Seit ein paar Wochen treffe ich mich mit einer ukrainischen Journalistin. Wir versuchen gerade, ein neues Projekt für Geflüchtete aus der Ukraine aufzubauen.
In den Gesprächen fand ich heraus, wie ähnlich wir Syrer*innen und die Ukrainer*innen sind, obwohl wir eine andere Hautfarbe haben (Zur Information für Deutsche: Es gibt auch viele weiße Syrer wie einen SPD-Politiker in Schleswig-Holstein). Ich dachte lange, dass ich auch zu den weißen Menschen gehöre, bis ich verstanden habe, dass es nicht unbedingt um die individuelle Farbe der Haut geht, sondern um die europäische Hautfarbe.
Die Ukraine liegt in Europa, Syrien in Asien, laut Google Maps 2.812.7 Kilometer voneinander entfernt. Aber uns verbinden mehr Gemeinsamkeiten als die Deutschen und die Ukrainer*innen. Obwohl sie beide Christen sind, aber unterschiedliche Christen. Die orthodoxe Kirche ist konservativer und näher am Islam als die protestantische Kirche. Was vielleicht ähnlich ist, ist, dass wir beide lange Zeit unter osmanischer Herrschaft lebten und dass für uns beide soziales und religiöses Denken stark ausgeprägt sind.
Wir haben auch festgestellt, dass meine ukrainische Kollegin und ich beide Chaot*innen sind. Das bedeutet nicht, dass alle Menschen aus Syrien und der Ukraine chaotisch sind, nein, ich kenne viele Syrer*innen, die ordentlicher als viele Deutsche sind und ich kenne auch viele Deutsche, die chaotischer sind als ich.
Nein bedeutet nicht unbedingt Nein
Noch eine Gemeinsamkeit: Nein bedeutet nicht unbedingt Nein. Meine ukrainische Kollegin erzählte mir, wie viele ukrainische Menschen ein deutsches Nein nicht einfach akzeptieren, sondern mehrmals versuchen, doch noch ein Ja zu bekommen. Gibt es noch Tickets? – Nein. – Aber vielleicht hast du doch noch eins für mich? – Nein. – Soll ich dafür etwas bezahlen? – Nein, das Ticket ist kostenlos. Sie werden so lange diskutieren, bis sie das Gewünschte bekommen oder keine Lust mehr haben, zu diskutieren. Genauso wie viele Syrer*innen. Das ist nicht nur deshalb so, weil wir lange in einem korrupten System gelebt haben, sondern weil wir gerne handeln, das Handeln genießen.
Das alles hat mir gezeigt, dass viele deutsche Journalist*innen und Politiker*innen enttäuscht sein werden, nicht nur, weil sie langsam merken, dass die Ukrainer*innen keine ähnliche Kultur wie die Deutschen haben, sondern dass sie eine ähnliche Kultur haben wie Geflüchtete aus anderen Kulturen.
Am Ende bleiben wir doch alle Ausländer.
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Ein Gedanke zum Schluss
Wir möchten einen Workshop für ukrainische Geflüchtete anbieten und haben überlegt, dass wir in auf Deutsch und Ukrainisch durchführen wollen. Dann haben wir festgestellt, dass viele Teilnehmende Englisch sprechen und ich habe vorgeschlagen, den Workshop auf Englisch zu machen. Meine ukrainische Kollegin meinte, dass wir in Deutschland sind und deshalb Deutsch sprechen sollen. Danach hat sie mir mit einem Augenzwinkern verraten, dass sie das nur gesagt hat, weil sie nicht so gut Englisch spricht und den Workshop deshalb lieber auf Deutsch und Ukrainisch machen möchte.
Die Situation erinnert mich an mich selbst, weil ich leider auch kein Englisch spreche. Deshalb bitte ich oft Kolleg*innen, die Englisch sprechen, aber auch Deutsch können, Deutsch zu sprechen. Als Grund gebe ich auch an, dass wir Deutsch sprechen sollten, weil wir hier in Deutschland sind. Das passiert auch oft in Behörden, wo schon immer nur Deutsch gesprochen wurde. Die Mitarbeiter*innen dort, die vielleicht kein Englisch oder nicht so gut Englisch sprechen, zwingen alle anderen dazu, Deutsch zu sprechen. Damit sie nicht zugeben müssen, dass ihr Englisch nicht so gut ist und sie damit eine Schwäche zeigen müssten, sagen sie nicht: “Sorry, mein Englisch ist nicht so gut”. Um in der stärkeren Position zu sein, sagen sie stattdessen: “Wir sind hier in Deutschland und sollten deshalb Deutsch sprechen.”
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