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Bleiben oder gehen – Ausstellung über Migration

Von der Steinzeit bis in den Weltraum: Im Nürnberger Germanischen Nationalmuseum widmet sich die Ausstellung „Horizonte“ dem Menschheitsthema Migration. Ein Rundgang.

Foto: GNM, Felix Röser
Fotograf*in: GNM, Felix Röser

Es beginnt mit dem titelgebenden Horizont. In einem dunklen Raum begrüßt Gerhard Richters Gemälde „Seestück (bewölkt)“ von 1969 die Besuchenden. Es zeigt eine aus zwei Fotografien zusammengesetzte Landschaft aus dem wild bewölkten, stürmischen Himmel über Düsseldorf und dem aufbrausenden Meer vor Ibiza. Kein Fixpunkt bietet Orientierung. Was hinter dem Horizont liegt? Man weiß es nicht.
Die Ausstellung zeigt keine umfassende Geschichte der Migration. Sie beleuchtet vielmehr ihre Motive – Aufbruch, Wege, Ankunft, Zukunft. Und lädt zum Assoziieren und Fragenstellen ein.

Vom Aufbrechen

Die Geschichte der Menschheit wird seit jeher von Migration vorangetrieben. Ausgestellt sind verschiedene Steinzeitwerkzeuge, darunter ein Faustkeil aus Thüringen. Die ältesten solcher Keile sind 1,75 Millionen Jahre alt. In Mitteleuropa entstanden die ersten vor etwa 600.000 Jahren. Auch als der Mensch sich bereits in Siedlungen niedergelassen hatte, kam Fortschritt erst durch Bewegung.
Der Aufbruch in ein neues Leben, einen neuen Ort, ist immer einschneidend und mit Fragen verbunden: Wird mein Leben dort, wo ich hingehe, ein besseres?

Eine junge Zimmerin auf der Walz, das Porträt einer deutschen Auswandererfamilie in Michigan illustrieren verschiedene Gründe, warum Menschen ihr Zuhause verlassen und sich aufmachen.
Die Ausstellung spannt den Bogen zurück in biblische Zeiten. Die Geschichte von Josef, Maria und Jesus ist eine der Migration. Gegenüber voneinander hängen ein Gemälde der Heiligen Familie auf der Flucht vor König Herodes nach Ägypten mit Esel, und eine Fotografie aus dem Flüchtlingslager Oure Cassoni, Tschad. Die 26.000 Menschen dort waren vor dem Bürgerkrieg im nahegelegenen sudanesichen Darfur geflohen.

Neue Wege gehen

Nach dem Aufbrechen folgt der Weg ins Ungewisse, oftmals ein gefährlicher. Ob der irrende Odysseus oder die biblische Geschichte des Durchzugs durchs Rote Meer. Erzählungen von Flucht wurden über die Geschichte der Menschheit hinweg weitergegeben – und werden auch heute erzählt. Wie etwa durch das 2019 im Flüchtlingslager Moria geschaffene Gemeinschaftsgemälde „Modern Moses“; in der Ausstellung akzentuiert durch ein großformatiges Gemälde, welches die Flucht der jüdischen Menschen aus Ägypten zeigt. Wer ist heute Mose? Der das Meer teilt, den Weg frei macht? Und wohin führt dieser?

Der Raum in diesem Bereich der Ausstellung steht jungen Artists-in-Residence, vielen von ihnen mit eigener Flucht- oder Migrationsgeschichte, zur Verfügung. Sie visualisieren in ihren Werken ihre Assoziationen zum Thema.

Wann ist man angekommen?

Migrations- oder Fluchterfahrungen prägen das Leben und die Biografie, nicht nur derer, die sich auf den Weg machten, sondern auch die nachfolgenden Generationen.

Wie in einem Nebel, hinter einem dünnen, weißen Vorhang, liegt das Neue. Auch hier zeigt Horizonte verschiedene Perspektiven auf: Jüdische Kinder, die sich vor den Nationalsozialist*innen nach London retteten, symbolisiert durch einen kleinen Bären mit Hut, Mantel und Marmeladensandwich. Bewegend schildert Judith Kerr ihre Familiengeschichte in Als Hitler das rosa Kaninchen stahl, das ebenso einen Platz in der Ausstellung findet, wie das Manuskript ihres Vaters Alfred Ich kam nach England.

Deutsche Vertriebene nach dem Zweiten Weltkrieg, die sich in einem besiegten und zerstörten Deutschland eine neue Existenz aufbauten. Ein ihnen fremdes Ursprungsland, hatten es ihre Familien doch Jahrhunderte zuvor verlassen. Manche hegten zu Beginn noch Hoffnung auf Rückkehr, doch bald mussten sie sich mit ihrem neuen Leben arrangieren.

Etwa fünfzehn Jahre später kamen die ersten „Gastarbeiter*innen“ aus Ländern wie Italien, Griechenland und der Türkei nach Deutschland und wurden zu einem integralen Teil unserer Gesellschaft.
All diese Geschichten machen nachdenklich. Wann ist man angekommen? Wie definieren wir Zugehörigkeit? Wo finden Traditionen einen Platz im neuen Leben? Woran festhalten? Die Künstlerin Ayşe Gülsüm Özel schaffte Hände, die, nicht nur sinnbildlich, alltägliche Dinge festhalten. Erinnerungsstücke ehemaliger türkischer Gastarbeiterinnen. Blumen, Briefe, Kleidung. Unweigerlich fragt man sich: Was würde ich mitnehmen?

Nicht ganz so ferne Zukunft

Mehr Menschen denn je sind auf der Flucht. Weltweit gab es 2022 rund 103 Millionen gewaltsam Vertriebene. Die Klimakrise wird diese Entwicklung noch verstärken.

Im letzten Jahrhundert begann die Menschheit, auch den Weltraum und andere Planeten zu entdecken – man denke an John F. Kennedys Moonshot-Rede. Heute lesen wir von Weltraumtourismus und Marskolonien. Was vor wenigen Jahrzehnten noch Science-Fiction war, wird greifbarer.

Doch wie geht es hier auf der Erde weiter? Eindrucksvoll stellt die Ausstellung die Perspektive auf Erde und All dar. Im großen schwarzen Nichts blickt man auf diese kleine, blaue Kugel, auf der sich seit Jahrtausenden Geschichten von Gehen und Ankommen abspielen und man fragt sich: Wie wird unser Leben in den nächsten Jahrzehnten aussehen? Wenn Ressourcen knapper werden? Manche Regionen unbewohnbar werden? Und sich immer mehr Menschen auf den Weg machen? Wie können wir vor diesem Hintergrund solidarisches Zusammenleben gestalten? Antworten auf diese Fragen wird gerade unsere Generation in den nächsten Jahren finden müssen.
Beim Hinausgehen schweift der Blick nochmals in Richtung Gerhard Richters Gemälde. Das aufgewühlte Meer, das es zu überwinden gilt. Dieses Meer, das für viele Geflüchtete unüberwindbar bleibt; allein seit Anfang dieses Jahres ertranken mehr als 1000 Menschen auf der Flucht über das Mittelmeer.

Und die Welt hinter dem Horizont, noch immer unbekannt. Doch sie gilt es zu entdecken und zu gestalten. Gerecht und gemeinsam.

 

„Horizonte – Geschichten und Zukunft der Migration“, zu sehen bis 10. September im Germanischen Nationalmuseum, Nürnberg. 

Weitere Artikel zum Thema Kultur und Flucht/Migration findest du hier.

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Anna ist zum Jurastudium aus Bayern nach Hamburg gezogen. Nebenbei arbeitet sie in einer Stiftung zu Themen des gesellschaftlichen Zusammenhalts.

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Arabischer Fasulye-Eintopf

Getrocknete weiße Bohnen müssen vor dem Kochen mehrere Stunden, am besten über Nacht, eingeweicht werden. Die Hülsenfrucht gilt als sehr nahrhaft und als Energielieferant, weshalb sie in verarbeiteter Form vor allem im Winter beliebt ist. Den Fasulye-Eintopf darf man aber gerne zu jeder Jahreszeit löffeln. Die benötigten Zutaten 300 g getrocknete weiße Bohnen 2 Zwiebeln 2 große Tomaten 1 Knoblauchzehe Salz und Pfeffer 3 EL Tomatenmark 3 EL Olivenöl Petersilie, fein gehackt Zubereitung des arabischen Fasulye-Eintopfs Die weißen Bohnen am besten über Nacht im Wasser einweichen. Dann 30-45 Minuten weich kochen und durch ein Sieb abgießen. Währendessen die Zwiebeln klein hacken, den Knoblauch schälen und pressen und die Tomaten klein schneiden. Die Zwiebeln in einem Topf in Öl goldgelb anbraten, dann das Tomatenmark dazugeben und umrühren. Die klein geschnittenen Tomaten und den gepressten Knoblauch hinzufügen, umrühren und heiß werden lassen. Anschließend mit heißem Wasser aufgießen (ca. 500 ml) und aufkochen lassen. Mit Salz und Pfeffer abschmecken. Die Bohnen hinzufügen und noch mal 10 Minuten alles zusammen köcheln lassen. Mit gehackter Petersilie bestreuen, dazu frisches Fladenbrot servieren. Guten Appetit! Hier findest Du weitere köstliche Rezepte

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Keine leichte Kost

Wohin mit dem Hausmüll? Keine leichte Kost

Unter diesem Motto lernen wir heute, wie man den Hausmüll komprimiert. Und das ist immerhin schon mal ein Anfang. Am besten ist es natürlich, den Verpackungsmüll zu vermeiden! Die Packung flach drücken, dabei die Bodenkante und Oberkante nach vorne knicken. Mit einer Hand den Karton pressen und mir der anderen den Verschluss zudrehen, damit die Luft nicht wieder reinkommt. Jetzt beide Kartonseiten nach hinten falten, dann die untere Hälfte auch nach hinten knicken. Beide untere Enden in die beiden oberen Laschen stecken. Fertig ist der komprimierte Designer-Tetrapack-Müll. Ab damit in die gelbeTonne! Übrigens kommt diese wunderbare künstlerische Methode, Müll zu falten, aus einer Segelerfahrung. Da auf einem Schiff nur sehr wenig Platz vorhanden ist, muss man den Abfall stark komprimieren. Sonst versinkt man im eigenem Müll, nicht im Wasser. Habt ihr auch tolle Ideen zur Müllkomprimierung? Dann schreibt bitte in die Kommentare! Mit designerischen Grüßen, eure Genia L.

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Èric Plamondon – Taqawan

Èric Plamondon – Taqawan

Ich bin erstaunt, wie der Westdeutsche Rundfunk und die Süddeutsche Zeitung diesen Roman als Krimi bzw. Thriller etikettieren können, wie es auf der Cover-Rückseite vermerkt ist. Die Geschichte der indigenen Völker Kanadas Für mich ist das ein gesellschaftspolitischer, ein ethnographischer Roman, der viele Facetten in sich vereinigt – die Geschichte der indigenen Völker in Nordamerika, in diesem speziellen Fall in Kanada, ihre Traditionen und Sitten und die Willkür der Herrschenden: bürokratische und machtpolitische Willkür. Auch in diesem Falle leider wieder die Willkür des „Weißen Mannes“. Der Roman spielt in den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts, im französischsprachigen Teil Kanadas, in der Provinz Quebec. Doch die geschilderten Geschehnisse könnten auch heute passieren, wie man den Presseberichten der jüngsten Zeit über die missionarischen Residential Schools und über die Provinzstadt Thunder Bay in Ontario entnehmen kann. Eine gefährliche Stadt für indigene Frauen mit Vergewaltigungen und Morden (an Ciudad Juarez in Mexiko erinnernd). In den christlichen Internaten gab es Folter und sexuellen Missbrauch, mit tausenden ungeklärten Todesfällen. Plamondon entführt uns in kurzen, prägnanten Kapiteln in die Welt eines der vielen Indianerstämme, der Mi’gmaqs, unterbrochen von Einsprengseln zu ihrer Lebensart, zu ihrer Kultur, zu ihren Traditionen: so erfahren wir viel über den geheimnisvollen Lachs, der seinen Metabolismus dem Wechsel von Salz- zum Süßwasser anpassen kann, ohne dass die Naturwissenschaftler dieses Rätsel lösen konnten, sowie auch über seinen Wandertrieb, denn der Lachs kehrt Jahre nach seiner Geburt zurück in sein fluviales Laichgebiet Tausende von Kilometern entfernt. Razzia gegen den Lachsfang Und natürlich auch etwas über die Geschichte der Indigenen. Von ihrer Ankunft über die Beringstraße, ihr Stammesleben in Ost und West, bis die ersten Fremden auftauchten: Wikinger, Basken und dann vor allem Engländer und Franzosen. Sie waren den Siedlern behilflich, nicht wissend, dass die „Ordnung schafften“: die Wälder abholzten, die Bisonherden ausrotteten und ihnen den überlebenswichtigen Lachsfang

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#theinnerjourney: vom Weggehen und Ankommen

Individuelle Migrationsgeschichten musikalisch eingefangen Realisiert und unterstützt wird #theinnerjourney durch das Kulturprojekt junge norddeusche philharmonie (jnp). Deren Projekte traten bereits auf dem Reeperbahn Festival oder den Festspielen in Mecklenburg-Vorpommern auf. In #theinnerjourney gelingt es dem Komponisten Wolf Kerschek zusammen mit den Gesangssolist*innen Angelina Akpovo, Ibrahim Keivo, Ken Norris und Cleo Steinberger einen Raum für die individuellen Migrationsgeschichten zu schaffen. Sie musizieren gemeinsam mit einem Orchester aus rund 65 Musiker*innen. Austausch in Projektgruppen Bei ihrem Auftritt in der Altona Kulturkirche erzählt das Orchester musikalisch die Geschichte von Ken in Westafrika, den das Fernweh plagt und der seine Freundin Angelina auch nach Deutschland bringen möchte. Und von Ibrahim, dessen Haus in Syrien von Bomben erschüttert wird. Das Orchesterprojekt begann sich im Frühjahr 2018 zu formen. Menschen aus unterschiedlichen Kulturkreisen schlossen sich zusammen und tauschten sich in Tandems und Projektgruppen aus. Jetzt im Oktober folgte dann der Zusammenschluss zur Weltoper und die ersten Auftritte in Neubrandenburg, Hamburg und Hannover. Mit Erfolg, denn die Sitzbänke in der Altonaer Kulturkirche waren alle belegt. Bericht von Melina Seiler  

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Anna ist zum Jurastudium aus Bayern nach Hamburg gezogen. Nebenbei arbeitet sie in einer Stiftung zu Themen des gesellschaftlichen Zusammenhalts.

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