Im Buch finden viele Prozesse gleichzeitig statt: Man stößt neben der Dekonstruktion (Aufzeigen von Diskurs), im ersten Teil, auf eine allmähliche Rekonstruktion (zeithistorische Aufarbeitung des Schwarzseins in einem deutschen Kontext) und schlussendlich auch eine Konstruktion (Analyse anhand der eigenen Erfahrung) der Autorin Nat Isabel von sich selbst und ihrer Geschichte, das jedoch im zweiten Teil. Hierin wird das Kernthema – die Existenz im weiblichen Schwarzen Körper in Deutschland – ontologisch subjektiviert. Die Autorin führt diesen Prozess anhand ihrer eigenen Person durch (subjektiv), wobei sie eine einzigartige Diskursübersicht anbietet (objektiv).
Vom Objekt zum Subjekt
In diesem beidseitigen Kontext wird ein ganzes ,,Portfolio“ an Themen diskursiv neu verhandelt, grundlegend sowie gegenwartsbezogen vertieft, so dass dabei gleichzeitig auch ein ablesbarer Emanzipationsprozess eingeleitet wird.
Hierbei geht die Autorin den Weg vom Objekt zum Subjekt, von der Theorie in die Praxis, womit sie eine erkenntnistheoretische Pionierarbeit darlegt. Der einerseits wissenschaftliche und objektive Blickwinkel wird durch etwas Neues ergänzt: eine Komponente der Fallstudie, die sich mit der Belletristik vermischt, somit einen Meilenstein in der Wissensproduktion darstellt.
Andererseits erzielt Nat Isabel mit ihrer Arbeit eine Transnationalisierung, indem sie den aufgearbeiteten Diskurs in der deutschen Historie verortet. Diesen diskursiven Zusammenhang verantwortet sie auch bewusst bis zu einem zielführenden Punkt, dass sie sogar aufkommende bzw. kontextuelle Fragen diversifiziert beantworten kann. Hierzu werden gleichzeitig auch urbane Phänomene aus anderen nationalen Kontexten herangezogen. Während Sie in einer tatsächlichen bahnbrechenden Leistung sowohl Argumente als auch Analysen zusammenführt, um es letztlich in einer zentralen Achse zu sortieren, welche zuvor voneinander isoliert waren.
Des Weiteren bedient sie sich vieler nicht-deutschsprachiger Quellen. Zumal es in deutschsprachigen Literaturquellen an wissenschaftlicher Aufarbeitung zum Themenspektrum mangelt. Dagegen bemüht sich die Autorin um eine ehrliche Stimme, die oftmals eine nicht weiße, männliche Leserschaft impliziert. Diesen mutet sie trotzdem durch das vorliegende Werk auch mehr historische Verantwortung sowie persönliche Reflektion zu.
Die „deutsche“ Psyche
Über jeden Zweifel erhaben, führt die Autorin Leser*innen in der Ich-Perspektive nicht nur durch den von ihrer aufgearbeiteten bzw. hilfreichen Diskursübersicht, sondern auch couragiert durch die eigene nachgezeichnete lebensweltliche Geschichte. Dabei verschriftlicht sie beinahe minutiös, neben ausgewählten Zitaten von z.B. James Baldwin, Bell Hooks sowie May Ayim, ein persönliches Ereignis.
Der Autorin gelingt es, die gelebten Realitäten mit den Erfahrungswerten und -horizonten anderer zu verbinden, wobei sie relativ viel, aber gleichzeitig nichts Dingfestes über sich selbst preisgibt. Sie verbleibt stets in der durchaus bewertenden Hauptrolle, behält aus der Eigenansicht die diskursive Oberhand – auch wenn es darum geht, erweiterte Perspektiven anzubieten.
Mit einer beeindruckenden Präzision, aber auch behutsam genug, befasst sich Nat Isabel mit „deutscher“ Psyche aus ihrer Erfahrungs- und Erlebniswelt. Diese historische Verankerung besteht wahrscheinlich aus dem altbekannten Status, eine „verspätete Nation“ seit dem Zeitalter der westlichen Moderne zu sein, womit ein Hadern mit der Bildung bzw. Eigendefinition der nationalen Identität verbunden ist.
Den Leser*innen wird somit Aufschluss über eine tief verwurzelte Tradition eines deutschen „exotisierenden“ Rassismus vermittelt. In diesem Kontext gibt sie uns zahlreiche Anhaltspunkte darüber, wie sich diese historischen Mehrdeutigkeiten beispielsweise am Konzept des Schwarzen „Anderen“ entladen konnten.
Eine „biologische Fixierung“
Ein wichtiger, vielleicht zunächst nicht ganz offensichtlicher Grundpfeiler der Analyse, ist die eingenommene Perspektive aus der sie wissenschaftlich forscht, gleichzeitig erzählt sowie stetig nachzeichnet. Kritisch betrachtet, nähert sich die Autorin ihrem Thema aus einer privilegierten Position heraus, welche durchaus in Verbindung mit Bordieus „sozialem und kulturellem Kapital“ steht.
Dadurch ist es ihr möglich, ins Zentrum der Kernthematik vorzudringen sowie anverwandte Spielarten der gegenwärtigen Diskriminierungen herauszuarbeiten: in deutschen öffentlichen Debatten werden diese um das Thema Rassismus oft miteinander vermengt. Es gibt also wenig scharfe Trennung, was durchaus ein Ablenkungsmanöver sein kann, damit das Kernproblem Rassismus statisch, bisweilen unberührt, bleibt.
Im Diskurs geht es hauptsächlich um einige wenige Themenfelder, die den Rassismus auf den Plan rufen: Kultur, Religion, Herkunft, Armut oder Aufenthaltserlaubnis. Nat Isabel erweitert es ausdrücklich durch ihre Dekonstruktion um eine weitere Kategorie. Vielmehr geht es bei in dem Buch um eine mehr oder minder ,,biologische Fixierung“, d.h. um eine besondere Erscheinungsform des Rassismus. Dieser kann vorliegend als zentrales Problem „isoliert“ betrachtet werden kann.
Wieso?
Ein Mensch, welcher inmitten der Elite einer Gesellschaft verankert ist, kann schwer aufgrund anderer vermeintlicher „Mängel“ neben dem Schwarzsein Diskriminierungen erfahren: an dieser wunden Stelle genau, gelingt es Nat Isabel, andere, oberflächliche Diskussionen versiert zu vertiefen, um den vielen Gesprächspartner*innen den diskursiven Spiegel vorzuhalten, um erfolgreich die toten Winkel der öffentlichen Debatten zu durchleuchten.
Was macht nun die Arbeit Nat Isabels aus, wenn man es in drei Begriffen wiedergeben möchte?
Wahrlich kann die Antwort darauf nur Geschlecht, Sexualität und Rassismus lauten. Sie sind die zentralen Ankerpunkte ihrer Analyse anhand derer Beobachtungen austariert werden, die sich wiederum wie ein roter Faden durch das Buch ziehen. Hierbei kommt dem Körper, in dem sich die erzählende Autorin analytisch befindet, sowie die damit verbundenen Bedeutungen und Privilegien, eine wesentliche Rolle zu.
Noch vor Beginn des ersten Kapitels finden Leser*innen eine „Triggerwarnung“, die auf explizite Schilderungen sexueller und rassifizierter Gewalt hinweist. Diese ist durchaus berechtigt, denn Nat Isabel beschreibt ihr zugestoßene Geschehnisse in einer Form, die auch schmerzhafte Details enthalten kann.
Zwischen Enttabuisierung und Normalisierung
Hierdurch findet nicht nur eine notwendige Enttabuisierung statt, sondern dem Diskurs wird etwas mehr Menschlichkeit vorgetragen, indem eine lebensweltliche Geschichte inmitten unästhetischer, hässlicher Erlebnisse darin kontextualisiert wird. Es mag für Leser*innen eine Gratwanderung darstellen, in der neben der einleitend angekündigten Dekonstruktion auch eine persönliche Geschichte erzählt wird, die bis ins Mark trifft. Insbesondere in den persönlichen Erzählungen, in denen Leser*innen einen intimen Einblick erhalten dürfen, wird ein gewisser Voyeurismus bedient, der aber gleichzeitig auch auf einer emotionalen Ebene tangiert und die Analyse plastisch macht – ein Element, welches sonst fehlen würde.
Genau an dieser Stelle ist Kritik angebracht. Es wird mit den zunehmenden Kapiteln deutlicher, an welcher Stelle der Rotstift leicht bis schwer angesetzt wurde und eben diese teils voyeuristisch anmutenden Ausführungen der Sittsamkeit halber beschnitten wurden. Denn es sind jene adressierten Stellen an potenzielle Leserinnen, um sozialen Phänomenen ein wirkliches Gesicht zu verleihen: Beispielsweise in der Episode, in der Nat Isabel sich in der unbequemen Zwickmühle zwischen ihrem weißen Freund, wie sie ihn nennt „Adel auf dem Radl“-Partner, und dem kolonial angehauchten Sommerfest seines Gesellschaftsclubs, welches wahrlich nur so vor kultureller Aneignungen bis hin zu spürbarer Respektlosigkeit strotzt.
Anhand dieser analytisch erzählten Geschichte wird das Machtgefälle zwischen einem weißen Mann und einer nichtweißen Frau nochmals verdeutlicht. Damit geht eine starke Portion an Ignoranz mit der zwischenmenschlichen Inkompatibilität von Rassismus und Liebe einher, die die Autorin exemplarisch aufzeigt.
Ein Schreibstil voller Humor und Wut
Nat Isabel schreibt mit klarer, teils bissiger Stimme. Ihr fehlt es aber auch nicht an Humor, sondern es ist auch eine gewisse Wut zu vernehmen. Denn Wut ist eine Grundvoraussetzung, um sich ernsthaft dem Schreiben in diesem Stil für einen langen Zeitraum widmen zu können. Das einleitende Kapitel beginnt mit der Überschrift „Fangen wir an“: Es bereitet die Leser*innen darauf vor, aus welchen toten gesellschaftlichen Blickwinkeln der nicht angenehme Wind historisch-kollektiv sowie gegenwärtig-individuell her weht.
In den letzten Kapiteln wird offensichtlich, dass es sich bei der De- und Rekonstruktion auch um eine therapeutische Maßnahme gehandelt haben muss. Es ist ein aus sich ,,Herausschreiben“ von Nat Isabel, wobei gleichzeitig Wissen in die Leser*innenwelt hinausproduziert wird. Demnach findet durch diesen Beitrag gegenwärtig die Grundsteinlegung für einen couragierten, deutschsprachigen Diskurs statt.
Letztlich gelangt dieses Buch zu einem vielleicht etwas Nihilistischem, aber nicht unerfreulichen Abschluss: Es erblickt den eher tristen Tatsachen tief ins Auge, dennoch erkennt sie darin eine gewisse Schönheit, die in alltäglichen Lebenswelten vorzufinden sein können.