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ZEIT für Qualitätsjournalismus?

In einem inzwischen gelöschten Tweet benutzte der Account der ZEIT Online Politik problematische Rethorik in Bezug auf Migrant*innen. Natalia Grote fragt sich, wie das journalistischen Ansprüchen und gesellschaftlicher Verantwortung gerecht wird.

Grafik von ZEIT Online

Am 30. Mai postet ZEIT Online Politik auf Twitter Folgendes: “Integration war gestern: Deutschland ist das zweitgrößte Einwanderungsland der Welt und die Urdeutschen dürften auf absehbare Zeit zu einer numerischen Minderheit unter vielen werden. Und nun?” Darunter ein Bild von vier migrantisch gelesenen Männern in einem Cabrio, einer von ihnen am Handy. “Migranten: Sie werden die Mächtigen sein” heißt der Beitrag, der hier angeteasert werden soll. Mein erster Gedanke: ein nicht ganz so qualitätsjournalistisches wtf.

Der Artikel erscheint unter dem Schwerpunkt Weltland. In drei Beiträgen sollen Migrationsbewegungen nach Deutschland erklärt werden, so far so good. Hätte man ein wenig weiter als 1950 zurückgeschaut, würde klar werden, dass es Migration schon immer gab und wir alle in irgendeiner Form eine Migrationsgeschichte haben, doch daran will ich mich an dieser Stelle nicht aufhängen.

ABER: Wer rechte Rhetorik und rassistische Framings nutzt, diskriminiert, schürt Ängste und stärkt rechtsextreme Strömungen. Das sieht man schon daran, dass sich unter dem Post Personen tummeln, die man überwiegend rechten Gruppen zuordnen würde. Beifall von AfD-Anhänger*innen ist kein Kompliment.

Es reicht nicht, den Post zu löschen und sich erklären zu wollen. “Wir haben einen Tweet zu einem Essay von @_vanessavu gelöscht. Die Wortwahl war missverständlich. Der Text handelt davon, dass Menschen mit Einwanderungsgeschichte in Deutschland statistisch bald nicht mehr in der Minderheit sein könnten” – das war nicht missverständlich, es war richtig schlimm und problematisch! Statt des Dreizeilers sollte sich die ZEIT für das Posting entschuldigen und die Bezahlschranke vor dem Beitrag entfernen. Nach diesem Teaser kann dann zumindest jede Person den Inhalt für sich selbst einordnen.

Höchster Anspruch?

Inzwischen gibt es ein neues Posting von ZEIT Online zu dem Beitrag. Als neues Bild für den Tweet wurde ein Foto von zwei Ukrainerinnen aus dem Beitrag genutzt, im Text wird das Narrativ der “Anderen” genutzt, um migrierte Menschen zu beschreiben. ZEIT Online stehe nach eigener Bezeichnung für “einen einordnenden Qualitätsjournalismus mit höchstem Anspruch”.

Was bei diesen Postings mit höchstem Anspruch eingeordnet wurde, erkenne ich ehrlich gesagt nicht. Und genau das überrascht mich auch nicht. Es ist nicht das erste Mal, dass von einem deutschen Massenmedium unsensibel, diskriminierend und verallgemeinernd über geflüchtete und migrierte Menschen berichtet wird.

Als Journalist*innen haben wir eine Verantwortung. Die ZEIT sollte das wissen und ernst nehmen. Gerade bei Themen, wo es um gesellschaftlich, politisch und strukturell diskriminierte Menschen geht, hat die Berichterstattung viel Macht. Sich dieser Macht bewusst zu sein, sie konstruktiv zu nutzen und der informierenden und einordnenden Funktion von Medien nachzukommen – das wäre eher Qualitätsjournalismus.

 

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Natalia ist in den Bereichen (Mode-)Journalismus und Medienkommunikation ausgebildet und hat einen Bachelor in Management und Kommunikation. Derzeit studiert sie Digitalen Journalismus im Master. Besonders gerne schreibt sie über (und mit!) Menschen, erzählt deren Lebensgeschichten und kommentiert gesellschaftliche Themen. Sie leitet die Redaktion und das Schreibtandem von kohero. „Ich arbeite bei kohero, weil ich es wichtig finde, dass die Geschichten von Geflüchteten erzählt werden – für mehr Toleranz und ein Miteinander auf Augenhöhe.“     (Bild: Tim Hoppe, HMS)

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Italien ruft Notstand aus: hohe Migrationszahlen

Vor knapp einem Monat habe ich einen Beitrag für unsere wöchentliche Kolumne kommentiert über den Umgang der italienischen Regierung mit der Seenotrettung Flüchtender geschrieben. Zwei Wochen vorher hat Hussam ein Unglück auf dem Mittelmeer kommentiert. In Italien hat die Regierung nun wegen der hohen Anzahl Flüchtender den Notstand ausgerufen. Hier kommt also Europas Versagen beim einheitlichen Vorgehen mit Migration Teil 3. Rund 31.000 Menschen sind seit Januar dieses Jahres über das Mittelmeer nach Italien geflüchtet. Doch im gleichen Zeitraum sind laut der Internationalen Organisation für Migration (IOM) mindestens 441 Menschen auf dieser Route gestorben – so viele wie seit 2017 nicht mehr. Die IOM macht Verzögerungen bei staatlichen Rettungsmaßnahmen und die Behinderung der Such- und Rettungsaktionen von NGOs für diese Tode verantwortlich, kurz: die europäische Abschottungspolitik. Die italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni reagiert auf die hohen Zahlen mit dem Ausrufen eines sechsmonatigen Notstandes im Land. Allein über die Osterfeiertage kamen nach Angaben der Behörden etwa 2.000 Menschen auf der Insel Lampedusa an. Nun soll ein*e Sonderbeauftragte*r ernannt werden, dem 5 Millionen Euro zur Verfügung stehen. Das Aufrufen des Notstandes ermöglicht der Regierung außerdem, Maßnahmen ohne parlamentarisches Prozedere durchzusetzen. Wie der Spiegel berichtet, sollen damit neue Aufnahmezentren für die ankommenden Menschen gebaut werden. Ein gutes Signal – oder? Aus Regierungskreisen heißt es dagegen, so die tagesschau, dass die Verordnung des Notstandes genutzt werde, um Abschiebungen unbürokratisch und schneller durchzuführen. Welcher Ausgang wahrscheinlicher ist, zeigt wohl schon die Rechtsorientierung der italienischen Regierung. Bereits in ihrem Wahlkampf warb Giorgia Meloni damit, die Zuwanderung nach Italien einzudämmen. Dass von dem Geld aus dem Notstandsfond also geflüchtete Menschen profitieren, ist wohl unwahrscheinlich. Solange es Fluchtgründe gibt, werden Menschen flüchten Doch in Teilen ist Italiens Vorgehen verständlich. Länder wie Italien und Griechenland, in denen die meisten geflüchteten Menschen in der EU ankommen, werden sich selbst überlassen. Wie

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Nach jeder Willkommenskultur kommt die Enttäuschung

Ein 40-jähriger deutscher Mann ohne Migrationshintergrund engagiert sich mit Feuereifer als Ehrenamtlicher. Er hat einen sicheren Job und verdient gutes Geld. Er schaut und liest oft Nachrichten. Durch Corona hat er mehr Zeit zu lesen, auch macht er sich Sorgen und informiert sich deshalb vermehrt. Dieser Mann hat viel über ukrainische Geflüchtete gelesen und er glaubt, dass die deutsche Gesellschaft diesen ukrainischen Frauen und Kindern helfen muss, auch weil sie eine ähnliche Kultur, die gleiche Hautfarbe und denselben Glauben haben. Sie sind zwar orthodox und er ist katholisch, aber was ist da schon der Unterschied? Er weiß es nicht und es interessiert ihn auch nicht. Wichtig für ihn ist, dass sie Christ*innen sind. Dieser Mann ist zu einer Unterkunft gegangen und wollte eine ukrainische Frau mit Kindern unterstützen, ihr das Leben in Deutschland einfacher machen. Das Thema Geflüchtete und Asyl ist zwar schon seit langem in Deutschland aktuell, aber er kam erst jetzt auf die Idee zu helfen, weil es sich bei den Geflüchteten um weiße Frauen handelt. Er hat zu einer Frau und ihrem zehnjährigen Sohn Kontakt aufgenommen, eine kleine Wohnung für sie gemietet, einen Deutschkurs gebucht und bezahlt. Er hat sogar einen einfachen Job mit 12 Euro Stundenlohn für sie gefunden. Jetzt ist er total enttäuscht, weil diese Frau nicht arbeiten möchte. Er hat es überhaupt nicht verstanden. Warum nimmt diese Frau seine Hilfe nicht an und macht nicht das, was er ihr vorschlägt? Euphorie wird von der Realität eingeholt Solche Geschichten werden wir in Zukunft vermehrt hören, weil die anfängliche Euphorie der Willkommenskultur von der Realität eingeholt wird und es dadurch zu Enttäuschungen kommen wird. Schon 2015 haben viele Ehrenamtliche diese Phase erlebt. Viele von ihnen wollten gerne Menschen mit Fluchtgeschichten unterstützen, aber sie sahen deren Bedarf nur aus ihrer eigenen Perspektive.  Viele Ehrenamtliche helfen, ohne sich

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Rassistische Pflichtlektüre in BaWü: Setzen, 6

Ab 2024 soll der Roman „Tauben im Gras” in Baden-Württemberg Pflichtlektüre für das Deutsch-Abitur an berufsbildenden Schulen werden. Dagegen hat Jasmin Blunt eine Petition gestartet, denn das Buch ist voller rassistischer Stereotype und Begriffe wie dem N-Wort. „Wenn ich mit dem N-Wort konfrontiert werde, dann hält für mich für einen Moment die Welt an. Ich fühle mich sofort hineingezogen in historische Kontexte und stelle meine Beziehungen zu anderen Menschen in Frage (…) Und mir dann vorzustellen, dass Schwarze Schülerinnen und Schüler all diese Emotionen und Gedanken im Unterricht aufarbeiten sollen – das war für mich unvorstellbar”, sagt die Schwarze Lehrerin im Interview mit ZDFheute. Die Politik hat darauf eine klare Antwort: Jasmin Blunt solle ihren Job richtig machen, es gebe Fortbildungen und Methoden zur Unterrichtsgestaltung und generell sei das Buch anti-rassistisch. Baden-Württembergs Kultusministerin Theresa Schopper sagt: „Es geht darum, deutlich zu machen, wie Rassismus Gesellschaften prägt: damals in den 50er-Jahren, als der Roman entstanden ist, aber auch heute. Das zu behandeln, finde ich sehr wichtig.“ Gut zu wissen, dass unseren ach so aufgeklärten und diskriminierungssensiblen weißen Politiker*innen die Bildung der Schüler*innen so wichtig ist… Wem wird zugehört? BIPoC, Lehrer*innen sowie Schüler*innen, zu zwingen, sich dem N-Wort im Unterricht wochenlang auszusetzen, ist nicht so anti-rassistisch wie die Kultusministerin es verkauft. Die Argumentation der Politik ist gaslighting at it’s best. Jasmin Blunt vorzuwerfen, sie würde Rassismus im Unterricht nicht behandeln wollen, dreht die Debatte mit Absicht in eine andere Richtung. Das Problem ist nicht der Roman an sich. Jede Person, die möchte, kann sich den Koeppen ins Bücherregal stellen. Das Problem ist, dass mal wieder das Werk eines weißen Mannes ausgewählt wurde, um über ein Thema aufzuklären, von dem diese Person überhaupt nicht betroffen ist. Das Problem ist auch, dass eine Debatte entstanden ist, in der weiße Menschen in der Politik und

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Natalia ist in den Bereichen (Mode-)Journalismus und Medienkommunikation ausgebildet und hat einen Bachelor in Management und Kommunikation. Derzeit studiert sie Digitalen Journalismus im Master. Besonders gerne schreibt sie über (und mit!) Menschen, erzählt deren Lebensgeschichten und kommentiert gesellschaftliche Themen. Sie leitet die Redaktion und das Schreibtandem von kohero. „Ich arbeite bei kohero, weil ich es wichtig finde, dass die Geschichten von Geflüchteten erzählt werden – für mehr Toleranz und ein Miteinander auf Augenhöhe.“     (Bild: Tim Hoppe, HMS)

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