Zu den Ursachen der jüngsten Gewalteskalation zählen die Drohungen, 28 palästinensische Familien aus ihren Häusern in „Sheikh Jarrah“ in Ostjerusalem zu vertreiben. Es ist ein palästinensisches Viertel außerhalb der Mauern der Altstadt. Außerdem gibt es dort Grundstücke, die von Gruppen jüdischer Siedler*innen beansprucht werden, die vor israelischen Gerichten in unterschiedlichen Fällen verhandelt werden.
Mitten im muslimischen Fastenmonat Ramadan hatten die israelischen Sicherheitskräfte das Damaskustor vor den Palästinenser*innen abgeschlossen. Das Tor führt in das muslimische Viertel der Altstadt Jerusalems. Jährlich versammeln sich dort Palästinenser*innen nach dem Fastenbrechen während des Ramadans. Nach tagelangen Protesten entfernte Israel die Absperrung.
Aufgrund dieser Situation haben viele Palästinenser*innen protestiert. Hunderte Pali-Israelis sind aus anderen Städten in Israel nach Jerusalem marschiert, um sich mit den Bewohner*innen des Sheikh Jarrah Viertels zu solidarisieren. Das führte später zu Gewalt zwischen den Sicherheitskräften und den Demonstrant*innen.
Über Social Media erreichen uns viele Bilder bzw. Videos, die zeigen, wie palästinensische Zivilist*innen unter der Gewalt der israelischen Sicherheitskräfte leiden. Sie rufen nach Justiz und Gerechtigkeit, aber ihre Hilferufe werden einfach ignoriert. Schauspieler*innen und Fußballspieler*innen, Public Figures, Influencer*innen und sogar Israeli-Aktivist*innen haben sich mit den Palästinenser*innen in Ostjerusalem solidarisiert. Alle haben Sie Live über ihre Social-Media-Accounts aus Jerusalem berichtet. Sie fordern Solidarität mit den Palästinenser*innen und eine klare Positionierung gegen eine ethnische Säuberung und Rassismus in Ostjerusalem.
Kein Mietstreit!!
Eine Freundin hat mir einen Post von einer deutschen Facebook-Seite geschickt. Dort steht, dass der Grund für die Gewalteskalation ein „Mietstreit“ sei. Es wäre schön, wenn es so einfach wäre.
In Israel haben jüdische Siedler*innen das Recht, ihre Häuser, in denen ihre Vorfahren vor 1948 gelebt haben, zurück zu bekommen. Sofern sie das vor dem israelischen Gericht beweisen können. Doch warum bekommen Palästinenser*innen dieses Recht nicht? Laut den israelischen Gesetzen können die Palästinenser*innen, die im Jahr 1948 aus ihren Häuser vertrieben wurden, diese nicht zurückhaben.
Palästinenser*innen in Israel oder Arab-Israelis erleben seit über 50 Jahren täglich Rassismus und Verfolgung. Sie leben unter den israelischen Gesetzen als Menschen zweiter und dritter Klasse. Sie werden an den Checkpoints der Armee verhaftet, ohne das Recht einer Vorhandlung vor Gericht. Und sie haben immer Angst davor, dass ihre Häuser zerstört, oder sie aus ihnen vertrieben werden. So, wie es neulich in Ostjerusalem passiert ist.
All das hat die Palästinenser*innen in Israel dazu gebracht, auf die Straße zu gehen und gegen Netanjahu und seine Regierung zu protestieren. Diese Demonstrationen führten zu Zusammenstößen mit israelischen Extremist*innen. Ereignisse, die das Land so seit seiner Gründung noch nie gesehen hat.
Das Gewaltspiel
Dies übte einen beispiellosen internen Druck auf die Netanjahu-Regierung aus. Mit exzessiver Gewalt wurde versucht, die Palästinenser*innen zu provozieren. Die israelischen Sicherheitskräfte griffen ihre religiösen Heiligen Orte an und zogen so die Hamas und den Gazastreifen in eine militärische Konfrontation, um den Druck loszuwerden und den Konflikt aus Jerusalem in den Gazastreifen zu ziehen.
Die islamische Hamas kam ins Spiel. Nicht, weil Netanjahu das wollte, aber weil die Extremist*innen sich als Retter der Palästinenser*innen vor den Verbrechen der Israelis präsentieren wollen. So kann die Hamas ihr Image bei den Palästinenser*innen – sowohl in Israel, als auch im Westjordanland – verbessern, bis die nächsten Wahlen stattfinden. Falls sie stattfinden.
Viele Palästinenser*innen wollten nicht, dass die Hamas sich in ihre Bewegung einmischt. Das gibt den israelischen Medien nur die Möglichkeit, von Ostjerusalem abzulenken. Somit verlieren die Palästinenser*innen die Aufmerksamkeit, die sie gerade erst in den Sozialen Medien erreicht hatten. Anstatt über Ungerechtigkeit, Vertreibung und Rassismus in Israel gegen die Palästinenser*innen zu berichten, zählen wir die Getöteten – wie nach jeder neuen Runde des Konflikts.
Schweigen ist Legitimation
In Deutschland und der EU gab es weder von den Politiker*innen noch von den Medien eine Reaktion oder kritische Berichterstattung zu den Ereignissen in Ostjerusalem. Obwohl die Medien Büros in Jerusalem, Tel Aviv und Rammallah haben. Hatten sie alle Angst davor, unabsichtlich Antisemitismus zu präsentieren, wenn sie die israelische Politik kritisieren?
Deutschland hat eine gute Beziehung zu beiden Seiten des Konflikts im Nahen Osten. Die Freundschaft zwischen Deutschland und Israel ist sehr stark. Die deutsche Regierung hat sich jedoch auch immer wieder für die Zweitsaatenlösung ausgesprochen.
Auf jeden Fall ist es nicht richtig, zu der ethnischen Säuberung in Ostjerusalem zu schweigen. Denn durch das Schweigen legitimieren Deutschland und auch die EU, die Verstöße gegen die Palästinenser*innen und sprechen ihnen ihr Existenzrecht ab. Also, pro Israel zu sein heißt nicht, jeden politischen Schritt Israels zu befürworten. Es bedeutet, wenn notwendig, auch kritisch zu sein.
Realistische Lösung
Die Tatsache, dass die Nachrichten über den Konflikt in den letzten Jahren keine internationalen Schlagzeilen gemacht haben, bedeutet nicht, dass er vorbei ist. Die (ungelösten) Probleme haben sich seit Jahren nicht geändert. Über Jahre sind Wutgefühle entstanden. Diese Gefühle führten zu gewalttätigen Auseinandersetzungen innerhalb Israels, bevor sie in das Westjordanland und in den Gazastreifen zogen.
Wir müssen es klar verstehen: Palästina ist mehr als Gaza und Ostjerusalem. Bei dieser Gewalt geht es nicht um einen Mietstreit, sondern um Existenzrechte und um die Menschenwürde. Gewalt ist nicht die richtige Lösung. Alle Formen der militärischen Gewalt beider Seiten sind zu verurteilen und natürlich distanziere ich mich davon.
Aber damit wir über eine richtige Lösung reden können, müssen die Arab-Israelis gleichberechtigt und fair wie ihre Mitbürger*innen behandelt werden. Der Siedlungsbau muss gestoppt werden. Die Gazaner*innen müssen Bewegungsfreiheit erhalten, um die Möglichkeit zu haben, mit anderen Menschen aus der ganzen Welt in Kontakt zu kommen. Palästinenser*innen in der Westbank sollten nicht stundenlang an den Checkpoints warten, um ein Hochzeitgeschenk kaufen zu können. Erst dann können wir über eine realistische Lösung der Gewalt im Nahen Osten sprechen, die Frieden in diese Region bringt.