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Meine Geschichte mit der Flucht – eine von vielen

Am Internationalen Tag der Geflüchteten erzählt Zouya ihre Geschichte, die vor Jahren begann, aber immer noch passiert. Sie hinterlässt ihre Spuren in Körper und Seele. Sie wird von keiner Handlung oder genauen Details bestimmt. Es ist eher ein Teppich von Gefühlen und Gedanken, den Zouya ausrollt.

Fotograf*in: Angello Lopez. via Unsplash

Ich habe mein Land nicht plötzlich oder unvermittelt verlassen. Es geschah in Etappen. Meine Familie und ich lebten als Vertriebene in verschiedenen Teilen Syriens, bis ein Bleiben unmöglich wurde. Anfang 2014 kamen wir aus Syrien in die Türkei, unsere erste Station auf der Flucht.

Das war das letzte Mal, dass ich das Gesicht meines Landes gesehen und seine Luft eingeatmet habe. Wir hatten nicht den Luxus, dem Land gebührend Lebewohl zu sagen. Wir verließen es zuletzt versteckt und schnell. Das Ziel war sehr bescheiden und schwierig zugleich: nur zu überleben.

Nichts ist wie dieser Schmerz

Die Geflüchteten rennen vor dem Tod davon, der im Heimatland zur größten Wahrscheinlichkeit geworden ist. Sie lassen ihr ganzes Leben hinter sich, während das Unbekannte vor ihnen liegt. Sie fühlen sich vorübergehend und flüchtig und können nur für den gegenwärtigen Moment planen.

Entrissen sind sie aus ihren Tagen, ihren Träumen, ihrem Bett und den Momenten, in denen sie an einer vertrauten Wand lehnten. Doch ihr höchstes Gut haben sie: Sie leben noch.

Sie gehen und fliehen weiter. Hinter ihnen liegt ein ganzes Leben, von dem sie wünschten, sie könnten es in einem Koffer mit sich tragen. Sie sind wie ich, ich bin wie sie.

Ich bin ganz neu hier, ich bin allein

Deine Fluchtreise führt dich in ein neues Land. Es ist wie eine Sicherheitsdecke, es ist ein Privileg aber mehr noch eine existenzielle Herausforderung. Das Land ist neu, die Gesellschaft ist dir fremd. Sprache ist keine Brücke, die man einfach bauen kann, während du die Bitterkeit der Vertreibung und Entfremdung auf den Schultern und tief in der Seele trägst.

Keine Familie und Freunde. Alle wurden über die ganze Welt verstreut, verloren ihre kleinen Gemeinschaften und Kreise auch auf familiärer Ebene.

Videoanrufe sind zu deinem Familientreffen geworden, um Neuigkeiten und Beruhigung auszutauschen, aber ohne die Möglichkeit, Umarmungen und Küsse auszutauschen. Wie willst du deinen Lieben auf diese Weise sagen: Ich bin da.

Können wir aus unserem Schmerz und Leiden einen neuen Anfang machen?

Dir droht der Zusammenbruch, wenn du dich nicht dagegen wehrst. Du bist dieser Baum, der von seinen Wurzeln entwurzelt und vom Tod bedroht ist, wenn er sich nicht beeilt, sich an die neue Erde anzupassen.

Du musst deine Seele vom Schmerz der Entwurzelung, von den Schocks des Krieges heilen und deine Angst überwinden, während du gleichzeitig versuchst, dich an das neue Leben anzupassen und weiterzumachen. Du musst wieder lernen, auf eigenen Beinen zu stehen und ein neues Leben aufzubauen.
Ich sehe dich und ich vertraue darauf, dass du Erfolg haben wirst. Du bist ich. Du bist wir.

Erzähle deine Geschichte der Flucht

Verlust, Isolation und Schweigen ermüden dich und erschöpfen dich. Erzähle deine Geschichte. Teile diese Träne mit mir. Sag, was dich berührt, um frei zu sein.

Ich spreche darüber, um meinen Schmerz und meine Hoffnung zu teilen. Ich sage allen, die die Bitterkeit der Zwangsvertreibung gekostet haben, dass ich sie verstehe, weil ich die gleichen Gefühle erlebte und erlebe. Gemeinsam können wir Schwierigkeiten überwinden und eine Brücke schlagen, die uns die Versöhnung mit dem Leben erleichtert und uns die Möglichkeit gibt, neu anzufangen.

 

Der Artikel entstand im Schreibtandem mit Veronika Schepping.

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Kategorie & Format
Autorengruppe
Ich komme aus Syrien und bin seit etwa fünf Jahren Flüchtling in Deutschland. In meiner Heimat habe ich Anglistik studiert und als Übersetzerin für Arabisch und Englisch gearbeitet. Während meines Aufenthalts in der Türkei als erste Phase meiner Flucht habe ich als Übersetzerin und Dolmetscherin für Organisationen der syrischen Zivilgesellschaft gearbeitet. Mir gefiel die Idee, für kohero zu schreiben, weil es mehr als nur das Schreiben ist, sondern auch eine menschliche Begegnung, durch die man andere Menschen kennenlernen kann. Ich verstehe es als ein Raum des Austauschs und der Bereicherung, der auf Offenheit und Akzeptanz basiert . Ich denke, es gibt viele wichtige Themen, über die man schreiben kann, einschließlich die Themen Integration, Arbeitsmarkt sowie Muttersprache und ihre Bedeutung und wie es verstanden wird. Auch die Muttersprache und ihre Bedeutung ist mir ein wichtiges Thema.

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