Samer Ismailat: Der steinige Weg vom Streetworker zum Vereinsgründer

In der deutschen Vereinslandschaft gibt es laut Deutschlandfunk 90 000 Sportvereine. Gerade mal 500 davon sind migrantische Vereine. Samer Ismailat, Gründungsmitglied des Basketballvereins St. Pauli Bats, musste zwei Jahre lang dafür kämpfen, bis er seinen großen Traum, Geflüchtetenunterkünfte mit WLAN zu versorgen, endlich realisieren konnte. Welche Hürden Menschen mit Migrations- und Fluchtgeschichte bei der Gründung von Vereinen und im Ehrenamt begegnen, erfährst du im folgenden Interview.

Samer, wie kam es dazu, dass du St. Pauli Bats gegründet hast?

Ich war lange Trainer, in Aurich habe ich das Team von der Kreisliga zur Regionalliga gebracht, aber dann waren wir am Zenit angekommen. Wir hatten kein Geld, um aufzusteigen. Dann bin ich nach Cuxhaven gewechselt. Dort haben wir es tatsächlich geschafft, von der zweiten Liga zur ersten aufzusteigen, leider ist es auch am Geld gescheitert. Ich dachte, da baue ich mir doch lieber selbst etwas auf, dann habe ich meinen eigenen Verein. 2010 habe ich mich für Hamburg entschieden und bei einem Verein eine Streetworker-Ausbildung gemacht. 2015 und 2016 habe ich dann meinen eigenen Verein gegründet und seitdem machen wir nicht nur Basketball, sondern auch viele soziale Projekte. Mittlerweile sind wir in der Oberliga angekommen und sind vier Aufstiege von der Bundesliga entfernt. Das ist natürlich ein riesiger Erfolg, allerdings ist der größte Erfolg der Bats Bus.

 

Was hat es mit dem Bats Bus auf sich?

In der Coronazeit habe ich gesehen, dass von 100 Geflüchtetenunterkünften ungefähr 80 kein WLAN haben. Ich wollte mit einem Bus WLAN in die Geflüchtetenheime und Notunterkünfte bringen. Der Plan war, ein pädagogisches Angebot für die Kinder und Jugendliche anzubieten, wie zum Beispiel Hausaufgabenhilfe, Bewerbungshilfe, Berufsberatung oder Hilfe für die Wohnungssuche. Wenn man zu viert mit seiner Familie in einem Container sitzt und kein WLAN hat, können sich die Kinder nicht richtig entwickeln. Nebenbei soll es auch eine Spielstation geben. Dafür habe ich eine Crowdfunding-Kampagne gestartet, um Geld zu sammeln. Es hat 2 Jahre gebraucht, um von  den ursprünglich geforderten 180.000 € die Hälfte zusammenzubekommen.

 

Woran liegt das, dass es so lange gebraucht hat, bis der Bus endlich vor der Tür stand?

Ich habe versucht Sponsoren zu finden, aber das ist in die Hose gegangen. Es gab zum Beispiel diesen Duschbus für Obdachlose, da ging es darum, dass sie einen Bus so umbauen, damit die Obdachlosen einen geschützten Raum zum Duschen haben. Da ging es um 2000 Obdachlose, die in Hamburg leben. Eine super Idee, die Organisatoren konnten in einem Monat 180.000 € sammeln.

Ich freue mich und habe super viel Respekt dafür, dass das Projekt so schnell realisiert werden konnte, aber ich habe mich auch gefragt, was mit meinem Sponsoring falsch läuft. Hier geht es um 10 000 Kinder und das hat nicht geklappt. Dann kam eine Stiftung zu mir und meinte, ich hätte mehr Erfolg, wenn das Projekt auch Inklusion fördern würde. Also habe ich einen Linienbus gekauft, der behindertengerecht ist, damit auch Kinder mit Handicap Zugang haben. Das kam schon viel besser an, weil Spenden sammeln mit geflüchteten Kindern alleine nicht funktioniert. Eine andere Stiftung hat mir dann dazu geraten, nicht speziell muslimische oder geflüchtete Kinder, sondern lieber bedürftige Kinder zu sagen. Was ja ein Sinnbild für Rassismus ist.

 

“Mir wurde dann dazu geraten, nicht speziell muslimische oder geflüchtete Kinder, sondern lieber »bedürftige« Kinder zu sagen”

 

Nach all den Steinen, die dir in den Weg gelegt wurden, hat das mit dem Bus aber irgendwann trotzdem geklappt, oder?

Ich habe drei Stiftungen gefunden, die mir je 30.000 € zur Verfügung gestellt haben. Das Ganze hat zwei Jahre gedauert und in der Zwischenzeit habe ich eine Busfahrer-Ausbildung gemacht und bestanden.

Jetzt kann ich 90 Kinder in diesem Bus transportieren, zu Turnieren bringen und Ausflüge machen. Mittlerweile habe ich den Bus, weil ich nicht aufgegeben habe. Das ist unser Claim: Bleibt dran. Egal was ihr euch wünscht, egal wovon ihr träumt, träumt nicht nur, sondern jagt diesen Traum. Du brauchst nur eine Person, die an dich glaubt und genau diese Person möchte ich für die Kinder sein.

 

Kannst du direkt mit dem Bus loslegen oder muss er noch umgebaut werden?

Wir haben immer noch nicht genug Geld. Es sind derzeit zwischen 90.000 € und 100.000 €, die wir sammeln konnten. Wir brauchen eigentlich mit Anschaffungskosten 300 000 €, um den Bus ein Jahr lang betreiben, mit vier Mitarbeitern und Ehrenamtlichen. Ich konnte nicht mehr warten und habe den Bus für 70 000 € gekauft und jetzt sind für das Jahr noch 20 000 € übrig, um ein paar Projekte machen zu können. Das Projekt läuft jetzt und es ist keine verrückte Idee mehr, ich denke, das wird einige Menschen dazu motivieren einen Beitrag zu leisten, damit der Bus so ins Rollen kommt wie geplant. Das übergeordnete Ziel ist es, sichtbar zu machen, dass Geflüchtetenheime in diesem Zeitalter kein Internetzugang haben. Das geht nicht.

 

“Ein neu gegründeter Verein von Arabern und Menschen mit Migrationsgeschichte, da haben sich viele erstmal gefragt, was wir wollen.”

 

Hattest du Probleme damit, den Verein zu gründen?

Den Verein zu gründen, hat lange gedauert. Ich wurde oft abgelehnt, weil ein paar bürokratische Sachen nicht gestimmt haben. Ich kannte mich nicht aus und hatte auch keinen Coach. Ich habe dann alles so gemacht, wie es im Internet stand und anstatt einem Monat hat das ganze dann ein halbes, dreiviertel Jahr gedauert. Ein neu gegründeter Verein von Arabern und Menschen mit Migrationsgeschichte, da haben sich viele erstmal gefragt, was wir wollen. Aber 2014 kam dann der erste Abendblattbericht über meine sozialen Projekte, daraufhin hat das ZDF eine Dokumentation in dem Format Drehscheibe 7 Minuten gedreht und da waren 50 Kinder, meine Brüder und Gründungsmitglieder und die Stiftungsvorsitzende des Abendblatts. Seitdem werde ich jedes Jahr unterstützt, weil ich mir ein Image aufgebaut habe, dass ich gute und wichtige Arbeit mache.

 

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Werden Palästinenser*innen die größten Verlierer*innen sein?

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