Wer spricht im Klimajournalismus und wem hört er zu?

In den vergangenen Jahren haben Redaktionen Klimateams gebildet, Klima als Rubrik auf der Website platziert, Klimajournalist*innen haben Netzwerke gebildet, Vereine bieten Fortbildungen zu Klimajournalismus an. Doch wie aufrichtig und divers ist die Berichterstattung?

Fotograf*in: Priscilla Du Preez auf Unsplash

Reichlich spät und ziemlich lückenhaft, aber Klima ist angekommen, könnte man sagen.

Die Journalistin Sara Schurmann, die sich seit Jahren intensiv mit der Klimakrise und der Rolle des Journalismus beschäftigt, aber schreibt: „Die Lücke zwischen Berichterstattung und Klimakrise schließt sich nicht. Die Klimakrise eskaliert zusehends und wir kommen nicht hinterher.“ Die journalistische Abbildung der Welt zeige nicht die strukturellen Zusammenhänge. Dabei sei die „journalistische Abbildung der planetaren Krisen […] ein entscheidender Schlüssel zum öffentlichen Bewusstsein und damit zu politischer Verantwortlichkeit. Aber Medien bilden das Ausmaß und die Dringlichkeit nicht angemessen ab.“

Wo sind all die Stimmen?

Ein Problem durchzieht all das: die mangelnde Vielfalt im Klimajournalismus und im Journalismus im Allgemeinen. Wer hat denn überhaupt die Möglichkeiten, Gehör zu finden? Wer wird aufgrund von Herkunft, Geschlecht, Glauben, Körper ausgeschlossen? 

Eine demokratische Gesellschaft soll allen Menschen ermöglichen, ihre Perspektiven einzubringen und mitzugestalten. Voraussetzung dafür ist, dass es Räume gibt, gleiche Chancen zur Beteiligung und Zugänge. Aber spiegelt sich das wider in dem, wer berichtet, wer gefragt wird, was gezeigt wird? 

Der Medienverbund Covering Climate Now schreibt: „Eine vollständige Erzählung der Klimageschichte schließt die Menschen ein, die davon betroffen sind, und die Menschen, die versuchen, das Problem zu lösen […] Eine Berichterstattung, die sich überwiegend auf wohlhabende Gemeinschaften konzentriert und nur weiße Stimmen zu Wort kommen lässt, geht einfach an der Geschichte vorbei.“ Sind bestimmte Stimmen unserer Gesellschaft nicht präsent, fehlen uns ihre Erfahrungen, Ideen und Blickwinkel, die für nachhaltige Veränderungen unverzichtbar sind. 

Eintönigkeit als Sinnbild für Ungleichheiten

Alle Menschen tragen die eigenen Geschichten mit sich und die wirken sich darauf aus, wie ein Thema betrachtet wird, wie recherchiert wird, wer für Interviews angefragt wird, was ausgelassen wird, wie geschrieben wird. Mangelt es an Geschichten, wird auch die Vielfalt der Gesellschaft nicht repräsentiert. Die Wahrnehmung des Publikums der Wirklichkeit verzerrt sich. Gemessen an der Vielfalt der Gesellschaft, bleiben öffentliche Diskurse zwangsweise gleichförmig.

Realitätscheck: Genau das passiert nach wie vor. 

Die internationale Nachrichtenagentur Reuters hat 2021 die nach ihren Kriterien die 1.000 „einflussreichsten“ Klimawissenschaftler*innen aufgelistet. Sie enthält nur fünf Wissenschaftler aus Afrika, die in Ländern des Kontinents forschen. Fünf von 1.000. Die immens ungleiche Verteilung von Ressourcen und Zugängen etwa kann dieses Ungleichgewicht nur teilweise erklären. Denn es gibt sie ja, die Expert*innen: Grob zehn Prozent der Autor*innen des Berichts des Weltklimarats, dem wohl wichtigsten Bericht in der globalen Klimapolitik, sind Bürger*innen afrikanischer Staaten. 

Wessen Geschichten werden erzählt?

In einer Studie zeigte das Netzwerk Neue deutsche Medienmacher*innen, dass sechs Prozent der Chefredakteur*innen der reichweitenstärksten Medien in Deutschland einen Migrationshintergrund hätten. Zwar wünschten sich viele Redaktionen mehr Vielfalt, etwas getan hätten dafür die wenigsten. 

Im Projekt „Wer Macht Meinung“ wiederum haben die Autor*innen knapp 15.000 Artikel untersucht. Im Ergebnis überwogen männliche Journalisten deutlich. Wie sollen weiße Männer im mittleren Alter die postmigrantische, diversifizierte Gesellschaft widerspiegeln oder sich in bestimmte Lebensrealitäten denken?

Im „Media Pluralism Monitor 2022“ für Deutschland des Centre for Media Pluralism and Media Freedom stufen die Autoren den Zugang zu Medien für Minderheiten und Frauen als höchstes Risiko für die Pluralität in Medien ein. Bislang hätten Maßnahmen kaum Auswirkung.

Expert*innen vor Ort

Mangelnde Vielfalt ist kein Problem des Journalismus allein, sondern über Sektoren hinweg und prägt ebenso Wissenschaft, Klima- und Naturschutz und soziale Bewegungen. Diese Ungleichheiten bestimmen, wessen Geschichten erzählt werden und wessen nicht.

Die Wissenschaftsjournalistin Ayesha Tandon der Plattform Carbon Brief hat 2021 Autor*innen der 100 meistzitierten klimawissenschaftlichen Arbeiten analysiert. Das Ergebnis: 90 Prozent waren mit Institutionen aus dem globalen Norden verbunden. Weniger als ein Prozent waren in Afrika ansässige Autor*innen. Letztlich sind diese damit auch in Medien weniger sichtbar. Ihre Sichtweisen, Expertise und Erfahrungen verschwinden an den Rändern der Aufmerksamkeit.

Vielfalt finden per Datenbank

Im Oktober letzten Jahres veröffentlichte Carbon Brief zusammen mit dem Oxford Climate Journalism Network die Global South Climate Database. Dazu schrieben die Macher*innen, dass die Stimmen, die die Klimageschichten erzählen, in den Medien zu homogen seien. Über die Datenbank können Journalist*innen aus aller Welt Klimaexpert*innen aus Asien, Afrika, Lateinamerika und der Karibik sowie dem Pazifik anfragen. Sie ist öffentlich zugänglich und enthält inzwischen über 900 Expert*innen, die mehr als 70 Sprachen sprechen – ihre Handynummern inklusive. Ähnliche Projekte gibt es auch in Deutschland. Der Vielfaltfinder des postmigrantischen Netzwerks bietet eine Datenbank mit Expert*innen verschiedener Disziplinen. 

Journalismus weiterdenken

„Denk doch mal positiv!“ In den meisten Fällen ist das ein leerer Zuspruch, der kaum hilft. Krisen muss man nicht schönreden. Aber man kann sich mit Lösungen befassen, die in der eigenen Handlungsmacht stehen. Das Solutions Journalism Network vergibt zum Beispiel Stipendien an Journalist*innen in den USA, mit unterschiedlichsten Erfahrungen und Backgrounds.

Außerdem organisiert das Netzwerk Trainings im lösungsorientierten Journalismus. Das ist kein naiver Gute-Laune-Journalismus. Vielmehr sind für ihn auch Lösungsversuche berichtenswert. Expert*innen dafür sind oft Menschen aus Gemeinschaften, die bereits unverhältnismäßig unter Ungleichheit leiden.

Wiederum internationale Zusammenschlüsse von Redaktionen, etwa für grenzüberschreitende Recherchen, können dazu beitragen, hervorragende journalistische Arbeit im Ausland hierzulande sichtbarer zu machen. 

Gleichberechtigung 

Nicht zuletzt muss die Klimakrise immer noch als alles durchdringendes Problem erkannt und behandelt werden. Die globale Erderhitzung ist kein rein naturwissenschaftliches Phänomen. Vielmehr offenbart sie den katastrophalen Stand der gesellschaftlichen Beziehungen zur Umwelt.

Dieser Zustand ist eng mit schwerwiegenden Ungerechtigkeiten im Zusammenleben der Menschen verzahnt. Die Klimakrise trifft jene am stärksten, die bereits unter Ungleichheiten leiden und besonders verletzlich sind. Das sind außerdem jene, die am wenigsten zur Krise beigetragen haben. In einer Studie von Oxfam und des Stockholm Environment Institute heißt es, dass die reichsten ein Prozent der Weltbevölkerung doppelt so viele CO2-Emissionen verursachen würden wie die ärmste Hälfte der Weltbevölkerung. 

Umso wichtiger ist, dass verschiedene Stimmen Gehör finden. Zusammenhänge und Ungleichheiten transparent gemacht werden. Menschen von ihren Erfahrungen erzählen können und nicht als Schablonen für vorgefertigte Ideen dienen. Die Autorin Kübra Gümüşay schreibt in ihrem Buch „Sprache und Sein“: „[Es] ist die beständige Vielzahl der Perspektiven, die den Unterschied macht. Eine neue Erzählung – die Ausnahme – reicht nicht aus. Wir brauchen zahlreiche Betrachtungen […], die gleichberechtigt nebeneinander stehen.“

Weitere Beiträge zum Schwerpunktthema Klimaaktivismus gibt es hier.

Bildquellen

  • Klimajournalismus: Priscilla du Preez on unsplash
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Merlin recherchiert und schreibt für verschiedene NGOs und Medien. Er studierte in Bremen, Lissabon und Kiel Politik- und Kulturwissenschaft und interdisziplinäre Nachhaltigkeit. Merlin arbeitet zu Themen rund um Gesellschaft, Ungleichheit und Umwelt. (Foto: Lucas Wahl) 

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Kultursensible Psychotherapie – wie geht das?

Themen rund um die mentale Gesundheit sind mittlerweile in vielen Teilen der Gesellschaft angekommen. Auf TikTok in aller Munde, auf Instagram in vielen Infoposts nachzulesen sind Inhalte, die uns zum Nachdenken anregen, zum Reflektieren ermutigen und uns dazu bewegen sollen, in den Austausch zu treten. Dass Achtsamkeit, Empathie und Bedürfniswahrnehmung wichtig für uns selbst und das Miteinander sind, hören wir häufig. Auch, dass Psychotherapie zugänglicher sein sollte und der Platzmangel angegangen werden muss, ist bekannt. Psychotherapie für alle eben. Aber auch 2023 ist es immer noch Fakt, dass das psychotherapeutische Versorgungssystem nicht darauf ausgelegt ist, den hohen Anteil an Menschen mit Migrationshintergrund – statistisch mehr als ein Viertel der deutschen Bevölkerung, Tendenz steigend – zu entlasten. Dabei gibt es Ansätze, die genau das versuchen. Kultursensible Psychotherapie Die sogenannte kultursensible Therapie legt den Fokus darauf, Menschen, die in und mit anderen Kulturen aufgewachsen sind, entsprechend angepasst und offen zu begegnen. Dabei ist es wichtig zu berücksichtigen, dass Personen mit Migrationsgeschichte häufig sowohl andere Traditionen als auch religiöse Überzeugungen mitbringen und von diesen geprägt sind. Auch ein anderer Umgang mit Gesundheit und Krankheit oder sprachliche Barrieren können eine große Rolle spielen. Ziel einer kultursensiblen Therapie ist es, Betroffenen ganzheitlich gerecht zu werden. Das bedeutet, sensibel für die Besonderheiten im Alltag und die Bedürfnisse der Patient*innen zu sein, um die Versorgung zu verbessern oder sie überhaupt erst zu ermöglichen. Interkulturelle, transkulturelle oder kultursensible Therapie sind Schlagwörter, denen Psychologiestudierende, angehende Therapeut*innen und Therapieinteressierte in Artikeln und vereinzelten Vorträgen begegnen – da hört es dann aber schnell wieder auf. Universitäten erhalten zwar Förderungen, um der Forschung in dem Bereich nachzugehen, doch fester Bestandteil der universitären Lehre sind sie immer noch nicht. Werden Themen wie Flucht und Migration doch aufgegriffen, übernehmen dies meist weiße Lehrpersonen, die in ihrer Arbeit selbst rassistische Stereotype reproduzieren und aus ihrer

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Obdachlosigkeit

Wohnungs- und Obdachlosigkeit — ein Überblick

417.000 Menschen …sind wohnungs- oder obdachlos (laut Schätzungen der BAG W, 2020). Nur Menschen in sozialen Noteinrichtungen wurden in die Schätzungen einbezogen. Es fehlen also Menschen, die wohnungslos sind und keine Hilfsangebote aufsuchen. Die realen Zahlen sind also deutlich höher. Ab 2022 will die Regierung die Zahlen in einem Wohnungslosenbericht erfassen. Die Worte „obdach-“ und „wohnungslos“ bedeuten nicht das Gleiche Wohnungslosigkeit ist der übergeordnete Begriff, Obdachlosigkeit ist dagegen eine Art der Wohnungslosigkeit. Zahl der wohnungslosen anerkannten Geflüchteten sinkt Die Zahl liegt bei ca. 161.000 Menschen. (Jahresgesamtzahl). Von 2018 bis 2020 konnte ein Rückgang der Wohnungslosigkeit anerkannter Geflüchteter von 64 Prozent festgestellt werden. Laut BAG W sei dieser Rückgang mit dem Rückgang der aufgenommen Geflüchteten seit 2017 erklärbar. Wohnungslosigkeit, Migration und Rassismus können zusammenhängen Menschen mit Flucht- oder Migrationsgeschichte werden bei der Wohnungssuche diskriminiert – wegen ihres Namens, ihres Aussehen und/oder Staatsangehörigkeit. Außerdem haben sie einen schlechteren Zugang zum Arbeitsmarkt und dadurch schlechtere Chancen auf dem Wohnungsmarkt. Zahl der wohnungslosen Menschen steigt Die Anzahl der Wohnungslosen im Wohnungslosensektor (alle Betroffene exklusive Geflüchtete) ist nach Schätzung der BAG W von 237.000 (2018) auf 256.000 (2020) gestiegen, insgesamt um 8 Prozent. Da viele Hilfsangebote coronabedingt schließen mussten, ist die tatsächlich Zahl der wohnungslosen Menschen vermutlich höher. Anteil wohnungsloser Menschen ohne deutsche Staatsangehörigkeit steigt 2009 hatten 70% der wohungslosen Menschen die deutsche Staatsangehörigkeit. 2018 lag der Anteil bei 36%. Diese Zunahme an wohnungslosen Menschen mit nicht-deutscher Staatsangehörigkeit ist durch die steigenden Zahlen von Geflüchteten bedingt. Männer sind besonders häufig von Wohnungslosigkeit betroffen Laut der Befragung obdachloser, auf der Straße lebender Menschen und wohnungsloser, öffentlich-rechtlich untergebrachter Haushalte in Hamburg waren 2018 1.057 Männer, 251 Frauen und sieben nicht-binäre Menschen wohnungslos. Besonders hoch ist der Anteil obdachloser Menschen aus Osteuropa In Hamburg lag 2018 der größte Anteil obdachloser Menschen mit nicht-deutscher Staatsangehörigkeit mit 62% bei Menschen

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Merlin recherchiert und schreibt für verschiedene NGOs und Medien. Er studierte in Bremen, Lissabon und Kiel Politik- und Kulturwissenschaft und interdisziplinäre Nachhaltigkeit. Merlin arbeitet zu Themen rund um Gesellschaft, Ungleichheit und Umwelt. (Foto: Lucas Wahl) 

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