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Nicht alle sind willkommen

In Deutschland werden Schutzsuchende aus der Ukraine mit offenen Armen empfangen: Spenden, Unterkünfte, Bahntickets. So richtig und wichtig diese Unterstützung für die Menschen ist, so unabdinglich ist, dass diese Hilfe allen Menschen in Not zukommt – auch den Drittstaatsangehörigen aus der Ukraine und Schutzsuchenden aus Syrien, Afghanistan, Eritrea oder anderen Herkunftsländern.

Fotograf*in: youssef naddam on Unsplash

Aktuell herrscht europaweit eine große Bereitschaft, Geflüchtete aus der Ukraine aufzunehmen und zu unterstützen. Selbst osteuropäische Länder wie Polen und Ungarn, die ansonsten eine extrem restriktive Asylpolitik betreiben, heißen Geflüchtete aus der Ukraine willkommen. Gleichzeitig müssen seit dem vergangenen Sommer tausende Geflüchtete aus anderen Herkunftsländern an der EU-Außengrenze zwischen Polen und Belarus ausharren, nachdem Polen eine 5,50 Meter hohe und 186 Kilometer lange Stahlmauer errichtet hatte.

Mehrere tausend polnische Soldaten wurden entsandt, um die Grenze zu schützen. Hierbei kommt es regelmäßig und systematisch zu massiven Rechtsbrüchen, indem Schutzsuchende aktiv zurückgedrängt und somit davon abgehalten werden, Asyl zu beantragen. Diese sogenannten Pushbacks verstoßen nicht nur gegen Art. 14 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, sondern unter anderem auch gegen die Genfer Flüchtlingskonvention und die EU-Grundrechte-Charta. Doch damit nicht genug: An der Grenze zu Polen starben bereits mehrere Menschen an Unterkühlung oder Erschöpfung. Viele andere wurden zurückgeschickt, beispielsweise in den Irak. Dieser skandalöse Umstand ist Ausdruck einer EU-Asyl- und Migrationspolitik, die eine rigorose Abschottung gegenüber Schutzsuchenden an den EU-Außengrenzen verfolgt.

Dagegen ist die Solidarität der osteuropäischen Nachbarländer mit den Geflüchteten aus der Ukraine überwältigend. Es wird also auf der einen Seite beinahe schulterzuckend hingenommen, dass Menschen versterben; gleichzeitig wird Geflüchteten mit einem ukrainischen Pass ermöglicht, ohne weitere Kontrollen die Grenze zu Polen zu passieren.

Nicht alle Menschen sind willkommen

Auch hierzulande werden Schutzsuchende aus der Ukraine mit offenen Armen empfangen. Freiwillige eilen zum Bahnhof, stellen beinahe euphorisch Zimmer und Wohnungen zur Verfügung, kleiden sich in gelb und blau, sammeln Spenden. Für die Geflüchteten aus der Ukraine waren die Zugfahrten von Anfang an kostenlos, es wurde empfangen und willkommen geheißen, ohne dass Frontex, die Europäische Agentur für die Grenz- und Küstenwache, die ebenfalls wegen Vorwürfen illegaler Zurückweisungen von Schutzsuchenden in der Kritik steht, versucht hat, die Menschen abzuhalten. Von jetzt auf gleich gab es die Zusicherung einer Aufenthaltserlaubnis, Zugang zu Sozialleistungen. Abschlüsse wurden anerkannt, Arbeitserlaubnisse erteilt, eigene Wohnungen zur Verfügung gestellt und vieles mehr.

Schüler:innen aus der Ukraine, die fluchtbedingt nicht an den Abschlussprüfungen teilnehmen konnten, können sich nun sogar für ein Studium bewerben. Und nur zur Klarstellung: Dies gilt nur für Menschen mit einem ukrainischen Pass, nicht für Drittstaatsangehörige, die vor Kriegsbeginn in der Ukraine lebten. Ukrainische Staatsangehörige bekommen in Deutschland vorübergehenden Schutz nach § 24 Aufenthaltsgesetz, inklusive Arbeitserlaubnis und Sozialleistungen. Wer dagegen in der Ukraine gelebt und vor denselben Bomben geflohen ist wie ukrainische Staatsangehörige, aber beispielsweise äthiopischer, türkischer oder nigerianischer Staatsbürger ist, durfte zwar bis zum 31. August vorübergehend in der Bundesrepublik bleiben. Danach endete jedoch für viele Drittstaatsangehörige der Zeitraum, in dem sie sich rechtmäßig ohne Aufenthaltstitel in Deutschland aufhalten konnten. In den allermeisten Fällen wird es daher heißen: Zurück ins Herkunftsland.

Auch die Menschen aus der Ukraine sind also nur dann willkommen, wenn sie einen ukrainischen Pass haben. Und so sehr die Unterstützung für diesen Teil der Geflüchteten auch zu begrüßen ist, so unabdinglich ist zugleich, dass diese Hilfe allen Menschen in Not zukommt – auch den Drittstaatsangehörigen aus der Ukraine und auch den Schutzsuchenden aus Syrien, Afghanistan, Eritrea oder anderen Herkunftsländern. Unsere Solidarität muss allen Menschen gelten, unabhängig von ihrer Hautfarbe, ihrer Religion oder ihrem Bildungsstand.

Nichts anderes als: Rassismus

Die vergangenen Monate wären der perfekte Zeitpunkt gewesen, um endlich zu konstatieren, welche Maßnahmen es auf dem Weg zu einem menschenwürdigen Umgang mit Schutzsuchenden braucht – und zwar auch für solche ohne ukrainischen Pass. Dies wurde nicht lediglich versäumt, vielmehr ist es weder politisch noch gesellschaftlich gewollt. Stattdessen werden Menschen in Not eingeteilt in Geflüchtete erster und zweiter Klasse, in solche, die willkommen sind und solche, die es nicht sind. Und der Grund ist schlicht und einfach: Rassismus.

Der Migrationsrechtler Daniel Thym ist da anderer Ansicht. Gegenüber dem Spiegel sagte er: „Ukrainern bevorzugt zu helfen, ist kein Rassismus.“ Seiner Ansicht nach sei es vielmehr „völlig legal, bestimmte Flüchtlingsgruppen bevorzugt zu behandeln.“

Diese Auffassung mutet befremdlich an, verstößt doch diese Ungleichbehandlung nicht nur gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz des Grundgesetzes, sondern auch gegen die UN-Menschenrechtskonvention und die UN-Konvention zur Abschaffung rassistischer Diskriminierung. Zudem verhöhnt Thyms Aussage all die Geflüchteten aus anderen, nicht-europäischen Herkunftsländern, die in Gemeinschaftsunterkünften untergebracht werden, teilweise seit Jahren auf eine Entscheidung in ihrem Asylverfahren warten oder ständig mit der Angst leben müssen, abgeschoben zu werden.

Gleiches gilt für die Menschen, deren Aufenthalt seit Jahren nur geduldet wird und die trotz enormer Bemühungen keine Arbeitserlaubnis erhalten. Insbesondere gegenüber Geflüchteten aus dem globalem Süden gibt es behördliche Widerstände von allen Seiten – da wird hingehalten, verweigert, erschwert, wo es nur geht. Gleiches gilt in vielen Fällen leider auch für die Justiz.

Nun könnte man meinen, die Situation hätte sich mit der Ankunft der Geflüchteten aus der Ukraine gebessert, schließlich sollte doch jedem Menschen klar sein, dass alle Schutzsuchenden die gleiche Unterstützung bekommen müssen. Leider ist dem nicht so, vielmehr ist das Gegenteil der Fall: In Berlin, Chemnitz und anderen Städten Deutschlands mussten Asylsuchende aus anderen Herkunftsländern ihre Unterkünfte teilweise binnen Stunden räumen, um den ukrainischen Geflüchteten Platz zu machen.

An der Grenze zu Polen wurden dunkelhäutige Geflüchtete schlichtweg abgewiesen. Falls sie es doch über die Grenze und von dort aus nach Deutschland geschafft hatten, wurden sie von der Bundespolizei aus Zügen gezerrt, während die Menschen aus der Ukraine weiterfahren durften.

Kehrtwende in Politik und Gesellschaft

Es ist schon erstaunlich, wie schnell Politik, Gesellschaft und Behörden mit Beginn des Kriegs in der Ukraine auch ihre Einstellung in Bezug auf die russische Föderation geändert haben. So gab es jahrelang keinen Schutz für die Menschen, die beispielsweise aus dem Nordkaukasus geflohen waren – vor genau dem Despoten, der nun dieselben Kriegsverbrechen begeht wie in den beiden Tschetschenienkriegen, nur dieses Mal nicht tausende Kilometer von uns entfernt, sondern mitten in Europa. Damals wurde von Gerichten und Behörden bescheinigt, die russische Föderation sei ein demokratisches, sicheres Herkunftsland, von dem keine Gefahr für Menschen mit tschetschenischer Volkszugehörigkeit ausgehe. Auch die deutsche Bevölkerung war weit entfernt von Unterstützungshandlungen.

Und dies gilt leider bis heute – zwar nicht in Bezug auf die Geflüchteten aus der Ukraine, aber für die Menschen aus dem Nordkaukasus, die auch nach Ende des zweiten Tschetschenienkrieges von Putins Regime gefoltert, entführt oder deren Familienmitglieder getötet werden. Und es gilt auch für all die Menschen aus Syrien, Afghanistan, Eritrea, Somalia oder anderen Ländern. Weil das alles zu weit weg ist? Oder sind uns die Menschen, die vor diesen anderen Kriegen geflohen sind, nur fremder? Weil sie die falsche Religion haben? Weil ihre Leben uns nicht so sehr an unsere eigenen erinnern?

Die rassistische Komponente ist offensichtlich. So lautet der Tenor in der öffentlichen Berichterstattung: Aus einem europäischen Land suchen Menschen Schutz bei uns, die uns ähnlich sind, die gleiche Hautfarbe haben, mit hoher Wahrscheinlichkeit dem christlichen Kulturkreis angehören, die zivilisiert sind und einen hohen Bildungsgrad aufweisen. Diese Menschen sind wie wir. Oder um es mit den Worten der bayerischen Integrationsbeauftragten Gudrun Brendel-Fischer (CSU) zu sagen: „Ukrainischen Geflüchteten muss nicht erklärt werden, wie eine Waschmaschine funktioniert, oder dass auf dem Zimmerboden nicht gekocht werden darf.“

Diese Aussage macht fassungslos und wütend zugleich, zeigt sie doch einmal mehr, wie tief rassistisches Denken noch immer in Politik und Gesellschaft verankert sind.

Die eigene Betroffenheit

Niemals, wir sind doch keine Rassist:innen, werden nun vermutlich viele rufen. Und nehmen wir an, das sei richtig, nehmen wir an, unser Aufwachsen in einer rassistischen Gesellschaft hätte uns nicht geprägt: Liegt die Ungleichbehandlung der Geflüchteten dann womöglich daran, dass andere, weit entfernte Kriege schlicht und einfach nicht an unserem Gefühl von Sicherheit kratzen?  Ist unser Helfen gar nicht so selbstlos, wie wir es uns selbst einzureden versuchen? Handelt es sich vielleicht sogar um ein sehr fragwürdiges Verständnis von Solidarität? Auf Facebook und Instagram, in Talkshows und Zeitungsartikeln zeigen sich immer wieder Menschen beunruhigt darüber, dass nun ein Krieg in Europa (!) ausgebrochen ist.

Und ja, das ist furchtbar, doch nicht furchtbarer als ein Krieg in Afrika, Süd- oder Nordamerika, Asien, Australien oder der Antarktis. Gründet also unsere aktuelle Betroffenheit und daraus folgend auch unsere Solidarität in erster Linie darauf, dass wir Angst um uns selbst haben, um unser Haus, unseren Garten, das neue Auto, um Familie und Freunde, das Haustier?

Zuweilen heißt es, die Situation sei eine andere als 2015, weil aus der Ukraine hauptsächlich Frauen und Kinder nach Deutschland kommen und nicht – wie aus Syrien, Eritrea, Tschetschenien, Somalia, Afghanistan und anderen Herkunftsländern – in erster Linie junge Männer. Und es erstaunt doch sehr, wie heuchlerisch diese Argumentation ist: ICH habe Angst vor Männern mit anderer Hautfarbe oder anderer Religion, deshalb möchte ICH nicht, dass diese Menschen in „unser“ Land kommen. Unabhängig davon, dass dieser Argumentationskette das schlichtweg falsche Narrativ zugrunde liegt, Männer aus anderen Kulturkreisen seien „gefährlicher“ als Deutsche, Schweizer oder EU-Bürger, ist auch dies eine rein egoistische Begründung.

Wir sollten endlich aufhören, uns in den Mittelpunkt zu stellen, und einen Krieg in Afrika ebenso wichtig nehmen wie einen in Europa. Wir sollten davon abrücken, Menschen einzuteilen nach Hautfarbe, Religion, Geschlecht, sondern Solidarität als das verstehen, was sie ist: Das Eintreten füreinander, für alle Menschen auf dieser Welt – unabhängig von unserer eigenen Betroffenheit.

Denn wie schon Camus sagte: „Jedes Mal, wenn ein Mensch in dieser Welt angekettet wird, werden wir mit ihm angekettet. Freiheit muss es für einen jeden geben oder für überhaupt keinen.“ Gleiches muss für die Solidarität gelten. Wir alle sind auf dieser Welt versammelt und diese Welt besteht nicht nur aus Menschen, die aussehen wie wir, die dieselbe Bildung genossen haben, dieselbe Kleidung tragen und denselben Gott anbeten.

Und selbst wenn es uns – aufgrund unserer eigenen Ängste, unserer Sorgen oder unserer tiefsitzenden Vorurteile – nicht gelingt, alle Menschen gleich zu behandeln, sollten wir uns diese Tatsache zumindest bewusst machen, sie thematisieren und uns immer wieder aufs Neue fragen, wie sehr unser Denken und Handeln rassistisch geprägt ist.

 

Der Text stammt von meinem Blog smellslikeriot. Dort schreibe ich in erster Linie über Feminismus, Migration und Literatur.

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Kategorie & Format
Autorengruppe
Berthe ist Volljuristin und Autorin. Als Rechtsanwältin im Asyl-, Aufenthalts- und Strafrecht war sie mehrere Jahre in Berlin tätig. Heute lebt und arbeitet sie in Karlsruhe. Neben literarischen Texten und Romanen schreibt sie journalistische Beiträge über Feminismus und Migration. Ihre beiden großen Leidenschaften – das Schreiben und das gesellschaftspolitische Engagement – haben sie zu kohero gebracht.

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