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Wie divers ist kohero wirklich?

Chefredakteur Hussam diskutiert mit Redaktionsleiterin Natalia und Podcastleiterin Sarah über die Diversität von kohero. Aus der Community kam die Frage, warum in den Redaktionen nur Deutsche ohne Migrationshintergrund arbeiten würden.

Diskussion bei kohero: Hussam, Sarah und Natalia

Letztens saß ich, Hussam, mit einem Bekannten von mir zusammen. Er hat mich gefragt, warum das Team von kohero nur aus Deutschen ohne  Migrationshintergrund besteht. Es hat mich überrascht, wie unsere Leser*innen uns sehen. Ich frage mich: Stimmt es, dass wir wirklich ausschließlich weiße Deutsche sind? Die Idee von kohero ist doch, dass die Stimmen von Migrant*innen und Menschen mit Fluchtgeschichte gestärkt werden sollen. Es soll nicht über diese Menschen berichtet werden. sondern sie sollen ihre Geschichte selbst erzählen. Hat kohero das Ziel also nicht erreicht?

Darüber habe ich mit Natalia, unserer Online-Redaktionsleitung, und Sarah, unserer Podcastleitung, diskutiert. Was sagt ihr dazu?

 

Natalia: 

Während meiner Journalismus-Ausbildung bin ich über das Schreibtandem zu kohero gekommen. Ich dachte, wenn ich selbst nicht viel zu den Thematiken Flucht und Migration sagen kann, dann kann ich zumindest eine*n Geflüchtete*n mit meinem journalistischen Know-How unterstützen.

Ein Teil meiner Familie ist aus Griechenland nach Deutschland migriert, aber ich kann mich mit dieser Geschichte, den Erfahrungen meiner Großeltern und ihren Sorgen nicht wirklich identifizieren. Das ist jetzt fast 50 Jahre her und zu weit von meinen eigenen Lebenserfahrungen entfernt. Mir ist dieses Migrationserbe dennoch bewusst, weil wir viel Zusammenhalt in der gesamten (sehr großen) Familie haben, gemeinsam griechische Feste feiern und auch meine deutsche Familie väterlicherseits immer interessiert an der griechischen Kultur war und ist. Es erfüllt mich mit Stolz, dass meine Familie in einem damals fremden Land heute glücklich und erfolgreich ist.

Wenn ich mit Menschen über ihre Fluchtgeschichte spreche, kann ich natürlich nicht nachempfinden, was sie während ihrer Flucht oder in einem neuen Land fühlen. Mir ist es also wichtig, diese Menschen beim Erzählen ihrer Geschichte selbst zu Wort kommen zu lassen, sie zu unterstützen und ihnen mit kohero eine Plattform zu bieten. In Gesprächen mit Geflüchteten, die an der Arbeit bei kohero interessiert waren, musste ich feststellen, dass sich diese eine ehrenamtliche Tätigkeit nicht leisten konnten. Dafür müssen wir Medien in Deutschland eine Lösung finden.

„Bin ich empathisch genug? Wie (un-)voreingenommen bin ich?“

Ich frage mich immer wieder, ob ich mit meiner Geschichte die Redaktion eines Magazins, das sich mit Themen wie Flucht und Migration auseinandersetzt, leiten sollte. Die Redaktion, die überwiegend aus weißen Frauen besteht, befasst sich freiwillig und ehrenamtlich mit diesen Themen, ist interessiert und möchte für mehr Repräsentation von Geflüchteten und den Themen Flucht und Migration sorgen. Doch wir sollten uns ständig reflektieren: Bin ich empathisch genug? Weiß ich genug über diese Themen, um kohero und der Community gerecht zu werden? Wie (un-)voreingenommen bin ich bei der Themenauswahl oder bei Einschätzungen zum aktuellen Geschehen? Um diese Fragen wirklich zu beantworten, sollten wir unserer Community nicht nur fertige Beiträge präsentieren, sondern sie schon in frühere Schritte unserer Arbeit einbeziehen.

 

Sarah:

Ich bin seit Juni 2021 bei kohero und leite seitdem die Podcast-Redaktion. Auch ich habe mich gefragt, ob ich in dieser Position die richtige Person bin – denn schließlich bin ich selbst nicht geflohen und auch nicht migriert. Meine Eltern sind vor mehr als 35 Jahren von Pakistan nach Deutschland eingewandert. Sie kamen mit Studentenvisa und konnten bleiben, weil sie hier Arbeit fanden. Somit bin ich in dieser Hinsicht auch privilegiert: Meine Familie wurde nicht aus ihrer Heimat vertrieben, musste nicht in Sammelunterkünften leben und meine Eltern setzten sich dafür ein, dass ich eine gute Bildung genießen konnte.

Die Migrationserfahrung meiner Eltern ist dennoch ein großer Teil meiner Identität. Denn ich bin sehr verbunden mit der pakistanischen Kultur, der Sprache, der Religion. Gleichzeitig wird mir von außen auch immer und immer wieder suggeriert, ich sei anders, weil ich nicht weiß bin. Obwohl ich hier geboren und aufgewachsen bin, fühle ich mich nicht immer als ein Teil der Mehrheitsgesellschaft.

„Unsere Redaktion ist noch lange nicht so vielfältig wie unsere Gesellschaft“

Stimmen von migrantischen oder rassifizierten Menschen sind in der Medienlandschaft stark unterrepräsentiert. Das merke ich selbst. Auch in linken Redaktionen, in denen ich gearbeitet habe, war ich entweder die einzige oder nur einer der wenigen Journalist*innen of Color.
Dies hat strukturelle Gründe, denn Journalismus ist noch immer ein sehr elitäres Berufsfeld, zu dem Vielen der Zugang verwehrt bleibt. Schlecht- oder gar unbezahlte Praktika zu machen oder zu prekären Arbeitsbedingungen tätig zu sein, kann sich nicht jede*r leisten. Natürlich kann sich kohero diesem strukturellen Problem nicht komplett entziehen.  Leider ist es uns nicht möglich, all unsere Autor*innen zu bezahlen. Damit zeigt sich schon das grundlegende Problem: Ehrenamtliche Tätigkeiten können sich nur gewisse Menschen leisten. Diesem Dilemma müssen wir uns als Redaktionsleitung stellen. Denn es bringt nichts, die Dinge schönzureden: Unsere Redaktion ist noch lange nicht so vielfältig wie unsere Gesellschaft.

Auch wenn durch mein Foto auf unserer Autor*innenseite erkennbar ist, dass ich nicht weiß bin, heißt das nicht, dass ich dadurch davon befreit bin, über meine eigenen Privilegien zu reflektieren. Ich muss genauso bedacht, sensibel, empathisch und solidarisch mit Betroffenen sein und möchte ihnen auf Augenhöhe begegnen. Und ich möchte dazu beitragen, Stimmen von Menschen mit Migrations- und Fluchtgeschichte sichtbarer zu machen und ihnen eine Plattform zu bieten, auf der sie ihre Erfahrungen, Geschichten und Gedanken teilen können. Vielleicht kann ich diese nicht immer hundertprozentig  nachempfinden – aber ich kann zuhören. Und lernen.

 

Hussam: 

Viele von unseren Leser*innen kennen meine Geschichte. Als Flüchtling und Journalist aus Syrien versuchte ich, eine Plattform zu gründen, wo wir (Menschen mit Fluchtgeschichte) unsere Geschichte und Meinung veröffentlichen können. Damals trug kohero noch den Namen Flüchtling-Magazin. Es gab zwei Gründe, warum wir unseren Namen verändert haben. Die Themen, über die wir schreiben, sind Migrationsthemen, nicht ausschließlich Fluchtgeschichten. Wir sehen, dass Menschen, die heute Geflüchtete sind, morgen Migrant*innen werden. Viele Menschen mit Fluchtgeschichte interessieren sich auch für Migrationsthemen. Kohero funktioniert nur durch die Arbeit von Ehrenamtlichen und wir versuchen, viele diverse Menschen für kohero zu gewinnen. Aber das ist leider nicht einfach. Wie Sarah gesagt hat, liegt das an strukturellen Problemen, die kohero nicht allein lösen kann.

Das Thema Migration ist eng mit dem Thema Armut verbunden. Laut des Statistischen Bundesamtes: Mikrozensus war 2019 das Armutsrisiko von Menschen mit Migrationshintergrund (27,8%) mehr als doppelt so hoch wie das von Menschen ohne Migrationshintergrund (11,7 %). Deswegen können viele Menschen mit Migrationsgeschichte nicht ehrenamtlich arbeiten. Leider kann kohero für Beiträge nocht nicht bezahlen. Es ist vergleichbar mit großen Medienhäusern, die Praktikant*innen sehr wenig Geld zahlen. Diese jungen Leute brauchen oft eine erste Arbeiterfahrung, sind also durch bestimmte Strukturen im Arbeitsmarkt darauf angewiesen, bekommen aber für ihre Arbeit kaum Geld. Haben sie kein anderes Einkommen, kaum möglich bei einem Vollzeit-Praktikum, oder Unterstützung durch die Eltern, ist das ein ähnliches Problem.

Bei Menschen, die neu angekommen sind, sieht es ein wenig anders aus. Sie haben noch nicht viel Erfahrung mit den Strukturen, in denen ehrenamtliche Arbeit stattfindet, und verstehen ein Ehrenamt als Dank an die Gesellschaft. Dabei helfen die Neuangekommenden zum Beispiel älteren Menschen oder beim Aufräumen nach der Flutkatastrophe. Außerdem haben diese Menschen nach ihrer Flucht noch nicht viel Zeit gehabt, sich mit ihrem neuen Leben und Träumen zu beschäftigen.

„Wir müssen unser Bild von Menschen in Deutschland verändern“

Wenn ich es wieder im Kontext von kohero betrachte, kommt dazu, dass auch nicht viele Menschen mit Fluchtgeschichte am Schreiben interessiert sind oder ihnen das Schreiben in der neuen Sprache schwer fällt. Deswegen gibt es seit Beginn unser Herzprojekt, das Schreibtandem. Im Schreibtandem  verbinden wir eine*n Deutschsprachige*n mit einer oder einem Geflüchtete*n und gemeinsam können sie Geschichten oder Artikel schreiben. Während der Pandemie ist das Projekt etwas kürzer gekommen, da es vom persönlichen Austausch lebt. Im neuen Jahr werden wir dieses Projekt aber wieder aktivieren und nach neuen Tandems suchen.

Eine Sache hat mich übrigens sehr überrascht: Viele von den Menschen, die bei kohero arbeiten, haben einen europäischen oder asiatischen Migrationshintergrund. Und das zeigt mir, dass nicht alle weißen Menschen hier Deutsche ohne Migrationshintergrund sind. Außerdem können wir nach 60 Jahren Einwanderungsgeschichte in Deutschland nicht sagen, dass alle PoC Nicht-Deutsche sind. Was ich meine, ist, dass wir unser Bild von Menschen in Deutschland verändern müssen. Die deutsche Gesellschaft ist sehr vielfältig. Das zeigt auch eine weitere Angabe des Statistischen Bundesamtes, nach der 2020 26,7% aller Menschen in Deutschland einen Migrationshintergrund hatten.

 

Wir fassen zusammen:

Wir als Chefredakteur, Online- sowie Podcast-Redaktionsleitung wissen, dass unser Team nicht so vielfältig ist, wie es für die Repräsentation Geflüchteter sein sollte. Anders als große deutsche Medien, „Wir kennen das Problem, haben aber keine Finanzierung dafür übrig“, wollen wir es aber nicht bei Ausreden belassen oder uns darauf ausruhen.

Wir sagen: Kohero lebt von Geschichten von Menschen mit Migrations- oder Fluchterfahrung. Wir versuchen, neue Idee zu entwickeln, damit wir zukünftig mehr Menschen mit Migrationsgeschichte gewinnen. Wie werden etwa unterschiedliche Formate produzieren, um die verschiedenen Communities von Migrant*innen zu erreichen und gemeinsam zu arbeiten. Außerdem werden wir uns stärker auf das Schreibtandem fokussieren. Wir wollen mehr Menschen mit Fluchtgeschichte dafür gewinnen und ihre Meinung und Geschichte veröffentlichen. Dazu kommt, dass wir versuchen, unsere Autor*innen durch Spenden zu bezahlen, damit sie regelmäßig für kohero schreiben können.

Wir werden mehr mit lokalen Organisationen und Initiativen arbeiten und suchen Kooperation mit Initiativen, die mit Menschen mit Migrations- oder Fluchterfahrung Kontakt haben. Wir wollen in Workshops zusammenarbeiten, den Communities etwas bieten und den Menschen die Möglichkeit geben, sich bei kohero auszuprobieren.

Weil wir mit Ehrenamtlichen arbeiten, suchen wir Menschen, die Zeit und Lust haben, mit uns neue Sache zu probieren und zu lernen. Für die Mitarbeit braucht man keine Erfahrung, denn die sammelt man gemeinsam mit den Kolleginnen und Kollegen mit der Zeit. Wir arbeiten unter dem Ansatz, voneinander zu lernen und sich auszutauschen. Deshalb planen wir auch interne Workshops wie auch für externe Autor*innen, damit sich sich im Bereich Journalismus weiterentwickeln können. In diesem Jahr konnten wir außerdem drei Praktikantinnen die Möglichkeit bieten, Erfahrung im Bereich Medien und Journalismus zu sammeln. Das wollen wir auch zukünftig.

Geschichten erzählen, Perspektiven aufzeigen und einen Dialog schaffen

Für das neue Jahr haben wir uns vorgenommen, mehr aktuelle Nachrichten zu den Themen Flucht und Migration sowie Artikel in Einfacher Sprache zu veröffentlichen. Wir haben bemerkt, dass wir den Menschen, die neu in Deutschland angekommen sind, damit entgegenkommen können. Auch Artikel in anderen Sprachen, dieses Jahr haben wir bereits einige auf Englisch veröffentlicht, könnten eine Möglichkeit sein. Wir wollen auch Menschen, die sich im europäischen Raum für die Themen Fluch, Migration und Zusammenhalt interessieren, erreichen und dafür auch solche Geschichten und Perspektiven veröffentlichen. Schlussendlich ist unser Ziel, dass kohero eine Plattform für die eigene Geschichte, auch ohne Sprachkenntnisse und journalistische Erfahrung wird.

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Freiwilligendienst für Geflüchtete – Gemeinsam in Deutschland arbeiten.

Heute wollen wir euch den BFD vorstellen. Die Abkürzung steht für Bundes-Freiwilligen-Dienst. Hier helfen Menschen in sozialen Einrichtungen mit, wie z.B. Kindergärten, Schulen, Altenpflege sowie Institutionen für Menschen mit Behinderung und natürlich auch Organisationen der Flüchtlingshilfe. Das könnte für Einige unter euch vielleicht interessant sein.

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Hussam studierte in Damaskus Politikwissenschaften mit dem Schwerpunkt Internationale Beziehungen. Parallel dazu arbeitete er als schreibender Journalist. Seit 2015 lebt er in Deutschland. Er ist Gründer und Chefredakteur von kohero. „Das Magazin nicht nur mein Traum ist, sondern es macht mich aus. Wir sind eine Brücke zwischen unterschiedlichen Kulturen.“
Natalia ist in den Bereichen (Mode-)Journalismus und Medienkommunikation ausgebildet und hat einen Bachelor in Management und Kommunikation. Derzeit studiert sie Digitalen Journalismus im Master. Besonders gerne schreibt sie über (und mit!) Menschen, erzählt deren Lebensgeschichten und kommentiert gesellschaftliche Themen. Sie leitet die Redaktion und das Schreibtandem von kohero. „Ich arbeite bei kohero, weil ich es wichtig finde, dass die Geschichten von Geflüchteten erzählt werden – für mehr Toleranz und ein Miteinander auf Augenhöhe.“     (Bild: Tim Hoppe, HMS)
Sarah Zaheer
Sarah leitet bei kohero die Podcast-Redaktion. Sie koordiniert unsere Schwerpunkt-Redaktion „zu.flucht“ und ist gemeinsam mit ihrer Schwester Maya beim „curry on!“ Podcast zu hören. Sie kommt aus Berlin, lebt aber schon seit einigen Jahren in Hamburg und studiert hier Journalistik und Kommunikationswissenschaft. Nebenbei arbeitet sie als freie Journalistin für Print und Hörfunk. „Ich finde es sehr wichtig, dass beim kohero Magazin Menschen zu Wort kommen, die in der Medienlandschaft sonst leider strukturell unterrepräsentiert sind. Ich möchte dazu beizutragen, diese Perspektiven sichtbar zu machen!“

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