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Ein Flüchtlingsgipfel bringt Abschiebungen statt Lösungen

Am 10. Mai hat ein Bund-Länder-Treffen stattgefunden. Worüber wurde gesprochen? Welche Lösungen sind gefunden worden - und sind sie realistisch? Hussam Al Zaher mit einem Kommentar.

Das Flüchtlingsthema hat in Deutschland einen Gipfel erreicht. Am Mittwoch wurden die Ergebnisse eines Treffens zwischen Kommunen, Ländern und Bund, genannt Flüchtlingsgipfel, bekannt. Es ging auch in den Tagen und Wochen davor vor allem um die starke Belastung der Kommunen durch Geflüchtete.

In vielen Kommunen können Sprachkurse nicht stattfinden und die Kitas und Schulen sagen, sie sind an ihrer Belastungsgrenze. Und es fehlt überall an Wohnraum und Unterbringungsplätzen. Natürlich stellt sich die Frage, warum die Kommunen nicht auf eine mögliche Notsituation vorbereitet sind? Haben sie nicht darüber nachgedacht, oder fehlt ihnen die Kreativität? Oder sind wir jetzt in dieser Notsituation angekommen, ohne dass es die breite Öffentlichkeit bemerkt hat?

Auch wenn wir als Gesellschaft viel seit 2015 gelernt haben, wird “das Flüchtlingsthema” sehr oft mit Belastungen, Problemen und Krisen verbunden. Ich frage mich, warum das so ist. Liegt es daran, dass die Opposition ein Thema gegen die Regierung braucht und dieses Thema am besten funktioniert? Oder wollen die Kommunen Druck machen, weil sie dringend mehr finanzielle Unterstützung wollen? Oder liegt es daran, dass die Medien und Journalisten sich nicht mehr für den Kontakt zu Geflüchteten interessieren?

Warum sprechen wir so viel über Belastungen, jetzt, wo 80% der neuen Geflüchteten aus der Ukraine kommen? Die Mehrheit der deutschen Gesellschaft und Politiker*innen haben sich zu Recht für die Aufnahme und Unterstützung von Ukrainer*innen entschieden. Das ist also eine Last, die wir als Gesellschaft tragen wollen.

Diskussion über dir Finanzierung

Die Diskussion fokussierte sich in den letzten Wochen aber vor allem auf die Fragen der Finanzierung. Wer zahlt für Unterbringung, Sprachkurse, Schulen und Gesundheitsversorgung?

Die Unterbringung und Integration von Geflüchteten ist Aufgabe der Länder und Kommunen, so steht es im Grundgesetz. Der Bund hat in den letzten Jahren Milliarden investiert, um sich zu beteiligen. Seit 2015/16, also seit der sogenannten Flüchtlingskrise, wurden 15 Milliarden Euro ausgegeben, 2022 sollen es weitere 15,6 Milliarden Euro sein. Nun ist das Hauptergebnis des Flüchtlingsgipfels, dass der Bund wieder mehr Geld zur Verfügung stellt.

Die Kommunen und Länder werden also entlastet, heißt es. Gleichzeitig wurde eine Pauschale pro Geflüchteter Person vorgeschlagen, die auf 1,25 Milliarden Euro pro Jahr festgelegt war. Bund und Länder konnten sich aber nicht einigen, weshalb jetzt erst eine Einmalzahlung kommt. Viele weitere Details soll eine Arbeitsgruppe bis November dieses Jahres klären.

Was mich überrascht hat: obwohl die Finanzierung das Hauptthema der Kommunen ist, haben sich die Teilnehmer*innen des Flüchtlingsgipfels auch damit beschäftigt, wie sich Geflüchtete angeblich stoppen lassen. Das Beschlusspapier fokussiert sich auch auf mehr Abschiebungen, Möglichkeiten zu “Ausreisegewahrsam”, Grenzkontrollen und Befugnisse für Polizei und Ländern.

Die Ministerpräsident*innen und auch die Innenministerin haben auch ihre Unterstützung für die EU-Pläne zur Asylrechtsreform geäußert. Es geht um ein Gesetzespaket, das in Brüssel bereits diskutiert wurde und an dem sich die Länder beteiligen möchten. Dabei steht im Fokus, dass Asylsuchende ihre Verfahren an den Außengrenzen der EU erhalten sollen. Also sehr ähnlich wie das, was viele Europäer*innen kritisieren, wenn sie Bilder von Geflüchteten an den Mauern der USA sehen.

Was ist mit den Fluchtursachen?

Was ich den Ministerpräsident*innen und den Minister*innen der Ampel Regierung gerne erzählen würde: ein Freund von mir, der noch in Syrien lebt, hat mich telefonisch über ein paar junge Syrer informiert, die nach Europa kommen möchten, weil sie nicht zur Armee gehen wollen. Sie werden den teuren, gefährlichen Weg über Libyen und das Mittelmeer versuchen. Denn das ist immer noch besser als in Assads Armee zu dienen.

Für mich zeigt diese Geschichte, dass die Menschen nicht frei entscheiden, ob sie flüchten möchten, sondern dass sie dazu gezwungen werden. Wenn ich diesen Menschen heute von den Plänen der EU oder der Bundesregierung erzähle, sagen sie mir, es gibt immer Schmuggler. So zeigt die Geschichte auch, wie die FDP gerne erzählt: wenn es Nachfrage gibt, wird der Markt ein Angebot schaffen.

Leider beschäftigen sich Politiker oft nur mit den innenpolitischen Themen und den Fragen der Grenzsicherheit statt mit der Außenpolitik, wenn es um Flucht und Asyl geht. Man könnte tausende Polizist*innen an die Grenzen stellen, aber sie werden die Grenze nie vollständig schließen können. Denn Geflüchtete sind gezwungen, und die Schmuggler werden immer wissen, wie sie die Not der Geflüchteten ausnutzen können.

Beim nächsten Flüchtlingsgipfel sollten vielleicht Flüchtlinge dabei sein, dann könnten wir endlich über wirkliche Lösungen für Fluchtursachen sprechen, statt über populistische und unrealistische Abschiebewünsche.

 

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Hussam studierte in Damaskus Politikwissenschaften mit dem Schwerpunkt Internationale Beziehungen. Parallel dazu arbeitete er als schreibender Journalist. Seit 2015 lebt er in Deutschland. Er ist Gründer und Chefredakteur von kohero. „Das Magazin nicht nur mein Traum ist, sondern es macht mich aus. Wir sind eine Brücke zwischen unterschiedlichen Kulturen.“

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Mama, Papa und Kunst

Es ist März, 2022. Adenauerallee, Hamburger ZOB. „Marushka wir gehen endlich feiern“, ruft mir Gustav zu. „Meine Mama kommt“, antworte ich. „Dann nimm die mit!“ „Na ja, sie kommt zusammen mit den Frauen und Kinder aus der Ukraine. Vielleicht hilfst du mir?“ Und es war so. Gustav und seine Freunde haben mich und die Neuangekommenen mit drei Autos vom ZOB zur Rudolf-Steiner-Schule Hamburg-Bergstedt gebracht. Dann war alles wie im Traum. Nur ohne Emotionen. In den ersten Kriegswochen, genau vor einem Jahr, haben wir es mithilfe aller Beteiligten geschafft, viele Schüler*innen mit ihren Müttern nach Hamburg zu evakuieren. Meine Mama Valentina und meine Nichten Sofia und Polina waren dabei. Nach den Sommerferien entschlossen sich viele Familien, zurück in die Ukraine zu kehren. Die Geschichte Waldorfschule in Lutsk geht weiter. Momentan meistens im Keller. Im August „besuchte“ uns mein Papa Semen und meine Eltern leben wie mehr als 30.000 Ukrainer*innen in Hamburg. Als „Besucher*innen“ bekommen meine Eltern wie alle Geflüchtete aus der Ukraine einen 2-jährigen Aufenthaltstitel. Inzwischen, heute, ist ein Jahr schon um. Ich warte auf den Bus aus Kyiv. Meine Freund*innen haben mir und ihren Gastfamilien, in denen sie gewohnt haben, ein Dankeschön-Geschenk gegeben. Honig aus der Ukraine. Ich fange an, zu heulen. Mir wird klar, dass ich vor einem Jahr, genau an diesem Tag, als die Menschen in Hamburg die Wiedereröffnung der Clubs nach Corona gefeiert haben, meine Mama, Nichten und meine Schüler*innen mit ihren Müttern abgeholt habe. Erst jetzt kann ich reflektieren und weinen. Endlich. Ich spüre große Wellen der Dankbarkeit und Liebe, Wellen von Vertrauen und Mut und letztendlich Unterstützung und Hilfe. Ich spüre. Endlich. Krieg und Kunst Seit einem, aber eigentlich seit neun Jahren herrscht Krieg in meinem Heimatland Ukraine. Ich bin seit 2012 in Hamburg und dokumentiere die Geburt der neuen Ukraine in künstlerischen Tagebüchern. Als

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Mit einer neuen Heimat gehe ich ins neue Jahr

Manche Steine gehören zur Geschichte des assyrischen Reichs, manche zur babylonischen Kultur, zur byzantinischen Zivilisation, zur islamische Zivilisationen. In der Bibel wird Damaskus erstmals im 1. Buch Mose Kapitel 14, Vers 15 erwähnt. All diese Kulturen sind Teil der Geschichte von Damaskus. Damaskus und Jasmin – beides gehört zu mir Ich habe Damaskus als meine Heimat empfunden, weil ich dort gelernt habe, den Jasmin zu atmen. Jasmin ist für mich nicht nur ein Parfüm oder ein Duft. Jasmin ist für mich untrennbar mit der Stadt Damaskus und ihrer Geschichte verbunden.  Damaskus ohne Jasmin oder Jasmin ohne Damaskus – das geht für mich nicht. Beides gehört zu mir und zu meiner Geschichte. Ich habe Damaskus verlassen, weil sie mich vertrieben hat. Als die Kinder von Damaskus ihre Freiheit gefordert haben, taten sie das aus tiefer Sehnsucht und mit ihrer Stimme. Aber der Mann, der glaubte, unser Kalif zu sein, konnte seinen Sklaven keine Freiheit erlauben. Er brachte uns nur Tod und Zerstörung mit seinem Schwert und mit seinen Waffen. Die Kinder von Damaskus sahen keinen anderen Weg, als ihre Geschwister zu ermorden. Und der Fluss Barada hat seine Farbe gewechselt. Er färbte sich rot, als unser Blut in den Fluss lief. So wurde Damaskus zu einer trauernden Mutter. Und sie hat ihre Kinder bestraft. Meine Strafe war, dass ich sie verlassen musste. Ich fuhr nach Istanbul und ich fand da meine neue Heimat, die sich wie meine alte Heimat Damaskus anfühlte. Istanbul ähnelt Damaskus, weil das osmanische Reich versuchte, Damaskus nachzuahmen. Seinerzeit kamen viele damaskische Handwerker nach Istanbul. Dort habe ich zwar keinen Jasmin gefunden, dafür aber Tulpen, eine gleiche Kultur und gleiche Gedanken. Meine neue Heimat – das sind jetzt meine Freunde Seit zwei Jahren lebe ich nun in Hamburg und noch vor kurzer Zeit habe ich Damaskus so sehr

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Liberalismus und die arabische Länder

Liberalismus in der arabischen Welt

Gegen die Werte der syrischen Gesellschaft In der letzten Rede vom syrischen Machthaber Al-Assad, die er während seiner Teilnahme an der erweiterten regelmäßigen Sitzung des Ministeriums für religiöse Angelegenheiten in der Al-Othman-Moschee am 7. Dezember gehalten hat, erklärte Al-Assad den modernen Liberalismus zum Feind der Gesellschaft. Er sagte, der Liberalismus habe den Terror unterstützt und er sei gegen den Glauben und die Religion. Al-Assad unterschied dabei zwischen dem Liberalismus und dem modernen Liberalismus. Der erste sei okay, aber der zweite sei gegen die Werte der syrischen Gesellschaft. Zum Beispiel, weil er für die Ehe für alle ist oder weil er den Fokus auf die einzelne Person legt, nicht auf die Familie. Das ist interessant, weil Al-Assad in London studierte und als der “moderne Präsident” erwartet wurde, als er 2000 die Macht übernommen hat. Aber heute kritisiert er den modernen Liberalismus und auch die westlichen Werte vor den syrischen Imamen. Die Frage ist, warum Al-Assad jetzt den modernen Liberalismus als Feind präsentiert? Meine Meinung ist, dass er diese neue Position nicht nur eingenommen hat, weil er jetzt mit Russland und dem Iran befreundet ist (und auch von ihnen abhängig ist), welche beide gegen diese Werte einstehen, sondern auch weil viele junge und oppositionelle Syrer*innen jetzt im Exil leben und für die Freiheit aufrufen. Sie rufen nicht nur gegen die Diktatur auf, sondern auch für die Freiheit für alle, auch für die von Minderheiten wie schwulen und lesbischen Menschen. Al-Assad vermischt mit Absicht unterschiedliche Begriffe wie „Islam“, „Terrorismus“, „neuer Liberalismus“, „Säkularität“. Damit drückt er aus, dass eine Gefahr nicht gegen ihn, sondern gegen die Gesellschaft und die Religion besteht. Deswegen bittet Al-Assad um die Hilfe der Imame, um die drei Gefängnisse der Gesellschaft zu erhalten: die Regierung, die Religion und die Traditionen.  Die Geschichte vom Liberalismus in der arabischen Welt In Syrien

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Hussam studierte in Damaskus Politikwissenschaften mit dem Schwerpunkt Internationale Beziehungen. Parallel dazu arbeitete er als schreibender Journalist. Seit 2015 lebt er in Deutschland. Er ist Gründer und Chefredakteur von kohero. „Das Magazin nicht nur mein Traum ist, sondern es macht mich aus. Wir sind eine Brücke zwischen unterschiedlichen Kulturen.“

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