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Artikel 21 – Hilfe für queere Menschen im Asylverfahren

Im Interview spricht kohero Autor*in Jenny mit Aktivist*in Joe über die Gesundheitsversorgung von queeren Menschen im Asylverfahren und das Projekt Artikel 21.

Joe, auch Josefine genannt, engagiert sich im Projekt Artikel 21, welches sich für geflüchtete Personen aus der LGBTQIA+ Community im Asylverfahren einsetzt. Sie selbst ist 2015 aus Syrien nach Deutschland geflüchtet. Wir treffen uns bei Joe zuhause, sitzen auf dem Balkon und essen die diversen Snacks, die Joe vorbereitet hat.

 

Welche Erfahrungen hast Du mit der Gesundheitsversorgung während deines Asylverfahrens in Deutschland gemacht?

Mir ging es gar nicht gut, weil ich mich nicht sicher gefühlt habe und mir meine queere Identität abgesprochen wurde. Queere geflüchtete Personen werden in Deutschland in Sammelunterkünfte abgeschoben und sind dort sehr alleine und haben keinen Zugang zur queeren Community. Dort gibt es Täter*innen, homo- und transfeindlichen Personen. Der Platz, an dem du eigentlich die Möglichkeit haben solltest, dich zurückzuziehen, ist unsicher. Zudem baut das Asylverfahren auf einem heteronormativen System auf.

 

„Ich hatte große Angst vor der Zukunft“

 

Wie wirkt sich das aus?

Das bedeutet, dass zum Beispiel in der persönlichen Anhörung im Asylverfahren Personen und Übersetzer*innen sitzen, die nicht sensibilisiert sind. Bei meinem ersten Gespräch wurden Dinge ins Protokoll geschrieben, die ich nicht gesagt habe. Über mein Aussehen mit Bart wurde darauf geschlossen, dass ich nicht queer sein kann. Auch auf der Straße werde ich komisch angeschaut. Das hat dazu geführt, dass ich Depressionen bekommen habe.

Hast Du Unterstützung bekommen?

In meiner Unterkunft gab es keine Beratungsstelle für queere Menschen. Die Mitarbeiter*innen von der Wohnunterkunft konnten mir nach erfahrener oder beobachteter Gewalt nicht weiterhelfen. Sozialarbeiter*innen sind nicht weitergebildet, was die Queer-Community angeht. Mir wurde immer gesagt, ich soll der Polizei Bescheid geben. Mich hat das sehr fertig gemacht. Ich hatte große Angst vor der Zukunft. Mein gesundheitlicher Zustand war nicht gut.

 

„“Artikel 21″ bringt diese Probleme ans Licht“

 

Konntest Du medizinische Hilfe aufsuchen?

Die ärztliche Versorgung ist sehr begrenzt zugänglich. 2015 gab es keine Versichertenkarten, sondern Behandlungsscheine und es war nicht möglich, ganz normal zu Ärzt*innen zu gehen. Du bist abhängig von den vorgegebenen Zeiträumen. Im Asylverfahren gibt es trans* Personen, die gerade an einem wichtigen Punkt ihrer Transition sind und keine Unterstützung bekommen.

Wie bist Du zu dem Projekt „Artikel 21“ gekommen?

„Artikel 21“ bringt diese Probleme ans Licht und macht insbesondere auf die Situation von geflüchteten Personen aus der LGBTQIA+ Community im Asylverfahren aufmerksam. Ich kenne das Projekt von anderen Organisationen wie Refugees Sisters oder Queer Refugees Support. Dort habe ich Hilfe bekommen und das hat meine Motivation geweckt, auch anderen Personen zu helfen, die genauso unter der Situation leiden. In dem Projekt sprechen queere Personen über deren Erfahrungen im Asylverfahren.

Was fordert ihr?

Wir fordern, dass es Unterkünfte extra für queere Personen und Schutz ab dem ersten Tag des Asylverfahrens gibt. Dafür haben wir auch eine Petition gestartet. Wir wollen, dass der Schutz wirklich passiert und die Traumatisierung nicht weitergeht. Wir wollen das System der Erstaufnahme in Frage stellen. Es bedarf Schutz gerade vom ersten Augenblick an. Wir fordern Zugang zu Beratungsstellen und Schulungen für die Mitarbeiter*innen, die am Asylverfahren beteiligt sind, und eine bessere medizinische und psychologische Versorgung. Wenn wir Ausstellungen machen, dann gibt es aber immer eine offene Liste, als Möglichkeit, uns weitere Forderungen und Ideen mitzuteilen. Da kommt immer wieder was dazu. Das hilft uns, weiterzukommen.

 

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  • Image: privat
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Jenny kommt aus Hamburg und studiert aktuell Geographie. Sie begeistert sich seit sie denken kann für Sprache. Sie liest sehr gerne und schreibt eigene Gedichte und Texte, u.a. für kohero.

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Einbürgerung – wie geht das?

Ich lebe jetzt schon so lange in Deutschland, wie kann ich so richtig „Deutsche*r“ werden? 13% der in Deutschland lebenden Menschen haben nicht die deutsche Staatsangehörigkeit. Aber nur 2,5% der Menschen in Deutschland, die einen Anspruch auf Einbürgerung haben, lassen sich auch einbürgern. Woran liegt das? Liegt es vielleicht daran, dass die Voraussetzungen für eine Einbürgerung so hoch sind? In erster Lesung liegt jetzt eine Gesetzesänderung des Staatsangehörigkeitsgesetzes vor, die die Einbürgerung in Deutschland erleichtern soll. Warum soll ich mich einbürgern? Welche Vorteile habe ich? die freie Wahl des Aufenthalts und Wohnsitzes in Deutschland und allen Ländern der Europäischen Union (EU Freizügigkeit). Unverwirkbares Aufenthaltsrecht : Keine regelmäßige Beantragung/Verlängerung  von Aufenthaltstiteln mehr und kein Gang zu ausländischen Konsulaten und Botschaften, um dort den Heimatpass zu beantragen oder zu verlängern. freier Zugang zu allen Berufen, Zugang zum deutschen Beamtenstatus. visafreie Reisemöglichkeit in 189 Länder und dort Schutz durch die deutsche Auslandsvertretung.Nur bei Reisen in das Herkunftsland kein Schutz durch die Bundesrepublik. politisch mitentscheiden: wählen und gewählt werden (aktives und passives Wahlrecht). Erlangung der sogenannten Deutschengrundrechte (Art. 8 Grundgesetz (GG) – Versammlungsfreiheit , Art. 9 Abs. 1 GG – Vereinigungsfreiheit, Art. 11 GG  – Freizügigkeit, Art. 12 GG – Berufsfreiheit). Welche Voraussetzungen muss ich erfüllen? In Klammern stehen die möglichen Änderungen im Entwurf des neuen Staatsangehörigkeitsgesetzes: seit 8 Jahren (Entwurf 5 Jahre) gewöhnlicher und rechtmäßiger Aufenthalt in Deutschland: Diese Frist kann (Ermessensentscheidung der Einbürgerungsbehörde) nach erfolgreichem Besuch eines Integrationskurses auf sieben Jahre verkürzt werden, bei besonderen Integrationsleistungen sogar auf sechs Jahre (Entwurf: 3 Jahre). Wichtig: Auch die Dauer des Asylverfahrens ist ein Teil dieser sechs Jahre. Bei staatenlosen Personen kann die Einbürgerungsbehörde die notwendige Aufenthaltsdauer ebenfalls auf sechs Jahre verkürzen. Wenn man mit einem*r deutschen Partner*in verheiratet ist, ist die  Einbürgerung nach 3 Jahren möglich. Familienangehörige lassen sich miteinbürgern. Der/die Ehepartner*in kann bereits nach vier Jahren

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Wir sind zum Hoffen verdammt

Sie widerstand den Folgen ihrer Krankheit ganze 50 Jahre lang. Doch als die Revolution begann, musste sie abermals den Schmerz des Verlustes ertragen, der nach und nach ihre Familie heimsuchte in den letzten Tagen von Assads Krieg, gegen ihr Dorf im Süden Syriens, nahe der Stadt Idlib. Ahlam konnte ihre Teenagerzeit nicht ausleben. Sie wurde als Kind in das Haus ihres Ehemanns gebracht, als sie gerade 15 geworden war, ohne jemals High Heels ausprobiert zu haben, ohne dass jemals ein Mann seinen Arm um ihre Taille gelegt hatte auf einer der lauten Partys, von denen die Männer in ihrem Dorf sprachen, wenn sie aus der Stadt zurück gekommen waren. Vielleicht hatte sie nie ein Wort mit irgendeinem fremden Jungen vor ihrer Schule gewechselt. Sie hatte Tanzmusik nie auf einer Party gehört, sondern nur über ein Radio, welches gleichzeitig die großen Siege von Al Assads Armee über die Muslimbrüder in den 80gern des letzten Jahrhunderts verkündete. Obwohl ihr Dorf nach diesem Krieg, der Tausende getötet hatte, komplett zerstört war, funktionierte ihr Radio immer noch bis in die ersten Jahre der Revolution hinein, als die Dorfbewohner sich gegen den Präsidenten auflehnten und weitere Zerstörungen und Plünderungen folgten. Ahlam, die Großmutter, hatte neun Kinder und 20 Enkel. Die meisten von ihnen lebten mit ihr in einem großen, alten Haus, das aus Lehm gebaut war. Das Haus wurde im Laufe der Jahre unzählige Male umgebaut, abgesehen vom Zimmer der Großmutter, welches unverändert blieb, bis das Haus schließlich unter seinem alten Holzdach zusammenbrach. Die Wände waren mit Kalkfarbe gestrichen, die normalerweise zum Bemalen der Bäume genutzt wurde. „Die Großmutter hatte nie Lesen gelernt, bis auf ein paar Zeichen, die über den Ruinen der Stadt angebracht wurden“ Außerdem hing dort ein Bild ihres Mannes, dessen Schicksal ungeklärt blieb. Er war vor einem Vierteljahrhundert eingesperrt worden mit

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Gerichte aus Afghanistan

Gerichte aus Afghanistan

Frische Tomaten, Auberginen, Minze, Brot, Zwiebeln und Knoblauch. Die Zutaten für unser 3-Gänge-Menü aus Afghanistan liegen fein säuberlich nebeneinander auf dem Bartresen. Der Blick des jungen Mannes fällt auf die Auberginen. Er runzelt die Stirn, denkt kurz nach. “Das sind die Falschen”, sagt er trocken und blickt in die Runde. Die Umstehenden schauen sich fragend an. “Die Kleinen wären besser gewesen. Immer die Kleinen kaufen. Die zerfallen nicht.” Aber es wird schon gehen, fügt der junge Mann hinzu. Ein kleines Lächeln erscheint im rechten Mundwinkel. Ayaz, 34 Jahre alt, aus Ghazni und Ehrenamtlicher bei Über den Tellerrand Hamburg e. V., ist an diesem Abend unser Küchenchef. Wie bei einer WG-Party Immer wieder ertönt die Klingel. Jede Person, die reinkommt, betritt neugierig den Raum. Wer wohl die anderen sind? Als Erstes fällt der Blick der meisten auf die “Küche”. Sie besteht aus einem Bartresen inklusive Spülbecken, Kühlschränken sowie zwei mobilen Herdplatten. Besonders Ayaz und Freba steht die Frage “Hier kochen wir?” klar ins Gesicht geschrieben. Doch sie verschwindet, als sie den Klang von Dari hören. Schnell entsteht ein munteres Stimmengewirr aus Deutsch und der Landessprache Afghanistans. “Wollen wir uns erstmal vorstellen und ein wenig über uns erzählen?”, schlägt Karla von Über den Tellerrand Hamburg vor. Für einen kurzen Moment wird es ganz still, keine*r traut sich anzufangen. Ayaz erzählt, dass er seit zwei, drei Jahren bei Über den Tellerrand Hamburg dabei ist. Freba ist ebenfalls aus Afghanistan und Teil von Über den Tellerrand Hamburg. Ihr Blick und ihre Stimme sind fest. “Meine Kinder sind erwachsen und aus dem Haus. Jetzt habe ich Zeit für andere Dinge”, erklärt sie mit einem winzigen Lächeln. Sie wirkt entschlossen, ihr Wissen weiterzugeben. Nachdem auch wir anderen uns vorgestellt haben, nimmt Ayaz seine Rolle als Küchenchef verlegen an. Der Rest krempelt die Ärmel hoch. “Wie möchtest

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Kategorie & Format
Jenny kommt aus Hamburg und studiert aktuell Geographie. Sie begeistert sich seit sie denken kann für Sprache. Sie liest sehr gerne und schreibt eigene Gedichte und Texte, u.a. für kohero.

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