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EU-Asylreform: „ein historischer Fehler“

Von Bundesinnenministerin Nancy Faeser als Erfolg angepriesen, von Menschenrechtsorganisationen scharf kritisiert – es geht um die Asylreform der EU, über die gestern entschieden wurde. Natalia Grote schreibt darüber, was diese Reform für geflüchtete Menschen bedeutet, mit wem sich die europäische Politik solidarisch zeigt – und mit wem nicht

Fotograf*in: Christian Lue

Am 8.6.23 haben die EU-Innenminister*innen über eine Reform des Asylrechts entschieden. Die Menschenrechtsorganisation Pro Asyl nennt den Beschluss des Europäischen Rates einen “Frontalangriff auf das Asylrecht“. Bundesinnenministerin Nancy Faeser twittert dagegen: “Das ist ein historischer Erfolg – für die Europäische Union, für eine neue, solidarische Migrationspolitik und für den Schutz von Menschenrechten. #GEAS”. Doch was beinhaltet die Überarbeitung des Gemeinsamen Europäischen Asyl-Systems (GEAS) und welche Auswirkungen hat das auf Menschen, die nach Europa flüchten?

Was bedeutet die EU-Asylreform?

In der Asylrechtsreform geht es um die Verschärfung des Umgangs mit geflüchteten Menschen. Mit dem Beschluss wird künftig strenger kontrolliert, Asylverfahren sollen schneller abgewickelt werden. Insbesondere geht es dabei um Geflüchtete “ohne Bleibeperspektive”. Dazu gehören Asylbewerbende aus Ländern, bei denen weniger als 20 % der Asylverfahren anderer Geflüchteter des Landes erfolgreich sind. Vor den Verhandlungen in Luxemburg kündigte Nancy Faeser noch an, hart für die menschenrechtlichen Standards zu kämpfen. Das Vorhaben, zumindest Familien mit Kindern vor dem neuen Asylprozess zu bewahren, konnte sie nicht durchsetzen.

Mit dem Beschluss der Asylreform geht einher, dass die geflüchteten Menschen so behandelt werden, als würden sie sich bei der Ankunft in Europa nicht auf dem Gebiet der EU befinden. Institutionen wie der Europäische Flüchtlingsrat ECRE kritisieren diese “sogenannte Fiktion der Extraterritorialität”, da Geflüchtete so weniger Anspruch auf geltendes EU-Recht haben. Das Asylrecht wird in diesen Fällen quasi abgeschafft.

Diese “Fälle” sind einzelne Personen. Und eben auch Familien. Kinder. Menschen, die ihre Heimat verlassen haben, weil sie dort nicht mehr leben konnten. Die wahrscheinlich wissen, wie die EU mit ihnen umgehen wird, aber trotzdem die Hoffnung haben, dass es besser ist, als das, was sie in ihrem Herkunftsland erlebt haben. “Glauben Sie mir, die Entscheidung, dieses Meer zu überqueren, trifft niemand, der noch dort leben kann, wo er herkommt”, sagt Tareq Alaows von PRO ASYL beim Evangelischen Kirchentag.

12 Wochen soll das neue Prüfungsverfahren dauern. Die geflüchteten Menschen werden in dieser Zeit in haftähnlichen Bedingungen untergebracht. Expert*innen geben bereits jetzt zu bedenken, dass diese Verfahren länger dauern können und die geflüchteten Menschen ohne weitere Begründung auch länger in den Einrichtungen festgehalten werden können. Inwiefern die noch verbliebenen Menschenrechte gewahrt werden, wird im Zuge der Reform nicht diskutiert.

Solidarität mit wem?

Auch über Solidarität wird in den ganzen Reformen nur gesprochen, wenn es um die EU-Länder an den Außengrenzen geht. Für Solidarität mit den geflüchteten Menschen ist im “Kompromiss” der Innenminister*innen kein Platz mehr. Ein “historischer Fehler”, so Tareq Alaows, der in Bezug auf die EU-Pläne, die “illegale Einwanderung” verhindern sollen, sagt: “Wenn wir Fluchtrouten schließen, bedeutet das nur, dass die Menschen gefährlichere Wege gehen. Das bedeutet: Noch mehr Tote an unseren Grenzen.” Denn: Menschen werden weiterhin nach Wegen suchen, um so etwas wie Sicherheit in der EU zu finden.

Im Vorfeld der Verhandlungen am Donnerstag gab es Demonstrationen, die die deutsche Bundesregierung an das Einhalten demokratischer Werte und die “rote Linie” erinnern sollten, die in der Asylpolitik nicht übertreten werden dürfe. Mehr als 50 Prominente hatten außerdem einen offenen Brief an Nancy Faeser unterzeichnet, der von #LeaveNoOneBehind initiiert wurde. Auch hier die Forderung: das Grundrecht auf Asyl stärken und einen politischen Rechtsruck verhindern.

Rechtsruck in Europa

Können wir den Rechtsruck in Europa nach dem gestrigen Beschluss noch verhindern? Auch Deutschland ist davon nämlich nicht ausgenommen: Bei der letzten Sonntagsfrage lag die AdD bei rund 18 % – gleichauf mit der SPD.

Hass gegen Menschen, in diesem Fall migrierte und geflüchtete Menschen, kommt von Angst. Und Angst hat man oft aus Unwissenheit. Wenn die Politik Strukturen für Inklusion ermöglicht, Medien konstruktiv über Themen wie Flucht und Migration berichten und wir uns für ein gesamtgesellschaftliches Miteinander einsetzen, können wir den Rechtsruck verhindern. Es ist eine Frage des Willens, hat Hussam mal geschrieben.

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Natalia ist in den Bereichen (Mode-)Journalismus und Medienkommunikation ausgebildet und hat einen Bachelor in Management und Kommunikation. Derzeit studiert sie Digitalen Journalismus im Master. Besonders gerne schreibt sie über (und mit!) Menschen, erzählt deren Lebensgeschichten und kommentiert gesellschaftliche Themen. Sie leitet die Redaktion und das Schreibtandem von kohero. „Ich arbeite bei kohero, weil ich es wichtig finde, dass die Geschichten von Geflüchteten erzählt werden – für mehr Toleranz und ein Miteinander auf Augenhöhe.“     (Bild: Tim Hoppe, HMS)

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Natalia ist in den Bereichen (Mode-)Journalismus und Medienkommunikation ausgebildet und hat einen Bachelor in Management und Kommunikation. Derzeit studiert sie Digitalen Journalismus im Master. Besonders gerne schreibt sie über (und mit!) Menschen, erzählt deren Lebensgeschichten und kommentiert gesellschaftliche Themen. Sie leitet die Redaktion und das Schreibtandem von kohero. „Ich arbeite bei kohero, weil ich es wichtig finde, dass die Geschichten von Geflüchteten erzählt werden – für mehr Toleranz und ein Miteinander auf Augenhöhe.“     (Bild: Tim Hoppe, HMS)

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