Als kohero-Redaktionsleiterin Natalia bekannt gab, dass das Fokusthema für die nächsten Wochen „Staatsbürgerschaft“ lauten würde, kam mir sofort mein eigener steiniger Weg zum deutschen Pass in den Sinn. Obwohl ich 1986 in Berlin geboren wurde, konnte ich erst mit Anfang 20 den Reiseausweis für Geflüchtete, den man an seiner blauen Farbe und den zwei schwarzen Streifen in der linken oberen Ecke erkennt, gegen einen bordeauxroten Pass für deutsche Staatsbürger*innen eintauschen. Meine Geschichte mag eine besondere und wahrscheinlich extreme sein, aber es gibt da draußen sehr viele Menschen, die wie meine Familie und ich mit den Hürden und der Bürokratie der Einbürgerung zu kämpfen haben.
Nach der Flucht aus dem Iran: Leben unter falschem Namen in der DDR
Aber fangen wir erstmal damit an, warum meine Eltern gezwungen waren, ihre Heimat hinter sich zu lassen. Mein Vater war im Iran politisch aktiv. Mit 21 Jahren wurde er, wie so viele zu jener Zeit, ins Gefängnis gesteckt, weil er sich gegen den Schah aufgelehnt hatte. Trotz drei Jahren Haft setzte er seine politischen Aktivitäten auch während der Islamischen Revolution fort und arbeitete als Journalist.
Er war Mitglied einer linken Partei, die 1983 verboten wurde, nachdem in den Monaten zuvor bereits Tausende von Anhänger*innen verhaftet worden waren. Mein Vater tauchte ein Jahr lang unter und war weiterhin im Untergrund aktiv, bis die Situation zu gefährlich wurde und er in die ehemalige Sowjetrepublik Aserbaidschan fliehen musste.
Nach einem kurzen Aufenthalt in Baku wurde er von seiner Partei, die inzwischen aus dem Exil heraus agierte, in die DDR geschickt, um mit einer Handvoll anderer für eine linke Zeitung zu arbeiten, die u. a. im Iran heimlich verbreitet wurde. Meine Mutter, die in Moskau russische Philologie studiert hatte, folgte meinem Vater 1985 nach Ost-Berlin, wo ich dann ein Jahr später zur Welt kam. Um die Handelsbeziehungen zum Iran nicht zu gefährden, war die DDR sehr darauf bedacht, die Tatsache, dass sie einigen wenigen Iraner*innen Asyl gewährt hatte, geheim zu halten. Und so erhielten meine Eltern und ich Decknamen und aus einer iranischen Familie wurde auf dem Papier eine pakistanische.
Der Name als Stolperstein
Kurz vor dem Fall der Mauer wurden endlich wieder unsere richtigen Namen in unsere DDR-Pässe für politische Immigrant*innen eingetragen. Die Rückgängigmachung der Namensänderung, speziell in meinem Fall, sollte später für meine ganze Familie zum Stolperstein bei der Einbürgerung werden. Nach der Wiedervereinigung stellten meine Eltern bei der Ausländerbehörde in West-Berlin einen Asylantrag, weil unsere bisherigen Pässe dabei waren, ihre Gültigkeit zu verlieren.
Sie engagierten eine Anwältin, die die Ausländerbehörde darüber informierte, dass die DDR und die BRD unmittelbar vor der deutschen Einheit ein Abkommen unterzeichnet hatten, das die BRD dazu verpflichtete, alle politischen Immigrant*innen der DDR als Geflüchtete anzuerkennen. Durch das Schreiben wurde unser Asylantrag rasch bewilligt, und wir erhielten einen Pass für Geflüchtete, zunächst mit befristetem und nach einigen Jahren mit unbefristetem Aufenthalt.
Die Einbürgerung klappte erst im zweiten Anlauf, und das nach vielen Jahren
Ende der 1990er Jahre beantragte meine Mutter die deutsche Staatsangehörigkeit, da sie unheilbar krank war und ein letztes Mal in den Iran reisen wollte. Schon bei der Antragstellung wurden ihr keine Erfolgsaussichten eingeräumt, da unsere Familie auf Sozialhilfe angewiesen war und mein Vater als Studierender BAföG bezog.
Kurz nach ihrem Tod versuchten wir es 2002 erneut mit einem Einbürgerungsantrag. Dies war vor allem für meinen Vater wichtig, damit wir die Verwandten meiner Mutter im Iran besuchen konnten. Nun nahm das Drama seinen Lauf, das erst nach fünf Jahren enden sollte. Immerhin lag es diesmal nicht an unserer wirtschaftlichen Situation, denn mein Vater arbeitete jetzt als Architekt. Der Grund, warum wir als Familie so lange auf die Bewilligung warten mussten, war, dass in meiner Geburtsurkunde und in meinem Ausweis zwei verschiedene Namen angegeben waren.
Und obwohl das nur mich betraf, mussten mein Vater und sogar meine vier Jahre jüngere Schwester, die immer ihren richtigen Namen trug, genauso lange wie ich auf ihre deutschen Pässe warten. Die Sachbearbeiterin bestand auf die Vorlage einer Geburtsurkunde mit dem Namen Ajda Omrani, aber ein solches Schriftstück existierte nicht.
Ein Brief meiner Kindergartenleiterin, die über unsere Decknamen in der DDR-Zeit Bescheid wusste, half nicht weiter, genauso wenig wie diverse Schreiben unseres Anwalts. Irgendwann wurde dann sogar die Vaterschaft meines Papas angezweifelt, was wir nicht einfach durch einen Bluttest widerlegen durften. Wir konnten erst aufatmen, als die Gauck-Behörde meinem Vater Einsicht in unsere Stasi-Akte gewährte. Durch Auszüge aus der Akte ließ sich nämlich endlich unsere Identität feststellen.
Die Vorteile der deutschen Staatsbürgerschaft
Ich erinnere mich noch gut an die Überreichung der Einbürgerungsurkunde und daran, wie unsere Sachbearbeiterin wissen wollte, wie ich mich fühle. Wahrscheinlich erwartete sie einen Freudentanz, aber das ganze Verfahren war so zermürbend, dass ich leider nur ein müdes Lächeln aufbringen konnte. Der Ärger verflog jedoch recht schnell und es dauerte nicht lange, bis ich meinen deutschen Pass immer mehr zu schätzen wusste.
Reisen ist beispielsweise deutlich angenehmer geworden. Während Grenzkontrollen früher jede Menge Zeit in Anspruch nahmen, ist dies mit dem deutschen Pass nicht mehr der Fall. Außerdem belegt der deutsche Pass im Global Passport Ranking von Henley & Partners aktuell den geteilten dritten Rang mit Spanien und gilt damit als einer der mächtigsten Pässe der Welt. Der deutsche Reisepass ermöglicht die visafreie Einreise in 191 Länder.
Neben dem Reisen ist die Begeisterung für politische Themen eine weitere Leidenschaft von mir. Es bedeutet mir sehr viel, dass ich, seitdem ich die deutsche Staatsangehörigkeit besitze, das Recht habe, bei Wahlen auf europäischer, Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene sowie bei Volksentscheiden abzustimmen und über die politische Ausrichtung mitzuentscheiden. Ich habe noch nie eine Wahl verpasst und betrachte es als ein Privileg, daran teilnehmen zu können, denn es gibt unzählige Menschen auf der Welt, die sich nach freien, gleichen und geheimen Wahlen sehnen. Theoretisch könnte ich sogar selbst für ein politisches Amt kandidieren oder eine Beamtenlaufbahn im öffentlichen Dienst einschlagen, wenn ich wollte.
Abgesehen von den genannten Vorteilen sorgt die deutsche Staatsbürgerschaft aber auch für ein Gefühl der Zugehörigkeit zur hiesigen Gesellschaft. Um die Identifikation mit den deutschen Werten zu stärken und die Integrationsbemühungen der Menschen zu honorieren, halte ich den Vorschlag der Ampelkoalition, die Einbürgerung nicht erst nach acht Jahren, sondern bereits nach fünf Jahren und bei besonderen Integrationsleistungen sogar schon nach drei Jahren zu ermöglichen, für richtig und längst überfällig.
Fachkräftemangel macht erleichterte Zuwanderung und Einbürgerung dringend notwendig
Darüber hinaus müssen die hohen Hürden der Zuwanderung abgebaut werden, woran die Ampelkoalition derzeit ebenfalls arbeitet, um die Leistungsfähigkeit Deutschlands und den Wohlstand im Land zu sichern. Aufgrund des demografischen Wandels und des akuten Fachkräftemangels ist Zuwanderung dringend notwendig. Ohne Gegenmaßnahmen könnte Deutschland bis 2035 ein Arbeitskräftedefizit von sieben Millionen Menschen drohen, so das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, weil deutlich mehr Menschen in den Ruhestand gehen als in den Arbeitsmarkt eintreten werden. An Einwanderung führt also kein Weg vorbei, schließlich müssen all diese Renten irgendwie finanziert werden.
Deutschland ist bereits eine multikulturelle Gesellschaft, und wenn jetzt noch mehr Menschen aus dem Ausland hinzukommen, sollte sichergestellt werden, dass sie sich als Teil dieses Landes fühlen, und dazu gehört aus meiner Sicht auch ein schnellerer Zugang zur deutschen Staatsbürgerschaft, um so einen Anreiz für Integration zu schaffen. Außerdem wäre dies demokratiefördernd, wenn man bedenkt, dass dem ZDF zufolge 9,7 Millionen Erwachsene von der Bundestagswahl 2021 ausgeschlossen waren, weil sie nicht die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen. Kein Wunder, wenn sich unter diesen Menschen das Gefühl breit macht, von der Politik nicht repräsentiert zu werden.
Laut dem Statistischen Bundesamt lag das ausgeschöpfte Einbürgerungspotenzial im Jahr 2021 gerade einmal bei 2,45 %. Bei diesem Wert wird die Anzahl der Einbürgerungen mit der Zahl der Ausländer*innen, die seit mindestens 10 Jahren in Deutschland wohnen, ins Verhältnis gesetzt. Es ist nachvollziehbar, wenn EU-Bürger*innen keinen Grund sehen, sich einbürgern zu lassen, aber bei den anderen stehen die hohen Hürden, die Einbürgerungsgebühr und die Aufgabe der bisherigen Staatsbürgerschaft im Weg.
Doppelte Staatsbürgerschaft und enge Verbundenheit mit Deutschland schließen sich nicht aus
Dass die Ampelkoalition den letzten Punkt angehen will, wird viele Migrant*innen erfreuen. Ich selbst habe die doppelte Staatsbürgerschaft. Obwohl ich mich mit der Islamischen Republik Iran, also mit dem derzeitigen Regime, überhaupt nicht identifizieren kann, spiegeln diese beiden Pässe eine Realität wider, nämlich mit zwei Kulturen aufgewachsen zu sein, was ich als absolute Bereicherung empfinde. Dabei steht meine iranische Kultur keineswegs im Widerspruch zu meinem tiefsten Respekt vor der freiheitlich-demokratischen Grundordnung in Deutschland.
Wenn sich die Opposition in Gestalt von CDU/CSU und AFD gegen den erleichterten Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit ausspricht und befürchtet, der deutsche Pass werde verramscht, wird der Eindruck erweckt, die deutsche Kultur sei etwas Heiliges, Unantastbares und damit anderen Kulturen überlegen. Dabei wird übersehen, dass sich Deutschsein gewandelt hat.
Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes hat inzwischen mehr als ein Viertel der in Deutschland lebenden Menschen einen Migrationshintergrund. Dem sollte mit einem modernen Staatsangehörigkeits- und Einwanderungsrecht Rechnung getragen werden. Um als Wirtschaftsstandort attraktiv zu sein, muss man mit der Zeit gehen. Vielleicht hat die Opposition aber auch nur Angst vor dem enormen Wählerpotenzial, das dadurch freigesetzt würde. Angesichts der Ressentiments von CDU/CSU und AFD werden diese Menschen vielleicht nicht unbedingt gewillt sein, für diese beiden Parteien zu stimmen.
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