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Syrien und die Syrer*innen sind wieder in den Nachrichten

Krieg im Sudan, Wahlkampf in der Türkei, politisches Versagen von Europa und den USA – weche Auswirkungen hat das auf die Syrer*innen in ihrer Heimat und auf der Flucht? Hussam kommentiert die aktuellen Zusammenhänge und Entwicklungen zur Lage in Syrien unter dem Assad-Regime

Fotograf*in: Mahmoud Sulaiman auf Unsplash

Wir haben diese Kolumne gestartet, um aktuelle Themen zu kommentieren. Es gibt auch diese Woche mehr als genug innenpolitische Themen, über die ich schreiben könnte. Aber ich möchte mich wieder auf Syrien konzentrieren. Denn Syrer*innen sind in der letzten Zeit für Medien und die Öffentlichkeit wieder aktuell geworden. 

Nach dem schrecklichen Erdbeben im Februar folgten Schlagzeilen über den Diktator Bashar al-Assad und wie er versuchte, das Erdbeben für sich und seine Rehabilitation zu nutzen. Letzte Woche kommentierte ich die Situation im Sudan und die aussichtslose Lage von Syrer*innen, die schon wieder zur Flucht gezwungen werden. Und auch in dem Wahlkampf in der Türkei spielen syrische Geflüchtete eine wichtige Rolle. 

Jetzt, kurz vor der Stichwahl, wird der Ton der Kandidaten schärfer und auch nationalistischer. Der Kandidat der Opposition, Kemal Kilicdaroglu, hat zu einem Deal mit Assad aufgerufen, um innerhalb eines halben Jahres alle syrischen Geflüchteten zurück nach Syrien abzuschieben. Erdogan hat eigentlich ähnliche Pläne für die Syrer*innen in der Türkei, aber er spricht noch über “freiwillige Rückkehr”. Seit ein paar Monaten gibt es durch russische Vermittlung auch Kontakt mit dem syrischen Regime und es wird ein Treffen zwischen Erdogan und Assad erwartet. 

Arabische Staaten haben Beziehungen zu Syrien wieder aufgebaut

Aber die größte Entwicklung in den letzten Wochen war, dass die arabischen Staaten ihre Beziehungen zum syrischen Regime wieder aufgenommen haben. Obwohl Bashar al-Assad und seine Armee hunderttausende Tote, Millionen Vertriebene und Städte in Schutt und Asche hinterlassen hat, scheinen die arabischen Länder alles vergeben und vergessen zu haben. Zum ersten Mal seit 2011 durfte Assad an einem Gipfeltreffen der Arabischen Liga teilnehmen. Der Hauptgrund dafür ist, dass Saudi-Arabien nach der Annäherung mit dem Iran Ruhe und Stabilität in der Region wiederherstellen möchte. Priorität sind jetzt die wirtschaftliche Entwicklung statt politische Konflikte. Es ist nicht ganz klar, welche Bedingungen die Staaten der arabischen Liga gestellt haben. Wird es hauptsächlich wieder darum gehen, syrische Geflüchtete loszuwerden und zurück nach Syrien zu schicken? Oder wird Assad auch wieder Verhandlungen mit der Opposition über eine neue Verfassung aufnehmen (müssen)?

Die Rückkehr von Assad in die arabische Liga hängt auch mit dem Krieg in Sudan zusammen. Beide Entwicklungen markieren das Ende des Arabischen Frühlings, der 2011 voller Hoffnung ausgerufen wurde. Und was kommt nach dem Frühling? Saudi-Arabien plant wirtschaftliche Entwicklungen auf Kosten der Menschenrechte und der demokratischen Entwicklung in der Region. Aber wie lange kann diese wirtschaftliche Sommerzeit anhalten? Und was kommt danach? Werden die arabischen Länder so eine langfristige politische Lösung für Syrien finden, die durch Krieg nicht erreicht werden konnte? Werden sie den Machthaber Assad, dessen Armee seit Jahren ruft “Assad oder wir verbrennen das Land”, dazu bringen können, ein Friedensabkommen mit der Opposition und den Kurden zu schließen?

Das Lächerliche an allem ist, dass die arabischen Länder behaupten, sie haben ihre Beziehungen zum Assad-Regime wegen den Leiden der syrischen Bevölkerung unterbrochen. Jetzt sagen sie, sie nehmen die Beziehungen wegen der Leiden der syrischen Bevölkerung wieder auf, besonders nach dem Erdbeben. 

Darf Syrien unter dem Assad-Regime wieder in die arabische Liga eintreten?

Die Fragen, die jetzt diskutiert werden, sind zum Beispiel, ob es moralisch akzeptabel ist, oder realpolitisch richtig ist, dass Assads Regime wieder in die arabische Liga darf. Es ist nicht so einfach für mich, diese Fragen zu beantworten. Denn einer der  Gründe dafür, dass Assad heute noch an der Macht ist, ist die realpolitische Entscheidung der USA in den Jahren 2013 und 2014. Die syrische Revolution endete formell, als US-Präsident Barack Obama einen Deal mit Russland über die chemischen Waffen in Syrien abschloss. Russland hat sich dann militärisch in Syrien engagiert und was danach kam, konnten wir alle sehen. 

Die viel wichtigere Frage für mich ist, wie sehr sich das Leben der Syrer*innen verändern wird. Wie viele Kinder können endlich zur Schule zurückkehren und ein normales Leben führen? Das ist leider noch nicht sicher, da in Syrien viele Faktoren und Spiele im Gange sind. Es hängt auch davon ab, ob Erdogan gewinnen wird und welche Rolle die USA spielen möchten, ob sie mehr Gesetze und Sanktionen einführen werden. Das US-Parlament berät über neue Syrien-Sanktionen, mit denen Flughäfen in arabischen Ländern bestraft werden können, die syrische Flugzeuge landen lassen. Es hängt auch von der Entwicklung im russischen Angriffskrieg auf die Ukraine ab. 

Sicher ist, dass Europa seit langem keine Rolle mehr in dem syrischen Thema spielt. Sie haben die Geflüchteten als Waffen gegen sich selbst genutzt und warten darauf, wie sich die Dinge entwickeln. Assad wartet darauf, die Waffen gegen europäische Länder einzusetzen, um Anerkennung zu erhalten. 

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Hussam studierte in Damaskus Politikwissenschaften mit dem Schwerpunkt Internationale Beziehungen. Parallel dazu arbeitete er als schreibender Journalist. Seit 2015 lebt er in Deutschland. Er ist Gründer und Chefredakteur von kohero. „Das Magazin nicht nur mein Traum ist, sondern es macht mich aus. Wir sind eine Brücke zwischen unterschiedlichen Kulturen.“

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Die Proteste im Iran gehen uns alle an

Daniela Sepehri leistet Informationsarbeit und teilt Videos und Bilder von den Protesten in den sozialen Medien, organisiert Kundgebungen, initiiert Petitionen. Sie ist eine gefragte Interviewpartnerin und trifft sich mit Abgeordneten, um ihre Forderungen an die Politik heranzutragen. All das macht sie neben ihrem Vollzeitjob als Social Media Managerin und ihrem Teilzeit-Masterstudium in Medien und politischer Kommunikation. Der Grundstein für ihren Aktivismus wurde im Elternhaus gelegt.   Mit Politik aufgewachsen   Bevor du geboren wurdest, mussten deine Eltern aus dem Iran fliehen. Aus welchem Grund kamen sie nach Deutschland? Mein Vater ist im Iran zum Christentum konvertiert. Der Übertritt vom Islam zu einer anderen Religion wird mit dem Tod bestraft. Er war sehr aktiv, verteilte Bibeln und missionierte. 1997 floh er zusammen mit meiner Mutter nach Deutschland, weil er die Todesstrafe erhalten hatte. Vor ihm hatten schon viele aus seiner Familie das Land aus ähnlichen Gründen verlassen.   Du hast mit 15 Jahren angefangen, dich politisch zu engagieren. Was war der Auslöser? Meine Familie ist sehr politisch. Alle sind aus politischen und religiösen Gründen geflohen. Bei jedem Familientreffen und wenn wir Besuch hatten, ging es in den Gesprächen um den Iran und die dortige Politik. Kurzum: Mit Politik bin ich groß geworden. Mit 15 dachte ich ganz naiv, ich könne durch politisches Engagement Regime Change im Iran bewirken. Ich hatte damals bei der SPD in Paderborn ein freiwilliges Praktikum gemacht. Das war mitten im Bundestagswahlkampf 2013 und ich fand es wahnsinnig spannend. Dann bin ich den Jusos beigetreten und ein halbes Jahr später der SPD. Trotz meines Austritts vor zwei Jahren, bin ich weiterhin politisch engagiert, wenn auch nicht parteipolitisch.   Ungerechtigkeit erkannt und bald die Ausmaße von struktureller Diskriminierung realisiert   Welche Themen liegen dir als Aktivistin besonders am Herzen? Ich habe wegen des Irans angefangen, Politik zu machen. Mein

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Schneeglöckchen im Regen

Gedenken an die Opfer des rassistischen Anschlags in Hanau

Am 19. Februar 2023 jährte sich zum dritten Mal der bewaffnete rassistische Anschlag in der hessischen Stadt Hanau. Dabei wurden 10 Menschen getötet und 5 weitere schwer verletzt. Nach dem Angriff jagte die deutsche Polizei den 43-jährigen Täter mehrere Stunden, bis sie ihn in seiner Wohnung fanden, nachdem er seine Mutter und dann sich selbst erschossen hatte. Er hinterließ 24 Seiten mit rechtsextremen Meinungen und Verschwörungstheorien. Natürlich löste der Vorfall eine Debatte über die eigentlichen Ursachen rechtsextremer fremdenfeindlicher Gewalt in Deutschland aus. Obwohl die Tat inzwischen 3 Jahre her ist, wird die Behörde von Bürger*innen und Betroffenen immer noch scharf kritisiert.Es seien nicht genügend Anstrengungen unternommen worden, um die Umstände des Angriffs aufzudecken und sicherzustellen, dass sich solche Gräueltaten nicht wiederholen. Darüber hinaus gibt es immer noch Gerüchte wie die Vertuschung, den Mangel an Gerechtigkeit, und dass jeder der Bestrafung entgehen wird. Dies liegt vor allem daran, dass der Notausgang eines der beiden Cafés, in denen sich die Tat ereignete, zum Zeitpunkt des Unfalls geschlossen war. Nach einem Gutachten von Forensic Architecture, das in der Sitzung des Untersuchungsausschusses als Video eingespielt wurde, hätte das laut Ermittlungen fünf Menschen vor dem Tod bewahren können. Obwohl es Zeugen dafür gibt, werden die Vorwürfe nicht untersucht. Zudem wurde in einer früheren der Gerichtssitzungen auf diese Vorwürfe reagiert, es sei ungewiss, ob die Menschen wirklich zum Notausgang geeilt wären, wenn dieser zu diesem Zeitpunkt geöffnet gewesen wäre. Viele Fragen sind weiterhin offen. Es muss politische Verantwortung übernommen werden Bisher haben insgesamt 42 Angehörige der Opfer Entschädigungen in Höhe von 1,2 Millionen Euro vom Bund erhalten. Außerdem waren mehrere Gedenkveranstaltungen am 19. Feb 2023 in und um Hanau geplant, die im Namen der Stadt und des Landes Hessen an die Opfer  erinnern sollen. Dies war in Anwesenheit des ernannten Beauftragten der Bundesregierung für die Anliegen

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An einem sonnigen Sonntag habe ich mit einem deutschen Verwandten und Freund, so wie mit allen anderen zur Zeit auch, über den Angriff auf die Ukraine gesprochen. Ich habe ihn gefragt: „Warst du überrascht über den großen Angriff Putins auf die Ukraine?” Er meinte: „Ich war überrascht, aber gleichzeitig war ich überrascht über meine Überraschung. Ich lese sehr viel Zeitung, Zeitschriften, habe Zeitungsabos. Ich sehe und höre, was ARD und der Rundfunk berichten, aber niemand hat sich Sorgen gemacht und das ernst genommen. Die deutschen Medien haben nicht geglaubt, dass so etwas passieren würde. Viele Journalisten haben nicht den Nachrichten des amerikanischen Geheimdienstes geglaubt.”   Die neue Rolle der Medien – Warum sind wir eigentlich alle überrascht? Wir sollten mehr über die neue Rolle der Medien sprechen in Zeiten, in denen wir in einer globalisierten Welt leben und beeinflusst werden von dem, was in anderen Ländern passiert. Und die Frage ist, warum die Medien diese Rolle nicht einnehmen?  Leider haben die großen deutschen Medien nicht nur über den großen Angriff auf die Ukraine nicht  berichtet, sondern schon vorher, als viele Menschen aus Syrien, Afghanistan und dem Irak auf dem Weg nach Europa waren. Und das, obwohl es dort schon länger große Kriege gab. Organisationen und Medien kannten die prekäre Situation von Geflüchteten in den weltweiten Camps. 2014 warnte die Welthungerhilfe vor ihrer Unterfinanzierung und die Auswirkungen auf syrische Geflüchtete in Jordanien und Libanon.  Nicht nur das. Auch dass der Brexit kommen wird, haben viele für unwahrscheinlich gehalten. Ich kenne, Familien, die haben Wetten abgeschlossen, 50% dafür und 50% dagegen. In Großbritannien war das auch ein Grund, warum viele junge Menschen nicht zur Wahl gingen. Niemand hat Johnson und seine Gruppe ernst genommen, aber jetzt ist er Premierminister.  Auch Corona war eine große Überraschung für unsere Gesellschaft und die ganze Welt,

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Darf ich meine Geschichte benutzen?

Dürfen Geflüchtete ihre Geschichte nutzen, um Werbung für etwas zu machen oder Spenden zu sammeln? Ist das moralisch vertretbar? Unser Chefredakteur und Gründer Hussam setzt sich mit diesen Fragen kritisch auseinander.

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Kategorie & Format
Hussam studierte in Damaskus Politikwissenschaften mit dem Schwerpunkt Internationale Beziehungen. Parallel dazu arbeitete er als schreibender Journalist. Seit 2015 lebt er in Deutschland. Er ist Gründer und Chefredakteur von kohero. „Das Magazin nicht nur mein Traum ist, sondern es macht mich aus. Wir sind eine Brücke zwischen unterschiedlichen Kulturen.“

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