Der Bildungsweg von Menschen mit Migrationsgeschichte in Deutschland ist von einer Vielzahl herausfordernder Situationen geprägt – von der Schulzeit bis zur Hochschulbildung. Zum einen wegen der Bildungsressourcen der Eltern und zum anderen durch diskriminierende Haltungen von Lehrkräfte gegenüber Migranten*innen und geflüchteten Menschen.
Dies beschreibt Havva Engin, Professorin für Allgemeine Pädagogik, als „sichtbare und unsichtbare Bildungssysteme“ im aktuellen kohero Printmagazin. Havva Engin bezieht sich hier auf die Tatsache, dass das Bildungsniveau und die Sprachkenntnisse der Eltern Auswirkungen auf die Bildungschancen ihrer Kinder haben können. Kinder, die zu Hause, also im „unsichtbaren Schulsystem“, nicht ausreichend gefördert werden, können dadurch langsamer vorankommen als Kinder, die solche Ressourcen zur Verfügung haben.
Auch die Haltung von Lehrkräften und ihre Entscheidungen haben einen erheblichen Einfluss auf den weiteren Lebensweg von Kindern und Jugendlichen. In einer Studie des Nationalen Diskriminierungs- und Rassismusmonitors (NaDiRa) wird festgestellt, dass Schüler*innen mit Migrationsgeschichte trotz gleicher Leistung seltener eine Gymnasialempfehlung erhalten als ihre Mitschüler*innen. Im Gegensatz dazu ist ihre Anzahl an Gesamt- und Realschulen höher. In den niedrigeren Schulformen ist die Abbrecherquote besonders hoch. Ein weiteres Problem besteht in der übermäßigen Zuweisung von angeblichen Lernbehinderungen bei Kindern und Jugendlichen mit Migrations- und Fluchtgeschichte. Dies betreffe insbesondere viele Schüler*innen , die nach 2015 zugewandert seien, so Engin.
Antirassismus im Lehrplan und Klassenzimmer
Ein wesentliches Merkmal eines gerechteren Bildungssystems besteht darin, dass das Schulpersonal bereit ist, eigene Vorurteile und rassistische Einstellungen zu hinterfragen. Dies sei aber nicht immer der Fall, da „Lehrer*innen ihre Ausbildung absolvieren können, ohne sich auch nur einmal mit Rassismuskritik auseinandersetzen zu müssen“, wie Sam Schulz, Referent*in für Diversität und Anti-Rassismus, betont. In einem Interview im aktuellen kohero Printmagazin “Was weiß ich?” erklärt Sam, warum antirassistische Bildung einen festen Platz im Lehrplan einnehmen sollte. Sowohl Schüler*innen als auch Lehrer*innen sollten sich intensiver mit diesem Thema auseinandersetzen, denn ohne eine solche Auseinandersetzung würden gute Absichten oft ohne langfristige Veränderungen bleiben.
Nadire Biskin, Lehrerin und Journalistin berichtet über ihre Erfahrungen im Klassenzimmer: „Es gibt Lehrer*innen, die zwar sehr offen und bemüht sind, aber über wenig Wissen verfügen. Sie stammen beispielsweise aus Kleinstädten, in denen es keine Personen mit Migrationshintergrund gibt.“ Daher sei es wichtig, sich für die Förderung von Lehrkräften, die selbst zugewandert sind, oder diesen familiären Hintergrund haben, einzusetzen.
Dieser Lösungsansatz verdient mehr Aufmerksamkeit, da Menschen mit Migrationshintergrund in den Lehrerzimmern in Deutschland unterrepräsentiert sind. Im Jahr 2021 hatten laut Mediendienst Integration etwa 13% der Lehrkräfte einen statistischen Migrationshintergrund. Eine neue Studie des DIPF Leibniz-Instituts für Bildungsforschung und Bildungsinformation und der Goethe-Universität Frankfurt zeigt zudem, dass Student*innen mit statistischem Migrationshintergrund während ihres Lehramtsstudiums im Vergleich zu ihren Kommiliton*innen ein geringeres Zugehörigkeitsgefühl zum Studium haben und eher dazu neigen, das Studium abzubrechen. Dies unterstreicht die Notwendigkeit, gezielte Maßnahmen zur Unterstützung und Stärkung dieser Studierenden zu ergreifen.
Bildungsgerechtigkeit geht über Schule hinaus
Auch in der nächsten Phase des Bildungswegs setzt sich die Ungleichheit fort. Egal ob es um ein Studium oder eine Ausbildung geht, die Bildungsressourcen der Eltern spielen auch hier eine entscheidende Rolle. Besonders schwierig gestaltet sich jedoch der Einstieg für junge Menschen aus migrantischen Familien, die keinen akademischen Hintergrund haben. Laut dem Hochschulbildungsreport beginnen von 100 Kindern aus Akademikerfamilien 79 ein Studium. Bei Nicht-Akademikerfamilien sind es hingegen gerade einmal 27 von 100. Es ist jedoch anzumerken, dass in dieser Erhebung nicht nach dem Migrationshintergrund differenziert wird.
In deutschen Universitäten gibt es derzeit 441.000 Student*innen ohne deutsche Staatsangehörigkeit. Gleichzeitig haben 39% der Jugendlichen, die sich um eine Berufsausbildung bewerben, eine Migrationsgeschichte. Forschungen, die Bildungsteilhabe beleuchten wollen, sind nicht spezifisch genug. Themen wie der Leistungsdruck, den Menschen mit Migrationserfahrung erleben, oder ob sie auch an Unis oder Ausbildungsplätzen diskriminierenden Strukturen ausgesetzt sind, werden kaum thematisiert. Genau hier kann angesetzt werden, um eine echte Chancengleichheit und Bildungsgerechtigkeit für alle zu erreichen.
Mehr zu unserem Fokusthema Bildungsgerechtigkeit erfährst du im zu.flucht-Podcast, in unserer neuen Printausgabe „Was weiß ich?“ und in unserem zu.flucht-Newsletter!
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