbritannien. Immer schon war es mein Traum nach Bristol, die Heimatstadt meines Opas, zu ziehen und dort zu studieren. Leider ist der Kontakt zur Verwandtschaft dort nicht

Weiterlesen …
Kategorie & Format
Natalia ist in den Bereichen (Mode-)Journalismus und Medienkommunikation ausgebildet und hat einen Bachelor in Management und Kommunikation. Derzeit studiert sie Digitalen Journalismus im Master. Besonders gerne schreibt sie über (und mit!) Menschen, erzählt deren Lebensgeschichten und kommentiert gesellschaftliche Themen. Sie leitet die Redaktion und das Schreibtandem von kohero. „Ich arbeite bei kohero, weil ich es wichtig finde, dass die Geschichten von Geflüchteten erzählt werden – für mehr Toleranz und ein Miteinander auf Augenhöhe.“     (Bild: Tim Hoppe, HMS)

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Kohero Magazin