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70 Jahre Genfer Flüchtlingskonvention – und jetzt?

Seit dem Ende des 19. Jahrhunderts sind weltweit Millionen von Menschen auf der Flucht. Und die Tendenz ist weiter steigend, denn außer den bekannten Fluchtgründen kommt zunehmend auch der Klimawandel hinzu: Menschen können nicht mehr genügend Wasser und Nahrungsmittel in ihren Heimatregionen finden und müssen diese daher verlassen. Vor 70 Jahren wurde die Genfer Flüchtlingskonvention verabschiedet, die grundlegenden Rechte und Pflichten von Gefüchteten regelt.

Flüchtlingscamp, Genfer Flüchtlingskonvention

Nach dem ersten Weltkrieg 1918 gab es über 13 Millionen Geflüchtete in Europa. Nach dem zweiten Weltkrieg flohen 175 Millionen Menschen auf der Welt (rund 8% der Weltbevölkerung). Ende 2020 lag die Zahl der Menschen, die aufgrund von Verfolgung, Konflikten, Gewalt und Menschenrechtsverletzungen auf der ganzen Welt auf der Flucht waren, bei 82,4 Millionen (4% mehr als in 2019). Und die Tendenz steigend.

 

„Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge“ vom 28.7.1951 – ein Abkommen zur Regelung der Situation von Geflüchteten weltweit

 

Schon 1864 gab es Bemühungen, Geflüchtete und Menschen in Kriegen besser zu schützen. Damals arbeitet das Internationale Roten Kreuz einen Vertrag aus, den in Genf zwölf Staaten unterschrieben. Aber erst nach dem zweiten Weltkrieg wurde es der Staatengemeinschaft bewusst, dass Geflüchtete weltweit besonders geschützt und ihre Rechtslage auf internationaler und völkerrechtlicher Grundlage verbessert werden musste. Aus diesem Grunde wurde am 28.7.1951 nach langen Vorarbeiten in einer UN Sonderkonferenz in Genf das „Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge“ (Genfer Flüchtlingskonvention – GFK) verabschiedet.

Dieses Abkommen ist das erste universell geltende Abkommen, das die grundlegenden Rechte und Pflichten von Geflüchteten festlegt. Sie erhalten somit soziale und wirtschaftliche Rechte und Staaten dürfen sie nicht mehr in ihre Fluchtländer zurückschicken. Es wurde aber kein Recht AUF Asyl geschaffen sondern das Recht IM Asyl festgelegt. Auch Binnenvertriebene wurden nicht erfasst. 1951 galt die GFK nur für Europäische Flüchtlinge nach dem Zweiten Weltkrieg. Später wurde sie mit dem Zusatzprotokoll von 1967 zeitlich und geografisch erweitert.

Dennoch halten sich noch vier der 149 Staaten, die der Konvention und/oder dem Protokoll beigetreten sind (Kongo, Madagaskar, Monaco und die Türkei) weiterhin an die ursprüngliche Auslegung. Demnach können nur Bürger eines europäischen Staates einen Flüchtlingsstatus bekommen. So kann die Türkei beispielsweise Syrern den Flüchtlingsschutz verweigern.

Die meisten europäischen Staaten sind bereits in den 50er Jahren der Genfer Flüchtlingskonvention beigetreten. Aber sie wenden den Flüchtlingsschutz sehr unterschiedlich an. So bekamen in Österreich 2015 fast 60% aller Antragsteller*innen Flüchtlingsschutz nach der Genfer Flüchtlingskonvention, in Italien dagegen nur 5% Prozent.

 

Umsetzung der Genfer Flüchtlingskonvention durch die UNHCR

 

Umgesetzt wird die GFK durch den UNHCR („United Nations High Commissioner for Refugees“). Der Hohe Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen schützt und unterstützt Geflüchtete überall auf der Welt. Das Abkommen legt ausdrücklich fest, dass der UNHCR die Verantwortung über die Aufsicht der Einhaltung der Konvention innehat. Er überwacht und unterstützt die Staaten bei der Einhaltung der Normen und Regeln, die die Basis des globalen Flüchtlingswesens bilden. Er ist die führende Organisation für den Schutz von Menschen auf der ganzen Welt, die innerhalb des Landes, in dem sie leben, auf der Flucht vor Konflikten sind (Binnenvertriebene).

Dazu zählt auch die Verwaltung von Unterkünften und Flüchtlingscamps für Binnenvertriebene. Für Staaten, die entweder die Genfer Flüchtlingskonvention nicht unterzeichnet haben oder kein eigenes faires und effizientes Asylrecht haben, übernimmt der UNHCR diese Verantwortung.

Das Mandat des UNHCR umfasst:

  • Die Zusammenarbeit mit Staaten, um sicherzustellen, dass Flüchtlinge Zugang zu Schutz vor Verfolgung erhalten.
  • Die Sorge dafür, dass Flüchtlinge Zugang zu einer Reihe dauerhafter Lösungen haben: (1) die freiwillige Rückkehr in ihr Herkunftsland, (2) die Integration im Aufnahmeland und (3) die Neuansiedlung in einem Drittland (Resettlement).

Zu den Staaten, die die GFK nicht unterzeichnet haben gehören u.a. fast alle arabischen Staaten, Indien, Nepal, Myanmar, Thailand. Aber auch diese Staaten sind aufgrund des Völkergewohnheitsrechts verpflichtet, in Übereinstimmung mit dem UNHCR, Menschen nicht in einen Verfolgerstaat zurückzuweisen oder abzuschieben.

 

Wer ist Flüchtling nach der GFK und welche Rechte hat er oder sie?

 

Artikel 1 A der Genfer Flüchtlingskonvention definiert einen Flüchtling als Person, die „… aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Überzeugung sich außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzt, und den Schutz dieses Landes nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Befürchtungen nicht in Anspruch nehmen will.“

Das Abkommen regelt, welchen rechtlichen Schutz ein Flüchtling von einem Unterzeichner der Konvention hat. Somit hat ein Flüchtling unter anderem ein Recht auf

  • Schutz vor Diskriminierung aufgrund von Rasse, Religion oder des Herkunftslandes (Artikel 3),
  • Religionsfreiheit (Artikel 4),
  • Gleichbehandlung gegenüber anderen Ausländern (Artikel 7, Nr. 1),
  • Zugang zu den Gerichten (Artikel 16),
  • Arbeit (Art. 17 und 19),
  • Wohnraum (Art. 21),
  • Bildung (Art. 22),
  • öffentliche Hilfe und Unterstützung (Art. 23),
  • Bewegungsfreiheit innerhalb eines Gebietes (Art. 26),
  • die Ausstellung von Identitäts- und Reisedokumenten (Art. 27 und 28),
  • Straffreiheit in Bezug auf die illegale Einreise bei unmittelbarer Einreise aus dem Fluchtland und sofortiger Meldung bei den Behörden (Artikel 31, Abs. 1),
  • Ausweisungsschutz (Artikel 33). Dahinter verbirgt sich das Verbot der Zurückweisung in ein Land, in dem der Flüchtling Verfolgung fürchten muss (Non-Refoulement-Prinzip), und
  • nicht ausgewiesen zu werden, außer unter bestimmten, streng definierten Bedingungen (Art. 32), beispielsweise erhalten Kriegsverbrecher keinen Schutz.

Neben den Rechten sind in der Genfer Flüchtlingskonvention auch Pflichten des Flüchtlings festgelegt:

  • Die Gesetze und Bestimmungen des Asyllandes hat der Flüchtling zu respektieren (Artikel 2).
  • Jede Person hat individuell nachzuweisen, dass ihre Furcht vor Verfolgung begründet ist.

 

Ist die Genfer Flüchtlingskonvention noch aktuell? Kritikpunkte

 

Eine große Schwäche der GFK liegt in ihrer einschränkenden Definition eines Flüchtlings (siehe oben). Menschen, die aufgrund von Kriegsereignissen oder aufgrund von Klimaveränderungen flüchten, fallen nicht unter diese Gruppe, ebenso Opfer von unterschiedslosen Massenvernichtungswaffen wie Giftgas, biologischen oder nuklearen Waffen, aber auch Fassbomben. Der Flüchtlingsstatus der Konvention setzt Diskriminierung voraus. Auch wo unterschiedslos getötet wird, greift die Konvention nicht. Hierfür hat die EU aber beispielsweise den subsidiären Schutzstatus geschaffen.

In der EU unterwandern die Dublin Abkommen mit ihren Drittstaatsregelungen und die einzelstaatlichen Asylgesetzte das Non-Refoulement, indem sie die Grenzen in Drittstaaten verschieben. Damit verhindern sie, dass Geflüchtete in den Aufnahmeländern überhaupt einen Asylanspruch geltend machen können. Die Verantwortung für Asyl verlagert sich damit an die EU Außengrenzen. Immer weniger Menschen schaffen es, in einem EU-Land einen Antrag auf Asyl zu stellen.

Ein Kernprinzip der Konvention ist das Verbot, eine*n Geflüchtete*n in ein Land zurückzuweisen, in dem er oder sie Verfolgung fürchten muss. Das scheint aber aktuell in der EU teilweise verletzt zu werden. Beispielsweise durch Push-Backs an den EU Außengrenzen und auf dem Mittelmeer, den EU-Türkei-Deal, die Unterstützung und Ausbildung der libyschen »Küstenwache« oder den geplanten »New Pact on Migration and Asylum«, der in Grenzverfahren auf die Zurückweisung der Schutzsuchenden in die Transitstaaten zielt. Dänemark plant, Asylanträge faktisch nicht mehr möglich zu machen. Auch die britischen Asylgesetze sollen verschärft werden.

Schutzsuchenden darf ihr durch die Genfer Flüchtlingskonvention festgeschriebenes Recht, einen Asylantrag zu stellen, nicht verweigert werden. Es darf keine weitere Unterwanderung der GFK geben!

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Autorengruppe
Andere Kulturen und Menschen haben Angelika schon immer interessiert. Sie ist viel gereist und hat im Ausland gelebt. Als Rechtsanwältin ist sie auf Asyl- und Ausländerrecht spezialisiert. 2017 hat sie das Flüchtling-Magazin mit gegründet und ist seitdem für die Finanzierung und alle rechtlichen Aspekte zuständig. Bei kohero beantwortet sie die rechtlichen Fragen aus unserer Community. „kohero ist ein großartiges Medium für Geflüchtete und für Deutsche, um sich besser kennen zu lernen und die jeweils andere Kultur zu verstehen.“

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