Im September 22 wurde im Iran eine junge Frau von der Sittenpolizei ermordet, weil sie ihr Kopftuch nicht ordentlich trug. Sie trug den Namen Mahsa Amini, aber richtig hieß sie Zhina. Im September 22 saß ich in Hamburg zu Hause und dachte über diese ganzen 5,5 Jahre nach, die ich in Deutschland damit verbrachte, in Warteräumen der verschiedenen Ämter, Flüchtlingsunterkünfte, Deutschkurse und Ausländerbehörden, um mein Bleiberecht zu kämpfen.
Ich heiße Sorour Keramatboroujeni und in mir wohnt eine 21-jährige Angst. Sie baute auf meinem Herzen ein Spinnennetz. Jedes Mal, wenn ich für die Verlängerung meines Aufenthaltes im Amt bin, wird das Netz eng und wieder locker. Ich kenne dieses Gefühl ganz genau. Jedes Mal, wenn ich auf einer iranischen Straße lief und dieses Gefühl bekam, wusste ich wie jede andere Iranerin, dass ich schnell einen Umweg finden soll. Somit fand mich die Sittenpolizei nie. Ich hatte Glück.
Sobald ich genug Deutsch konnte, fing ich an, über mein Unglück und das Unglück meinesgleichen in diesem Land zu schreiben, aber im September 22 bemerkte ich nach 5,5 Jahren plötzlich mein Glück, nach einer 3-jährigen Duldungszeit 3 Jahre Aufenthalt und deutsches Arbeitsrecht zu genießen und im Februar 23 auf eine Verlängerung zu hoffen.
Das wertvollste Ereignis meines Lebens
Zhina Amini war eine Kurdin, die erst mit dem iranischen Namen Mahsa in der islamischen Republik akzeptiert wurde. Im Iran ist es bekannt, dass viele kurdische Gebiete bei den Bergen sind. Ich war 12 oder 13 Jahre alt, als ich das letzte Mal iranische Berge sah. Das war das wertvollste Ereignis meines Lebens.
Damals heiratete mein Onkel eine Frau aus dem Nachbardorf und wir waren bei ihrer Familie in der Nähe der Berge zu Besuch. Die Frau meines Onkels nahm mich auf einen Ausflug in die Berge mit. Wir gingen zusammen einen langen und harten Weg, bis wir ganz oben waren. Von dort aus konnte man das ganze Dorf und die ganze Landschaft sehen. Der Himmel war schön blau und die Sonne beschenkte unsere Gesichter mit angenehmer Wärme. Plötzlich sagte sie mir, „Du kannst dein Kopftuch ausziehen, wenn du magst.“ Schockiert antwortete ich, „Ich befürchte, jemand könnte uns erwischen“. Sie zog ihr Kopftuch aus und sagte, „Hier ist doch niemand außer uns beiden.“
Ich traute mich, mein Kopftuch auszuziehen. Die Wärme der iranischen Sonne und die Kühle des iranischen Windes spürte ich zum ersten Mal in meinen Haaren. Ich hatte ein neues Gefühl, das ich gar nicht benennen konnte. Ich war oben in den Bergen und meine Haare tanzten wild im Wind.
Ich war frei. Bis zu diesem Moment wusste ich nicht, wie sich Freiheit anfühlt.
Seither kann ich nicht mehr vergessen, wie sich Freiheit anfühlt. Genauso wie ich nie mehr vergessen kann, wie sich Unfreiheit anfühlt, wie Unfreiheit aussieht und wie Unfreiheit riecht. Unfreiheit riecht nach Erdöl und Blut wie die Kleidungen, die die Politiker tragen. Unfreiheit ähnelt dem fragenden Gesicht eines obdachlosen Kindes im Iran, das sich die teuren Häuser anschaut, in denen die Kinder der Politiker leben. Es fragt sich, ob diese Menschen in diesen Häusern mit dem lieben Gott verwandt sind.
Unfreiheit fühlt sich wie die islamische Republik an
Unfreiheit fühlt sich wie die islamische Republik an. Die islamische Republik ist ein kleiner Teich, der so groß wie das iranische Land von Zhina ist. In diesem Teich schwimmen wir im Blut iranischer Töchter, die alle nur mit bestimmten Namen akzeptiert werden, egal wie sie heißen. Jedes Mal, wenn der Führer eine Tochter umbringt, fühlt er sich lebendiger. Seine Politiker saugen das Erdöl aus dem Boden unter dem blutigen Teich heraus und verkaufen es anderen Politikern, die wissen, durch Leichen iranischer Frauen unter dem Teich entsteht noch mehr Erdöl für die ganze Welt.
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