Ein Reminder nach Mord in Brokstedt: Herkunft ≠ Gewaltbereitschaft

Am Mittwoch attackiert ein Mann mehrere Personen in einem Zug kurz vor Brokstedt, Schleswig-Holstein. Zwei junge Menschen sterben. Doch worüber Gesellschaft und Medien sprechen, ist die Herkunft des Täters. Warum das problematisch ist und welche Fragen eher gestellt werden müssen, schreibt Natalia in der aktuellen kohero_kolumne

Fotograf*in: pixabay

Am Mittwochnachmittag, den 25.1.23, sticht ein Mann in einem Regionalzug von Kiel nach Hamburg mit einem Messer auf andere Fahrgäst*innen ein. Eine 17-Jährige und ein 19-Jähriger sterben noch vor Ort, fünf weitere Menschen werden schwer verletzt, zum Teil lebensgefährlich. Gegen den Täter wurde vom Amtsgericht Itzehoe Haftbefehl erlassen, er kommt nun in die JVA. Das Motiv für die Tat ist noch unklar.  Klar ist dagegen die Herkunft des Täters.

Und weil dieser nicht aus Deutschland kommt, kann man darum wetten, wie schnell eine Twitter-Debatte aufkommt, ob die Herkunft des Täters in der Presse erwähnt werden soll. Gleichzeitig trendete schon #Syrer. Worum man auch wetten kann, ist, dass sich viele Medien diesem Druck beugen. Bei ntv schafft es die Bezeichnung “Palästinenser” an 1. Stelle nach vorne in die Headline, in der Bild in die Unterzeile. NDR und Spiegel erwähnen die Herkunftsbezeichnung erst später im Text. Das fällt fast positiv auf – mir zumindest. 

Falls hier jemand die letzten Debatten dazu verfolgt hat, rate ich zu einem hohen Wetteinsatz. Die immer gleichen Menschen argumentieren auf den immer gleichen rassistischen Quatsch à la “Migrationsproblem”. Ihnen voran AfD-Politiker*innen, die in großen Lettern und mit blutverschmierten Messer-Bildern Abschiebungen fordern. Viel eher sollten sie fragen, warum der Mann vor ein paar Tagen vorzeitig aus der U-Haft entlassen werden durfte, wo er wegen gefährlicher Körperverletzung eingesessen hat. Wie es zu dem psychologischen Gutachten für die Freilassung kam. Nach der Sozialisierung, nach psychischen Erkrankungen? Warum fragt eigentlich niemand nach dem Familienstand des Mannes? Achso… das ist in diesem Fall anscheinend irrelevant. 

Herkunftsnennung bei Straftaten

Genau so unwichtig ist bei dieser Tat übrigens auch die Herkunft des Täters. Die hängt nicht mit der Gewaltbereitschaft einer Person zusammen. Bitte für die nächste Debatte notieren. Denn die kommt ganz sicher, weil tatsächlich besonders häufig bei Straftaten von Menschen mit Migrationsgeschichte über die Herkunft gesprochen, bzw. geschrieben wird. Zusätzlich wurde 2019 im Rahmen einer Langzeitstudie festgellt, dass Medien die Kriminalitätsrate stark verzerren: “Während die Polizei 2018 mehr als doppelt so viele deutsche wie ausländische Tatverdächtige erfasste, kommen in Fernsehberichten mehr als 8 und in Zeitungsberichten mehr als 14 ausländische Tatverdächtige auf einen deutschen Tatverdächtigen”, so ein Bericht des Mediendienstes Integration

Was am Mittwoch passiert ist, ist furchtbar, macht traurig und wütend. Zwei junge Menschen wurden ermordet, fünf weitere teils lebensgefährlich verletzt und zahlreiche Fargäst*innen und Helfer*innen traumatisiert. Doch darum scheint es in den Diskussionen kaum zu gehen. Die Opfer und Hinterbliebenen werden für rassistische Hetze instrumentalisiert. Gleichzeitig wird von einer straffälligen Person auf alle Menschen mit Flucht- oder Migrationsgeschichte geschlossen. Das ist statistisch wie auch menschlich falsch und sogar gefährlich. 

Ein Gedanke von Ferda Ataman zum Schluss für all die, die es noch immer nicht verstanden haben, an alle, die Menschen mit Migrations- und Fluchtgeschichte nach dieser Tat mal wieder prinzipiell kriminalisieren: Vielleicht haben wir als Aufnahmegesellschaft versagt, wenn Diskriminierung, Bürokratie, fehlende Zugänge zu Bildung und Arbeit dazu führen, dass Menschen, die nach Deutschland kommen, eher kriminell werden. Warum fragt eigentlich niemand da mal nach? 

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